Menue-Button
← FACHDEBATTE Interview

Über den Nutzen von Whistleblowing für Unternehmen

Was die Regeln für Hinweisgeber bringen können

Prof. Dr. Stefanie Fehr - Hochschule für angewandte Wissenschaften Ansbach, Studiengänge Wirtschaftsinformatik, Datenschutz und IT-Sicherheit Quelle: HS Ansbach Prof. Dr. Stefanie Fehr Forscherin Hochschule für angewandte Wissenschaften Ansbach 22.11.2022
INITIATORIN DIESER FACHDEBATTE
Dipl.- Journ. Nikola Marquardt
Founder & Herausgeberin
Meinungsbarometer.info
ZUR FACHDEBATTE

Prof. Dr. Stefanie Fehr von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Ansbach findet es mit Blick auf die geplanten Regeln schade, "dass das Gesetz derzeit von Unternehmen eher als bürokratische Belastung wahrgenommen wird anstatt den Nutzen im Fokus zu haben". Die Forscherin zeigt einige der handfesten Vorteile für Unternehmen auf.







Whistleblower sollen sich sowohl künftig sowohl an interne oder externe Meldestelle werden dürfen. Wie wichtig ist die Wahlfreiheit aus Ihrer Sicht?
Die Wahlfreiheit wird eine indirekte Auswirkung auf die Stärkung der Compliance-Konzepte der Unternehmen haben, denn durch die Wahlfreiheit zwischen interner sowie externer Meldestelle steigt für Unternehmen das potentielle Risiko einer behördlichen Intervention. Wenn hinweisgebende Personen jetzt nicht mehr nur vor der Entscheidung stehen, ‚ob’ sie einen Missstand melden, sondern nun auch entscheiden können, ‚wie’ sie dies tun, werden Beschäftigungsgeber neue Anstrengungen unternehmen müssen, um sich den exklusiven Zugang zu diesen Meldungen zu sichern. Dazu gehört, dass Unternehmen nicht nur verstärkt angehalten sein werden, ihren inneren Kompass zu justieren, sondern auch ein möglichst attraktives Meldeumfeld und eine professionelle Meldestelle zu etablieren. Auch wenn die externe Meldestelle mit den Unternehmen in eine Art Konkurrenzverhältnis um den Zugriff auf diese erste Meldung eintritt, werden wir zukünftig keine nennenswerte Anzahl an externen Meldungen zu erwarten haben. Die internationalen Forschungsdaten zeigen, dass Hinweisgeber (m/w) die interne Meldung einer externen aus verschiedenen Gründen vorziehen. Aber dennoch sollten die Unternehmen die Sprengkraft, die sich im Einzelfall entwickeln kann, nicht unterschätzen.

JETZT HERUNTERLADEN

DIE DOKUMENTATION DIESER FACHDEBATTE

DIE DOKUMENTATION ENTHÄLT

alle Debattenbeiträge ungekürzt im Original
Übersicht aller aktiven Debattenteilnehmer
Summary für Ihr Top-Management
MEHR ERFAHREN


Langfristig sollen alle Unternehmen und Verwaltungen mit mehr als 50 Beschäftigten eine interne Meldestelle haben. Wie bewerten Sie diese Grenze - auch hinsichtlich der Aufwände, die auf die kleineren Beschäftigungsgeber zukommen?
Man sollte den finanziellen Nutzen einer Meldestelle nicht unterschätzen. Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzesentwurf zum Hinweisgeberschutz (HinSchG) die Kosten für die einmalige Einrichtung sowie den jährlichen Betrieb einer Meldestelle für Unternehmen (50 bis 249 Beschäftigte) beziffert. Hier wird von einem einmaligen Erfüllungsaufwand von 12.500,- Euro sowie einem jährlichem Erfüllungsaufwand von ca. 6000,- Euro ausgegangen. Orientiert man sich an diesen Zahlen und schaut in die Zukunft, belaufen sich die Gesamtkosten für den Betrieb einer Meldestelle nach zehn Jahren auf rund 75.000,- Euro. Stellt man nun hingegen die Frage nach dem Nutzen, also dem Return-on-Investment (ROI), könnten sich anfängliche Bedenken wieder relativieren: Die Hans-Böckler-Stiftung schätzt in einer Studie aus 2007, dass einem Unternehmen allein bei einem einzigen Mobbing-Fall Kosten zwischen 15.000,- bis 50.000 Euro pro Jahr und gemobbter Person entstehen. Darüber hinaus melden Hinweisgeber mit ihrem privilegierten Exklusivwissen Diebstähle, Unterschlagungen, Korruptionsdelikte, sonstige Vorfälle und Risiken, die zu Unternehmensbußen oder Reputationsschäden führen können. Da sich viele dieser potentiellen Ereignisse entweder im Dunkelfeld bewegen oder von den Verantwortlichen in ihrer Kosten-Nutzen-Kalkulation nicht einbezogen werden, bildet die Frage nach dem Aufwand nur die eine Seite der Medaille ab. Am Ende wird sich ein(e) verantwortungsvolle(r) Unternehmenslenker(in) die Frage stellen müssen, für wie wahrscheinlich er/sie die Gefahr hält, dass sein/ihr Unternehmen in den nächsten zehn Jahren nicht auch von einem solchen Vorfall heimgesucht wird.

