Inwieweit kann der aktuelle Chipmangel generell die Qualität und das Tempo der Digitalisierung beeinträchtigen?
Halbleiter kommen in nahezu allen digitalen und elektrotechnischen Anwendungen zum Einsatz – im Automobilbereich, der Industrie- und Konsumelektronik, der Datentechnik und Kommunikation. Sie sind unverzichtbar für die Digitalisierung und beeinflussen somit auch deren Tempo. Allerdings gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass es aufgrund des Chipmangels nicht zu einer Verknappung des Konsumgüter-Angebots für Verbraucher kommt. Ebenso wenig wird der aktuelle Engpass die Qualität der Chips beeinträchtigen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass die Halbleiter-Hersteller alles daransetzen, ihre Kapazitäten zu vergrößern. Sie werden dafür aber einige Zeit brauchen, da die Chipproduktion extrem aufwändig, arbeitsteilig und kapitalintensiv ist.
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Viele Produzenten weltweit kündigen gerade kräftige Investitionen in die Produktionskapazitäten an. Reicht das aus, um den Mangel zu beseitigen?
Damit Europa auch in Zukunft ein innovativer und erfolgreicher Mikroelektronikstandort bleibt, müssen wir genau die Stärken und Schwächen der in Europa aktiven Mikroelektronikindustrie sowie ihrer Abnehmerindustrien in den Blick nehmen – und vor allem unsere Stärken ausbauen, zum Beispiel in der Leistungselektronik und Sensorik. Hinsichtlich der Entwicklung und Fertigung kleinster Strukturgrößen in Europa muss zunächst eine gemeinsame Analyse mit den Partnern in der Wertschöpfungskette erfolgen, die Aufschluss über die Erfolgsaussichten gibt. Es geht vor allem darum, globale Wertschöpfungsnetzwerke zu erhalten und gleichzeitig die Kompetenz in bedeutenden Halbleitergebieten in Europa zu sichern und auszubauen. Dann wird es Europa eher gelingen, den Bedarf an Halbleitern aus eigener und globaler Produktion zu decken.
In den USA hat die Regierung Biden den Chipmangel als „nationale Bedrohung“ erkannt und setzt auf eine komplexe Strategie in Sachen digitale Souveränität. Sehen Sie in Europa ebenfalls adäquate Lösungsansätze?
Dass sich die EU-Kommission zum Ziel gesetzt hat, den Anteil der in Europa gefertigten Chips bis zum Ende der Dekade auf 20 Prozent zu erhöhen, ist gut. Die Hersteller stehen bereit, dennoch wird es Zeit und enorme Anstrengungen benötigen. Es ist daher gut, dass die Bundesregierung im engen Schulterschluss mit der EU-Kommission und weiteren europäischen Mitgliedstaaten bereits 2018 ein ‚Important Project for Common European Interest‘ (IPCEI) für Mikroelektronik initiiert hat. Jetzt gilt es, das zweite IPCEI ausreichend zu finanzieren und schnellstmöglich umzusetzen. Daneben muss auch über zusätzliche Förderstrukturen nachgedacht werden.
Chips sind nur ein Aspekt der Digitalisierung: Wie bewerten Sie die infrastrukturellen Voraussetzungen für die weitere Digitalisierung im Lande und in Europa?
Unsere digitalen Infrastrukturen sind längst nicht ausreichend flächendeckend vorhanden – vor allem nicht für künftige Anwendungen wie Industrie 4.0, eHealth oder autonomes Fahren. Infrastruktur in diesem Zusammenhang heißt vor allem Breitband- und Mobilfunknetze aber auch zunehmend eine leistungsfähige und skalierbare lokale Rechenzentrumsinfrastruktur. Diesen Ausbau müssen wir zusammendenken: Nur ein Glasfaser-basierter Breitbandausbau ist zukunftsfähig, 5G setzt die Anbindung mit Glasfaser voraus, für Echtzeitanwendungen bedarf es minimaler Latenzen. Zudem brauchen wir einen guten Wettbewerb bei den Anbietern von 5G-Services, damit Investitionen in die 5G-Nutzung etwa in modernen Fabriken auch umsetzbar sind. Und wir müssen die digitale Infrastruktur in Gebäuden stärker in den Fokus nehmen. Der Breitbandausbau darf nicht im Keller enden. Grundvoraussetzung für die kontinuierliche Digitalisierung ist eine schwankungsfreie Stromversorgung. Damit diese zugleich klimafreundlich erfolgt, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien ebenfalls wichtig – und muss mit der Entlastung und Senkung des Strompreises einhergehen. Bei alldem spielt der Faktor Zeit eine große Rolle: Wir müssen zügig umsetzen.