Die europäischen Gentechnik-Regeln sollen breit diskutiert werden – wie schätzen Sie die EU-Regeln ganz grundsätzlich im weltweiten Vergleich ein?
Die EU-Regeln zu Gentechnik gehören im internationalen Vergleich zu den strengsten überhaupt. Der Forschungsstand ist mittlerweile jedoch derart weit fortgeschritten, dass es notwendig wird zu überprüfen, was wir als Gentechnik klassifizieren und was nicht. Die EU-Kommission hat in einer im Mai dieses Jahres veröffentlichen Studie erkannt, dass neue Züchtungstechniken (NZT) die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft erhöhen und dadurch zur Farm-to-Fork-Strategie des EU-Green Deal beitragen könnten. Dennoch sollen die neuen biotechnologischen Methoden unter das 20 Jahre alte EU-Gentechnikrecht fallen, das dafür ungeeignet ist, wie in der Studie selbst festgestellt wird. Die pauschale Einstufung als gentechnisch veränderte Organismen führt dazu, dass die Anwendung neuer Züchtungstechniken in der Landwirtschaft derzeit in Europa de facto unmöglich ist. In vielen Drittstaaten hingegen werden die mit den NZT erzeugten Pflanzen und deren Verarbeitungsprodukte nicht als GVO reguliert oder deklariert. Das führt zu einer Wettbewerbsverzerrung zu Lasten Europas. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft braucht daher dringend ein modernisiertes Gesetz, das Rechtssicherheit schafft und ökonomische Perspektiven eröffnet.
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Sogenannte neue gentechnische Verfahren (NGT) erlauben schwächere und gezieltere Eingriffe. Wie sollte ein eventuelles neues Regelwerk auf diese NGT eingehen?
Wir benötigen einen europäischen Rechtsrahmen, der Forschung und Innovationen in der Ernährungsindustrie grundsätzlich unterstützt. Dazu bedarf es Freiräume für Forschung und Praxis und die Möglichkeit, flexibel auf aktuelle Marktentwicklungen und Bedürfnisse zu reagieren. Neue Züchtungstechniken wie etwa Genome Editing (CRISPR/Cas9) können einen Beitrag für die präzise züchterische Entwicklung von Kulturpflanzen leisten, ohne negative Auswirkungen, die über zufällige Veränderungen wie sie auch in der Natur stattfinden, hinausgehen. Genome Editing hinterlässt im Erbgut der Pflanzen keine nachweisbaren charakteristischen DNA-Spuren! Deshalb werden GEN-editierte Pflanzen in den meisten großen Agrarländern wie USA, Kanada, Brasilien oder Australien wie konventionell gezüchtete Pflanzen eingestuft. Hinzu kommt, dass eben diese fehlende Nachweisbarkeit auch dazu führt, dass diese Pflanzen an den EU-Außengrenzen nicht gemäß den EU-Vorgaben klassifiziert werden können, was zu großen Herausforderungen führt. Die europäische Politik sollte basierend auf ihrem Prinzip des vorsorgenden Verbraucherschutzes daher prüfen, ob es die Risikobewertung seiner Handelspartner teilen kann und ebenfalls eine wissenschaftliche Einordnung vornehmen. Europa darf die Chancen, die in den neuen Züchtungstechniken liegen, nicht verspielen.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Debatte sind die Kennzeichnungspflichten. Welchen Anpassungsbedarf sehen Sie diesbezüglich?
Es ist darauf zu achten, dem berechtigten Informationsinteresse des Verbrauchers durch Kennzeichnung zu entsprechen, ohne unberechtigte Ängste und Vorurteile zu wecken. Die Kennzeichnung muss sich an globalen Standards orientieren und europaweit einheitlich sein.
Wenn es neue Gentechnik-Regeln geben sollte – was müssten diese aus Ihrer Sicht unbedingt enthalten und was keinesfalls?
Gerade mit Blick auf die internationale Verflechtung unserer Lieferketten führt das europäische Nulltoleranz-Dogma immer wieder zu großen Herausforderungen, zum Beispiel, wenn ganze Containerladungen aufgrund minimaler Rückstände nicht zugelassener Pflanzen zurückgewiesen oder vernichtet werden müssen. Insofern ist die breit angelegte Überprüfung des EU-Gentechnikrechts richtig und wichtig.