Es ist eine Binsenweisheit: Für eine funktionierende E-Mobilität braucht es eine flächendeckend ausgebaute Ladeinfrastruktur. Dafür sollen verschiedene Förderprogramme, etwa für sogenannte Wallboxen für das private Laden oder für Schnelllade-Stationen an Fernstraßen sorgen. Das scheint dringend nötig. In der Fachdebatte auf Meinungsbarometer.info verweist Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) darauf, dass im August bereits jeder vierte in Deutschland zugelassene Pkw ein Elektroauto war. Im September seien dagegen bei der Bundesnetzagentur bundesweit gerade einmal 47.000 Ladepunkte gemeldet gewesen. Bei einem geschätzten Bestand von 960.000 E-Pkw komme damit etwa 20 E-Autos auf einen Ladepunkt. Um die deutschlandweit 1 Million Ladepunkte zu erreichen, die die Bundesregierung für 2030 avisiert, sei aber der Aufbau von rund 2.000 Ladepunkten pro Woche nötig. Gebaut würden indes kaum mehr als 200. „Die Ausbaugeschwindigkeit muss also nahezu verzehnfacht werden“, betont die VDA-Präsidentin. Dafür müssten jetzt viele Akteure zusammenarbeiten. „Dazu zählen die Energieversorger sowie die Bürgermeister und Landräte, die den lokalen Aufbau koordinieren müssen, schließlich wissen sie am besten, wie der Bedarf vor Ort konkret aussieht.“
Für Michael Schmelz von Autobahn GmbH des Bundes ist gerade das schnelle Laden ab 150 Kilowatt für eine uneingeschränkte Nutzung von E-Autos entscheidend, insbesondere an der Autobahn. Er sagt: „Zusätzlich zu den bereits bestehenden über 600 Schnellladepunkten an über 200 bewirtschafteten Rastanlagen, werden bis ins Jahr 2025 weitere 2700 Ladepunkte auf über 400 Standorten entstehen.“ Werner Harms von der EWE Go GmbH prognostiziert, dass auch künftig über 80% der Ladevorgänge im nicht öffentlichen Umfeld durchgeführt werden - mit langen Standzeiten. „Da wir bis zum Jahr 2030 bis zu 15 Millionen E-Fahrzeuge in Deutschland erwarten, ist es notwendig, dass Ladevorgänge netzdienlich gesteuert werden können.“ Dazu würden Ladeboxen mit intelligenten Steuer-Modulen ausgestattet, die es erlauben, je nach Bedarf und geplanter Standzeit des Nutzers, die Ladevorgänge zeitlich so anzupassen, dass nicht Überlastungssituationen in den Verteilnetzen komme.
Markus Emmert, Vorstand Bundesverband eMobilität (BEM) lenkt den Blick auf die Anbieter und Betreiber, die es brauche, um Ladeinfrastruktur wirtschaftlich zu gestalten. Sein Verband hält es für denkbar, dass Netzbetreiber den Aufbau der Infrastruktur übernehmen gegen eine Netzentgeldumlage je Kilowattstunde, was für einen durchschnittlichen Haushalt ca. 3 bis 10 Euro jährlich bedeuten würde. „Der Vorteil: Der dafür notwendige Ausbau Erneuerbarer Energien wäre in den Kosten voll berücksichtigt.“ Dabei müsse das Gesamtsystem erfasst werden – inklusive Netzertüchtigung, Wartung, Monitoring, Instandhaltung etc.. So würden Ladelösungen auch in die Fläche zu weniger attraktiven, aber gleichwohl wichtigen Standorten kommen. Herbert Engelmohr vom Automobilclub von Deutschland e.V. (AvD) indes findet das existierende Tarifwirrwarr abschreckend und wenig kundenfreundlich. „Die Tarifstruktur ist heute intransparent. Ob der E-Fahrer an einer konkreten Ladesäule Strom zapfen kann, hängt von seiner Ladekarte ab.“ Zur Intransparenz trügen überdies die unterschiedlichsten Bezahlmodelle bei: Pre-Post-Paid, mit Grundgebühr und ohne, Zeit-Tarife, nach kW-Ladung, Flatrate, Einsteiger-Tarife etc. Nach Meinung des AvD sollten E-Auto-Nutzer vorrangig über Bezahlfunktionen per App, die während der Pandemie noch einen Schub bekommen haben, abrechnen können. Die Begleichung der Ladekosten über Kreditkarte sei aber noch über einige Jahre optional vorzusehen.
Der Grüne Verkehrsexperte Cem Özdemir richtet den Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus. Das Lade-Angebot pro Pkw sehe in Ländern wie Norwegen und den Niederlanden deutlich besser aus als in Deutschland, aber in Staaten wie Rumänien und Griechenland bisher deutlich schlechter. Am Ende sei jedes Mitgliedsland zwar selbst verantwortlich für den Aufbau, aber man brauche mehr europäische Einheitlichkeit, damit die Elektromobilität überall zum Erfolg werde. „Deswegen bin ich froh, dass die EU-Kommission im Juli verbindliche Ausbauziele vorgeschlagen hat, damit das Ladeangebot parallel zur Anzahl der E-Autos mitwächst.“ Auch Kerstin Hurek vom ACE Auto Club Europa fordert: „Jeder Autofahrende in Europa muss von Madrid bis Budapest und von Helsinki bis Catania fahren können - egal mit welchem Antrieb.“ Allein wegen der Steigerung der Modellvielfalt in den letzten Monaten müsse eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur schleunigst bereitgestellt werden.
Die Lage in Österreich beschreibt Markus Kaiser vom ÖAMTC. Nach seinen Angaben verfügt Österreich über 8.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte, bei einem Fahrzeugbestand (per 30.06.2021) von 59.289 reinen Batterie-Elektrofahrzeugen - das bedeutet, dass in Österreich aktuell rund 8 Elektrofahrzeuge auf einen Ladepunkt kommen. Für den aktuellen Fahrzeugbestand sei die Ladeinfrastruktur in Österreich gut ausgebaut. Dies das jedoch nur eine Momentaufnahme, die in Anbetracht der immer weiter steigenden Anzahl an Neuzulassungen im Bereich der Elektromobilität auch rasch an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen könne. „Ein weiterer konsequenter Ausbau an Ladestationen ist daher in Österreich unabdingbar.“
Ute Teufelberger vom Bundesverbandes Elektromobilität Österreich (BEÖ) weiß, dass zwischen 80 und 90 Prozent aller Ladungen zu Hause oder am Parkplatz beim Arbeitsplatz erfolgen und weniger als zehn Prozent laden Strom unterwegs. Doch nicht jede Haushalts-Steckdose sei für große Strommengen geeignet. Daher werde das smarte Laden an der Wallbox zu Hause immer bedeutender. Das bekräftigt Sebastian Obrecht vom ARBÖ, Auto-, Motor- und Radfahrerbund Österreichs und schlägt, dass beispielsweise in Mehrparteienhäusern die Errichtung von privaten Ladepunkten erleichtert wird. „Derzeit ist es in Österreich so, dass alle Eigentümer zustimmen müssen.“