Die europäischen Gentechnik-Regeln sollen breit diskutiert werden – wie schätzen Sie die EU-Regeln ganz grundsätzlich im weltweiten Vergleich ein?
Bei der aktuellen Diskussion um die Gentechnik-Gesetzgebung geht es besonders um zwei Knackpunkte. Was ist ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO)? Und wann gilt eine Freisetzung in die Umwelt als sicher? Deutschland bzw. die EU beziehen sich bei der GVO- Definition auf das Cartagena Protokoll von 2003, ein Zusatzabkommen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt der Vereinten Nationen, das völkerrechtlich verbindliche Regeln für den grenzüberschreitenden Handel mit „lebenden veränderten Organismen" festlegt. EU-Vorschriften für GVO gibt es seit Beginn der neunziger Jahre. Seitdem wurde der Rechtsrahmen immer wieder erweitert und präzisiert. Im EU-Gentechnikrecht kommt das sogenannte Vorsorgeprinzip zur Anwendung. In der GVO-Praxis in Deutschland bedeutet das Vorsorgeprinzip, dass wenn nicht 100-prozentig wissenschaftlich ausgeschlossen werden kann, dass Schäden für Mensch und Umwelt entstehen, ein GVO nicht in die Umwelt entlassen werden darf. Das Problem hier ist, die quasi Nicht-Existenz eines Risikos wissenschaftlich nachweisen zu müssen. Jahrzehntelange Sicherheitsforschung in Deutschland haben zumindest keine solche Belastungen durch bekannte gentechnisch veränderte Organismen feststellen können. Dennoch gelten diese GVO für viele noch nicht als hinreichend sicher für den Anbau.
Länder wie die USA und Kanada haben das Cartagena Protokoll nicht ratifiziert. Dort gilt für die Zulassung der Freisetzung das so genannte Wissenschafts- oder Nachsorgeprinzip, das wissenschaftlich belegbare Gefahren bei der Freisetzung berücksichtigt. Allerdings gilt dort gleichzeitig auch ein funktionierendes Haftungsrecht.
Bei der Einordnung, ob ein Organismus ein GVO ist oder nicht, kann der Prozess ausschlaggebend sein, mit dem er hergestellt wurde, oder die Eigenschaft des resultierenden Produktes. Nur Kanada basiert die GVO-Einordnung im Moment ausschließlich auf das Produkt. Im globalen Vergleich unterscheiden sich Länder also vor allem in der Regulierung zur Biosicherheit. Bei der Einschätzung eines etwaigen Risikos für Mensch um Umwelt wird außerdem unterschieden, ob GVO importiert oder exportiert werden und ob sie für den Verzehr durch den Menschen oder für Tierfutter vorgesehen sind.
Wird ein GVO in der EU nach langjährigem und teurem Zulassungsverfahren tatsächlich zum Anbau zugelassen, ist es seit 2015 aber durch die sogenannte „Schutzklausel“ möglich, dass Mitgliedstaaten trotz EU-Zulassung den Anbau auf ihrem Territorium verbieten. So ist es in der EU Realität, dass von zwei in den letzten 25 Jahren zum Anbau zugelassenen GVO, nur eines in Spanien angebaut wird. In den USA ist der Zulassungsprozess mittlerweile zwar auch langwierig und bezieht verschieden Zulassungsbehörden ein, aber wenn eine GVO-Pflanze als sicher eingeordnet wird, kann sie auch angebaut werden. Mehr als 200 gentechnisch veränderte Nutzpflanzen wurden dort bisher zugelassen, neun davon werden auch großflächig angebaut.
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Sogenannte neue gentechnische Verfahren (NGT) erlauben schwächere und gezieltere Eingriffe. Wie sollte ein eventuelles neues Regelwerk auf diese NGT eingehen?
Wir würden eher nicht von schwächeren oder stärkeren Eingriffen sprechen. Der Vorteil der neuen gentechnischen Verfahren, die auch Gen- oder Genom-Editierung genannt werden, ist, dass sehr gezielt an einer oder mehreren Stellen verändert werden kann. Zudem ist das Ausmaß der Veränderung steuerbar und kann von dem Austausch oder dem Entfernen einer oder weniger Bausteine bis zum Einsetzen artfremder Gene reichen. Ersteres entspricht Mutationen, die auch spontan im Erbgut ganz ohne Zutun des Menschen regelmäßig in der Natur stattfinden. Ein neues Regelwerk könnte auf verschiedene Weise auf diese, wie wir es auch nennen „Biomutagenese“, eingehen. Zum einen könnten weitere Ausnahmen aufgenommen werden analog zur jetzt ausgenommenen in-vitro Mutagenese. Mit dieser Methode werden Pflanzen schon seit über 50 Jahren gezüchtet. Dabei wird mit radioaktiver Strahlung oder Chemikalien das Erbgut einer Pflanze zufällig an vielen Stellen verändert und so Mutanten erzeugt. Anschließend wird untersucht, ob eine der Mutanten erwünschte Eigenschaften hat und diese dann für die weitere Züchtung eingesetzt. Die in-vitro Mutagenese ist von den europäischen Gentechnik-Regularien bisher mit der Begründung ausgenommen, dass sie seit vielen Jahren ohne Gefahren für Mensch und Umwelt eingesetzt wird. Die „Biomutagenese“ ist aber viel gezielter und verändert viel weniger Stellen im Erbgut und sollte daher ebenfalls ausgenommen werden.
Zum anderen könnte die Definition des GVO dahingehend geändert werden, dass nicht der Prozess, sondern nur die Eigenschaften des Produktes beurteilt werden. Wir haben 2018 eine Regelung vorgeschlagen, um den neuen gentechnischen Verfahren Rechnung zu tragen, die sowohl den Prozess als auch das Produkt bewertet und sich so an der aktuell geltenden Kategorisierung orientiert.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Debatte sind die Kennzeichnungspflichten. Welchen Anpassungsbedarf sehen Sie diesbezüglich?
Wenn ein Organismus nach den von uns vorgeschlagenen Kriterien nicht als GVO gilt, sehen wir auch keinen Kennzeichnungsbedarf. Ganz abgesehen davon, ist der rechtsichere Nachweis des Austauschs zum Beispiel einer oder weniger Bausteine des Erbguts nicht möglich, außer man weiß vorab genau, wonach man sucht. Diese Tatsache wird den Getreide-, Futtermittel- und Lebensmittelhandel vor Probleme stellen.
Wenn es neue Gentechnik-Regeln geben sollte – was müssten diese aus Ihrer Sicht unbedingt enthalten und was keinesfalls?
Wie schon gesagt: Bestimmte Veränderungen, die durch Genom-Editierung in einen Organismus eingeführt werden können, sollten aus dem Geltungsbereich des Gentechnikrechts herausgenommen werden. Hierzu ist eine Betrachtung der genutzten Methode und des Ergebnisses notwendig, um eine rechtssichere Aussage treffen zu können. Heutige Regulierungen weltweit orientieren sich an verschiedenen technischen Eingriffsvarianten und der Bewertung des Endprodukts. Eine Orientierung am Produkt wäre deshalb sinnvoll, weil eine prozessunabhängige Bewertung eines GVO auch für die Einordnung zukünftiger Technologiesprünge Bestand haben würde. Außerdem würden wir begrüßen, wenn neben dem Vorsorgeprinzip, das wir im Kern unterstützen, auch das Innovationsprinzip beachtet würde. D. h. dass in die Bewertung eingeht, welche Chancen der Gesellschaft entgehen, wenn eine Innovation nicht angewendet wird.