Eine Studie der EU-Kommission hat neuen Schub in die Debatte über das europäische Gentechnikrecht gebracht. Denn die derzeit geltenden Rechtsvorschriften für genveränderte Organismen (GVO) aus dem Jahr 2001 konnten noch nicht die neusten Verfahren berücksichtigen und gelten manchem daher als veraltet. Erst 2018 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass auch neuartige Werkzeuge zur zielgerichteten Modifizierung von Erbgut gentechnisch veränderte Organismen im Sinne der heutigen Regeln hervorbringen und daher auch unter die entsprechenden Regulierungen fallen.
In unserer Fachdebatte betont Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner: „Die europäischen Gentechnikregeln sehen zurecht ein strenges Zulassungsverfahren mit einer intensiven Risikoprüfung vor.“ Mit diesem vorsorgenden Ansatz sei man bisher gut gefahren. Aber die Regelungen müssten auch im Lichte neuester Erkenntnisse kontinuierlich überprüft werden. Denn: „Wer Ernten stabil halten will, wer den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurückfahren möchte, und wer wiederum Klimastabilität von Pflanzen ohne mehr Verbrauch von Ressourcen wie Wasser erwartet, der kann diese Techniken nicht einfach abtun.“
Für den Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, gehört die europäische Regulierung im weltweiten Vergleich zu den strengsten. Der Rechtsrahmen, in den neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas eingeordnet seien, mache eine breite Anwendung dieser Techniken de facto unmöglich. Für diese neuen gentechnischen Verfahren (NGT) und die damit vorgenommenen Veränderungen, die nicht von natürlich auftretenden Mutationen zu unterscheiden seien und auch mithilfe konventioneller Züchtungsverfahren entstehen könnten, sei das derzeitige Gentechnikrecht schlichtweg ungeeignet. Es „muss dringend angepasst werden, um die aktuelle faktische Blockade zu beenden.“
Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender der Biotechnologie-Industrie-Organisation Deutschland BIO Deutschland, erklärt den Vorteil der neuen gentechnischen Verfahren. Mit diesem Gen- oder Genom-Editierung könne sehr gezielt an einer oder mehreren Stellen verändert werden. Zudem ist das Ausmaß der Veränderung steuerbar und könne von dem Austausch oder dem Entfernen einer oder weniger Bausteine bis zum Einsetzen artfremder Gene reichen. „Ersteres entspricht Mutationen, die auch spontan im Erbgut ganz ohne Zutun des Menschen regelmäßig in der Natur stattfinden.“
Stefanie Sabet, Geschäftsführerin und Leiterin des Brüsseler Büros der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), betont, dass Genome Editing im Erbgut der Pflanzen keine nachweisbaren charakteristischen DNA-Spuren hinterlasse. „Deshalb werden GEN-editierte Pflanzen in den meisten großen Agrarländern wie USA, Kanada, Brasilien oder Australien wie konventionell gezüchtete Pflanzen eingestuft.“ Diese fehlende Nachweisbarkeit führe obendrein dazu, dass diese Pflanzen an den EU-Außengrenzen nicht gemäß den EU-Vorgaben klassifiziert werden können, was große Herausforderungen mit sich bringe.
Daher fordert Dr. Ricardo Gent, Geschäftsführer, Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), dass die EU-Gesetzgebung dem aktuellen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt gerecht wird. „Wir teilen die Einschätzung aus der jüngsten Kommissionsstudie, dass sich das Innovationstempo im globalen Biotechnologiesektor nicht verlangsamen wird.“ Die Kommissionsstudie weise außerdem darauf hin, dass es nicht gerechtfertigt sei, für Produkte mit ähnlichem Risikoniveau unterschiedliche Stufen der behördlichen Prüfung anzuwenden. Das gelte beispielsweise für konventionell gezüchtete und aus bestimmten NGTs gewonnene Pflanzen. „Sicherheitsbewertungen sind zentral, sollten aber nicht ausschließlich von der jeweils verwendeten Technik, sondern der spezifischen Art der Anwendung und den Eigenschaften des resultierenden Produkts abhängen.“
Für Jan Plagge, Präsident der Bioland e.V., ist der europäische Weg mit seiner strengen Regulierung dagegen der richtige: Nur eine strenge präventive Prüfung – auch neuer Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas, die ebenfalls hochriskant sind – gewährleistet aus seiner Sicht ausreichend Umwelt- und Verbraucherschutz. Für ihn ist klar: „Auch eine mögliche, von der EU zuletzt angedeutete, Erneuerung des Gentechnikrechts muss eine Deregulierung aller Gentechnikverfahren kategorisch ausschließen.“
Auch für Alexander Hissting, Geschäftsführer von VLOG - Verband Lebensmittel ohne Gentechnik, gehören die Gentechnik-Regeln der EU "sicherlich zu den weltweit besten", was Umwelt- und Verbraucherschutz, Transparenz und Wahlfreiheit angeht. Die Regeln seien nicht zuletzt Verdienst einer kritischen Öffentlichkeit, die sich über NGOs und Politik Gehör verschafft und dadurch mit zur Ausgestaltung der Regeln beigetragen habe. Und: „Diese Regeln sind nicht nur gut für Verbraucher und Umwelt, sondern auch für Unternehmen. Denn sie tragen zum weltweit positiven Image der europäischen Lebensmittel bei und verbessern dadurch auch deren internationale Vermarktungschancen.“ Allerdings lasse sich auch Gutes weiter verbessern, sagt der VLOG-Geschäftsführer mit Blick auf eine „Kennzeichnungslücke" – denn bei tierischen Produkten müsse der Einsatz von Gentechnik-Futter bisher nicht gekennzeichnet werden.