Die Pandemie hat den Hochschulen und Forschungseinrichtungen einen Digitalisierungsschub verpasst. Wo stehen die hiesigen Hochschulen in der digitalen Transformation derzeit?
Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften stehen für ein Commitment für die Lehre. Das gilt auch für digitale Lehrformate. Die Professorinnen und Professoren haben im Zusammenhang mit dem ersten durch die Corona-Pandemie bedingten Lockdown im Frühjahr 2020 ohne Zögern auf die neue Situation reagiert und im laufenden Semester – z. T. von einem Tag auf den anderen – auf digitale Lehre umgestellt. Sie haben dabei flächendeckend und fächerübergreifend ein digitales Angebot zur Sicherstellung des Lehrbetriebs umgesetzt. Die Pandemie hat hier die Transformation hin zur digitalen Lehre beschleunigt – in vielen Fällen zunächst als synchrone Digitallehre, also eine Verlagerung der Vorlesung aus dem Hörsaal in eine Video-Konferenz. Daneben sind zeitgemäße Ergänzungen und Weiterentwicklungen der traditionellen Präsenzlehre entwickelt und eingeführt worden. Grenzen für digitale Formate bestehen immer noch etwa im Laborbereich oder in der Sozialen Arbeit.
Auf der Grundlage dieser Erfahrungen streben die meisten Hochschulen für angewandte Wissenschaften heute einen ausgewogenen Mix aus Präsenz- und digitaler Lehre an. Ihre Studierendenschaft fordert einen starken Praxisbezug für den Erkenntnisfortschritt ein. Wenn Digitalisierung diesen Praxisbezug fördert, ist sie zu begrüßen. Soweit sie diesem Praxisbezug entgegensteht, kann sie im Studium nur begrenzt eingesetzt werden.
Die persönliche Begleitung der akademischen und fachlichen Sozialisation der Studierenden durch die Professorinnen und Professoren spielt an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften traditionell eine prägende Rolle. Dies äußert sich im Regelfall in der besseren Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden, in spezifischen Lehrformaten und der individuellen Unterstützung der Studierenden bei Kontakten mit der beruflichen Praxis. Daneben darf in sämtlichen Studienfächern der akademische Diskurs nicht zu kurz kommen. Digitale Formate erleichtern die Erfüllung dieser komplexen Aufgaben und schaffen Raum für eine Intensivierung und Fokussierung dieser Begleitung.
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Was brauchen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, um die digitale Transformation künftig zu verstetigen?
Hochschullehrende an Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben neben ihrem Auftrag zur angewandten Forschung ein sehr hohes Lehrdeputat – doppelt so hoch als an Universitäten. Das erschwert nicht nur die Forschung, sondern auch die Entwicklung von innovativen digitalen Lehrformaten. Dafür brauchen die Lehrenden ein Zeitkontingent. Insofern sehe ich hier vor allem eine aufgabengerechte Anpassung des Lehrdeputats auf maximal 12 SWS als Voraussetzung für eine weitere Digitalisierung des Studiums.
Gleichzeitig benötigen Hochschulen eine zeitgemäße technische Ausstattung der Lehrräume, eine moderne digitale Infrastruktur und Fachpersonal sowohl für den technischen Support als auch zur Erstellung und Optimierung digitaler Lehr- und Lernangebote. Dabei darf die Errichtung eines digitalen Campus nicht dazu führen, die lange versäumten Investitionen in die sächliche, personelle und räumliche Ausstattung des realen Hochschulcampus einzusparen.
Welche Effizienzgewinne lassen sich aus Kooperationen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen erzielen?
Unsere Studierenden arbeiten an Forschungseinrichtungen, z. B. in Projekten, als Werkstudierende oder als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, Doktorandinnen und Doktoranden, oder sind durch das Thema ihrer Abschlussarbeit in Forschungskooperationen z. B. mit Fraunhofer-Instituten eingebunden. Durch Kooperationen bei der Rekrutierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch sogenannte „gemeinsame Berufungen“, bei denen Professorinnen oder Professoren unter Beteiligung einer Hochschule für angewandte Wissenschaften und einer Forschungseinrichtung berufen werden, wird auch der Zugang der Studierenden zu interessanten Forschungsumgebungen einfacher möglich. Im Gegenzug können Forschungseinrichtungen aus dem Kreis der Studierenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gewinnen. Beide Seiten profitieren dann von diesen Strukturen. Auch hier sehen wir die digitale Transformation als Mittel zu einer Intensivierung der Kontakte und damit zu einer Steigerung der Effizienz.
Neben der technischen Infrastruktur braucht die digitale Transformation auch einen Kulturwandel – inwieweit wandeln sich die Prozesse an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in diesem Sinne?
Die Lehrenden an Hochschulen für angewandte Wissenschaften waren vor ihrer Professur alle in einer beruflichen Praxis tätig. Die Entwicklung innovativer und praxisorientierter Lösungen gehört quasi zu ihrer DNA. Sie sind daher per se offen für Fragestellungen aus der Gesellschaft und damit auch für die digitale Transformation. Die Effizienzgewinne und Vorteile der Digitalisierung sind ihnen vertraut, sie können aber auch deren Grenzen und damit verbundene Risiken einschätzen. Insgesamt dominiert an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften nicht die Abwehr, sondern die Neugier auf die mit der digitalen Transformation verbundenen Perspektiven.