Geschützt sollen auch unzutreffende Meldungen sein, nicht aber vorsätzlich falsche. Wie bewerten Sie diese geplante Regelung?  
Dieser Ansatz ist m.E. richtig. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Meldesysteme zu einem nennenswerten Prozentsatz für vorsätzlich falsche Meldungen missbraucht werden. Für diese Art von Meldungen sieht der Gesetzgeber ohnehin keinen Schutz vor. Die hinweisgebende Person muss lediglich zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zu der Annahme gehabt haben, dass die von ihr gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen. Das kann natürlich auch unzutreffende Meldungen umfassen, weil man von hinweisgebenden Personen keine vollständige Informationslage erwarten kann und darf. Das sagt schon der Begriff. Es ist daher die Aufgabe der Meldestellenbeauftragten, die gemeldeten Fälle im Rahmen der sog. Folgemaßnahmen professionell zu ermitteln.

Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt noch in einem endgültigen Hinweisgeberschutzgesetz stehen - und was keinesfalls?
Das Hinweisgeberschutzgesetz wird einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen leisten und dem Hinweisgeber wirksam vor Benachteiligung schützen. Schade ist, dass das Gesetz derzeit von Unternehmen eher als bürokratische Belastung wahrgenommen wird anstatt den Nutzen im Fokus zu haben.

Ich würde mir wünschen, dass der Gesetzgeber seinen derzeitigen Regelungsentwurf zu anonymen Meldungen noch einmal überdenkt. Studien zeigen, dass Hinweisgeber (w/m) besonders zu Beginn eine hohe Hemmschwelle haben, Hinweise abzugeben. Substanzielle anonyme Meldungen würden mit einer solchen Regelung erst einmal „hinten runterfallen“, obwohl sie vielleicht sehr viel wichtiger für das Unternehmen als die nicht-anonymen Meldungen sind. Eine nachrangige Bearbeitung von anonymen Meldungen können daher ein ganzes Hinweisgebersystem konterkarieren und den positiven Nutzen eines Hinweisgebersystems in Frage stellen.

UNSER NEWSLETTER

Newsletter bestellen JETZT BESTELLEN

■■■ WEITERE BEITRÄGE DIESER FACHDEBATTE

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Daniel Moßbrucker
Journalist und Trainer
Frei

Daniel Moßbrucker - Journalist und Trainer für digitale Sicherheit
Whistleblower | EU

Etwas fehlt im Whistleblower-Gesetz

Wo die vorgesehenen Regeln eine Lücke haben

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Daniel Moßbrucker
Journalist und Trainer
Frei

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Dr. Malte Passarge
Direktor
Institut für Compliance im Mittelstand (ICM)

Dr. Malte Passarge - Direktor, Institut für Compliance im Mittelstand (ICM)
Whistleblower | EU

Gut funktionierende ■ ■ ■

Wie die Regeln dafür aussehen sollten

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Dr. Malte Passarge
Direktor
Institut für Compliance im Mittelstand (ICM)

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Paula Benedict
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Freie Universität Berlin

Paula Benedict - Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichendes Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht, Freie Universität Berlin
Whistleblower | EU

Hinweisgeberschutz lohnt sich für ■ ■ ■

Wie eine Forscherin die geplanten Regeln zum ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Paula Benedict
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Freie Universität Berlin

ZUR FACHDEBATTE

ÜBER UNSERE FACHDEBATTEN

Meinungsbarometer.info ist die Plattform für Fachdebatten in der digitalen Welt. Unsere Fachdebatten vernetzen Meinungen, Wissen & Köpfe und richten sich an Entscheider auf allen Fach- und Führungsebenen. Unsere Fachdebatten vereinen die hellsten Köpfe, die sich in herausragender Weise mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

überparteilich, branchenübergreifend, interdisziplinär

Unsere Fachdebatten fördern Wissensaustausch, Meinungsbildung sowie Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Sie stehen für neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit unseren Fachdebatten wollen wir den respektvollen Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ermöglichen - faktenbasiert, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Ausklammerung kontroverser Meinungen.

kompetent, konstruktiv, reichweitenstark

Bei uns debattieren Spitzenpolitiker aus ganz Europa, Führungskräfte der Wirtschaft, namhafte Wissenschaftler, Top-Entscheider der Medienbranche, Vordenker aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie internationale und nationale Fachjournalisten. Wir haben bereits mehr als 600 Fachdebatten mit über 20 Millionen Teilnahmen online abgewickelt.

nachhaltig und budgetschonend

Mit unseren Fachdebatten setzen wir auf Nachhaltigkeit. Unsere Fachdebatten schonen nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das eigene Budget. Sie helfen, aufwendige Veranstaltungen und überflüssige Geschäftsreisen zu reduzieren – und trotzdem die angestrebten Kommunikationsziele zu erreichen.

mehr als nur ein Tweet

Unsere Fachdebatten sind mehr als nur ein flüchtiger Tweet, ein oberflächlicher Post oder ein eifriger Klick auf den Gefällt-mir-Button. Im Zeitalter von X (ehemals Twitter), Facebook & Co. und der zunehmenden Verkürzung, Verkümmerung und Verrohung von Sprache wollen wir ein Zeichen setzen für die Entwicklung einer neuen Debattenkultur im Internet. Wir wollen das gesamte Potential von Sprache nutzen, verständlich und respektvoll miteinander zu kommunizieren.