Die europäischen Gentechnik-Regeln sollen breit diskutiert werden – wie schätzen Sie die EU-Regeln ganz grundsätzlich im weltweiten Vergleich ein?
Die Gentechnik-Regeln der EU gehören sicherlich zu den weltweit besten, was Umwelt- und Verbraucherschutz, Transparenz und Wahlfreiheit angeht. Das hat nicht zuletzt der Europäische Gerichtshof 2018 noch einmal bestätigt, als er klargestellt hat, dass diese Regeln selbstverständlich auch für neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR gelten. Dass die EU diese Regeln hat, ist nicht zuletzt Verdienst einer kritischen Öffentlichkeit, die sich über NGOs und Politik Gehör verschafft und dadurch mit zur Ausgestaltung der Regeln beigetragen hat. Diese Regeln sind nicht nur gut für Verbraucher und Umwelt, sondern auch für Unternehmen. Denn sie tragen zum weltweit positiven Image der europäischen Lebensmittel bei und verbessern dadurch auch deren internationale Vermarktungschancen. Aber auch Gutes kann man weiter verbessern, Stichwort „Kennzeichnungslücke".
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Sogenannte neue gentechnische Verfahren (NGT) erlauben schwächere und gezieltere Eingriffe. Wie sollte ein eventuelles neues Regelwerk auf diese NGT eingehen?
Neue Gentechnik-Verfahren ermöglichen auch weitaus komplexere und tiefergehende Eingriffe. Die angewendete Form der Gentechnik sagt erstmal noch nichts über das Ergebnis aus. Auch Produkte neuer Gentechnik müssen eingehend auf ihre Auswirkungen für Umwelt und Gesundheit geprüft werden und ein Zulassungsverfahren durchlaufen – und vor allem müssen sie auch als Gentechnik gekennzeichnet werden. Alles andere wäre Verbrauchertäuschung, und die kann nur nach hinten losgehen.
Das aktuelle Regelwerk ist dafür schon recht gut geeignet, wie das EuGH-Urteil gezeigt hat. Jetzt ist es vor allem höchste Zeit, sich endlich darum zu kümmern, dass es auch um- und durchgesetzt werden kann. Dafür brauchen wir funktionierende Nachweismöglichkeiten über Testverfahren, möglicherweise in Verbindung mit Dokumentationspflichten. Das haben die zuständigen Behörden und Institutionen auf nationaler und EU-Ebene bisher viel zu sehr vernachlässigt. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, da wird von manchen geradezu auf eine Deregulierung gewartet, die solche Nachweise hinfällig machen würde.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Debatte sind die Kennzeichnungspflichten. Welchen Anpassungsbedarf sehen Sie diesbezüglich?
Im Bereich Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln gibt es auch unabhängig von den neuen Verfahren nach wie vor Nachholbedarf, Stichwort „Kennzeichnungslücke": bei tierischen Produkten muss der Einsatz von Gentechnik-Futter bisher nicht gekennzeichnet werden. Diese Lücke schließt der VLOG zwar mit dem „Ohne GenTechnik"-Siegel auf freiwilliger Basis, echte Transparenz würde aber erst eine Kennzeichnungspflicht auch für Gentechnik-Einsatz im Tierfutter bringen. Das stand sogar schon mal in deutschen Koalitionsverträgen, wurde aber nie umgesetzt.
Ansonsten muss für neue Gentechnik die gleiche Kennzeichnungspflicht gelten wie für „alte". Verbraucherinnen und Verbraucher unterscheiden nicht spitzfindig zwischen verschiedenen Gentechnik-Verfahren. Für sie gilt genau wie für den EuGH: Gentechnik ist Gentechnik. Würden hier Kennzeichnungspflichten aufgeweicht, wäre der gesamte boomende europäische „Ohne Gentechnik"- und Bio-Sektor mit seinen Milliardenumsätzen akut gefährdet. Auch das von der EU selbstgesteckte Ziel von 25 Prozent Ökolandbau wäre dann hinfällig, denn Bio-Landwirtschaft heißt garantiert gentechnikfreie Landwirtschaft.
Wenn es neue Gentechnik-Regeln geben sollte – was müssten diese aus Ihrer Sicht unbedingt enthalten und was keinesfalls?
Auch neue Gentechnik-Regeln dürften Vorsorgeprinzip, Transparenz und Wahlfreiheit nicht in Frage stellen. Es muss weiterhin sichergestellt sein, dass alle Arten von Gentechnik-Pflanzen gründlich geprüft und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel eindeutig gekennzeichnet sind. Eine Deregulierung, wie sie die EU-Kommission und einige Politikerinnen und Politiker zuletzt ins Spiel gebracht haben, darf es nicht geben.
Neue Regeln könnten und sollten stattdessen dafür sorgen, dass die Studien dazu künftig komplett unabhängig durchgeführt werden und nicht mehr von den Herstellern selbst beauftragt werden. Bei den Prüfungen sollten künftig auch Langzeiteffekte und soziökonomische Auswirkungen berücksichtigt werden.
Um Europa vor mit illegaler Gentechnik kontaminierten Importen zu schützen, sollten Möglichkeiten ausgelotet werden, Gentechnik-Hersteller weltweit in die Pflicht zu nehmen, alle nötigen Informationen etwa zum Nachweis ihrer Produkte zur Verfügung zu stellen.