Die Digitalisierung bringt Effizienz – aber vielerorts auch Wachstum. Welchen Beitrag können also digitale Geschäftsmodelle, E-Commerce und IT-basierte Systeme für nachhaltigeres Wirtschaften leisten? Für Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement und Leiter des Centre for Sustainability Management (CSM) an der Leuphana Universität Lüneburg, stellt digitales Wirtschaften einen disruptiven Wandel dar und beinhaltet auf alle Fälle enorme Nachhaltigkeitspotenziale. „Es kann Transporte von Menschen und Briefen reduzieren und damit unerwünschte negative Transportwirkungen wie Emissionen, Unfälle, Platzbedarf usw. senken“, erklärt er in der Fachdebatte aus meinungsbarometer.info. Man sehe in der Pandemiezeit, dass der Ersatz einer Geschäftsreise durch ein digitales Konferenzmeeting viele ökologische Vorteile hat, aber eben auch Nachteile wie weniger wirklich persönliche soziale Begegnung. Die Frage, wie nachhaltig digitales Wirtschaften unter dem Strich ist, entscheide sich nicht nur dadurch, wie stark und wie schnell von analogen Prozessen auf digitale gewechselt wird, sondern auch dadurch, wie die Digitalisierung ausgestaltet wird, welche IT-Systeme genutzt werden und wie diese sich weiterentwickeln, gibt der Forscher zu bedenken.
Prof. Dr. Stefan Hähnel von der Internationalen Berufsakademie sieht im Wesentlichen zwei Punkte, die dazu führen, dass digitales Wirtschaften sehr nachhaltig werden wird. „Erstens sollten wir den technischen Fortschritt nicht unterschätzen, durch den sowohl der Ressourcenverbrauch (von der großen Festplatte zum USB-Stick) als auch der Energieverbrauch (höhere Energieeffizienz von Geräten) verringert werden kann. Zweitens sollten wir anstreben, dass die Energieversorgung zunehmend durch Erneuerbare Energien erfolgt.“ Er mahnt an, dass diese beiden Entwicklungen von der Politik durch geeignete Rahmenbedingungen unterstützt werden.
Zum Thema nachhaltige Verpackungen hat Prof. Dr. Mareike Müller von der Hochschule Macromedia mit ihrem Team Anfang des Jahres in Kooperation mit einem Waiblinger Industrieunternehmen ein studentisches Projekt durchgeführt. „Hier zeigte sich, dass viele Unternehmen bereits mit alternativen Versandmitteln experimentieren: Zuckerrohr als Alternative zu Polyethylen aus Erdöl, Hybridverpackungen, mehrfach nutzbare Verpackungen mit Pfandsystem, Samenpapier, recycelbarer Karton/Pappe oder bereits recycelter Karton/Pappe sind einige Beispiele.“ Die Rolle der Verpackung verändere sich, sei diese früher vor allem zur Schutzfunktion eingesetzt worden, diene sie nun auch als Kommunikations- und Werbemittel. „Gerade für
eCommerce-Unternehmen ist die Versand- und Produktverpackung ein wichtiger Teil der Customer Journey und ein unterschätzter Kontaktpunkt. Mit nachhaltigen Verpackungslösungen haben E-Commerce-Unternehmen die große Chance, das Thema Nachhaltigkeit, das für die Endkunden zunehmend an Bedeutung gewinnt, effektiv zu kommunizieren.“
Yvonne Zwick, Vorsitzende des B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften, nimmt auch die Kunden in die Pflicht. „Wichtig ist, dass ich als Bestellerin Sendungen bündele, sodass nicht mehrere einzelne Pakete gesendet werden, sondern nur ein Paket – was bei den Branchenriesen durch Zentrallager an unterschiedlichen Standorten weniger gut funktioniert.“ Retouren vermeide man durch smarte Angebote wie virtuelle Anproben und Showrooms, die einen Eindruck der Produkte verschaffen. Dr. Markus Bürger, Generalsekretär beim Österreichischen Rat für Nachhaltige Entwicklung sieht einen Lösungsansatz in der Kollektivierung kommerzieller Interessen und mehr Aufmerksamkeit für das Lokale. „So können etwa lokale Einkaufsgemeinschaften mit regionalen Ausgabestellen in Stadtvierteln und Bezirken eine Trendwende einleiten.“ Die Herausforderung sei, der globalen, digitalen Plattformwirtschaft ein lokales Äquivalent, also sprichwörtlich einen „Sitz im Leben“, zu geben.
Dass bei Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen manches nur Marketing ist, wissen die Experten. Prof. Dr. Lutz Becker, Studiendekan Master Sustainable Marketing & Leadership an der Hochschule Fresenius Köln, erklärt: „Greenwashing zu erkennen, ist für Laien extrem schwierig, nahezu unmöglich.“ Die schlechte Nachricht ist aus seiner Sicht: Von wirklich sauberer IT in allen Facetten sei man noch meilenweit entfernt. Rechenzentren würden in recht kurzen Zeitabständen völlig entkernt, um einen sicheren Betrieb zu ermöglichen. Hardware sei zu einem Wegwerfartikel verkommen. Er hat jedoch auch eine gute Nachricht: „Es gibt wenigstens anerkannte Siegel und Zertifikate, wie den blauen Engel für „Energieeffizienter Rechenzentrumsbetrieb" oder das „Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung" (EMAS Eco-Management and Audit Scheme).“ Diese Zertifikate könnten als eine erste Orientierung dienen.
Franz von Weizsäcker von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH nimmt insbesondere die Ökobilanz von Krypto-Währungen in den Blick. Er verweist darauf, dass Regierungen durch Finanzmarktregulierung, durch Lizenzierung des Betriebes von Krypto-Mining-Infrastrukturen, und durch Energiepreise Anreize setzen könnten, um den energieintensiven Betrieb von "Proof of Work"-Krypto-Mining Infrastrukturen einzudämmen. Ein koordiniertes Vorgehen der Staaten würde hier Sinn machen, da die Infrastrukturen sich weltweit befinden. Ein Kursverfall des Bitcoin-Wertes würde ebenfalls die energieintensive Mining-Aktivität weitgehend unwirtschaftlich machen. Er betont unterm Strich: „Die Digitalwirtschaft hat im Vergleich mit vielen anderen Branchen (Bau, Transport, Landwirtschaft uvm.) ein vergleichsweise gutes Verhältnis von wirtschaftlichem Mehrwert zu Ressourcenverbrauch.“