Ein Zukunftszentrum soll Transformationsprozesse in den ostdeutschen Bundesländern in den Blick nehmen. Welche Erkenntnis kann aus der Untersuchung dieser Prozesse für die gesamte Bundesrepublik gezogen werden?
Die ostdeutschen Bundesländer haben nach der Wiedervereinigung einen tiefgreifenden, teilweise schmerzhaften Transformationsprozess erlebt, für den es keine Blaupause gab. Trotz aller Brüche und Umbrüche ist es eine Erfolgsgeschichte und eindrucksvoll zu sehen, wie sich in den letzten 30 Jahren die Wirtschaftsstruktur in Sachsen dank der enormen Kraftanstrengungen aller Beteiligten gewandelt hat. Die industriepolitische Strategie der sächsischen Landesregierung und ihre „Leuchtturmpolitik“ haben sich ausgezahlt. Die Ansiedlungen von VW in Zwickau und Chemnitz, von BMW, Porsche und DHL in Leipzig sowie die Siemens-Chipfabrik (heute Infineon) und AMD (heute Globalfoundries) in Dresden in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre waren nicht nur ein Signal für den Aufbruch, sondern auch wichtige Anker in den Regionen. Um diese Firmen hat sich ein breit aufgestelltes System von Zulieferbetrieben und mittelständischen Unternehmen angesiedelt. Damit wurde auch der Grundstein für die heute sehr erfolgreichen Branchennetzwerke, wie Silicon Saxony oder AMZ – Netzwerk Autozulieferer Sachsen gelegt.
Gleichzeitig gab es viele Erfolgsgeschichten aus dem Mittelstand, der Sachsens Wirtschaft nach wie vor prägt. Genannt seien clevere Geschäftsideen mit dem Mut zur Selbständigkeit, wie bei GK Software aus Schöneck/Vogtland, heute ein börsennotierter „Global Player“, oder bei KOMSA aus Hartmannsdorf, der größte Telekommunikations-Distributor in Deutschland. Erfolgreich waren auch Management-Buy-Out, wie bei XENON oder Robotron in Dresden. Zudem gab es engagierte westdeutsche und internationale Unternehmer, die Betriebe übernommen haben, wie z.B. Fit in Zwickau, und daraus innovative und wettbewerbsfähige Unternehmen gemacht haben.
Heute ist Sachsen der größte Halbleiter-Standort Europas und wieder ein weltweit bekanntes Autoland. Hinzu kommen eine hochspezialisierte Zuliefererindustrie sowie zahlreiche Akteure in zukunftsrelevanten Hoch- und Querschnittstechnologien, wie Robotik, KI und Wasserstoff. Diesen Erfolg belegen auch die Zahlen: So hat sich Sachsens Wirtschaftsleistung seit 1992 mehr als verdreifacht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zum einen die Chancen und Erfolgsgeschichten sind, die Orientierung für künftige Transformationen geben. Aber auch Erkenntnisse aus gescheiterten Projekten können wertvolle Impulse geben, um Fehler nicht zu wiederholen.
Nach wie vor gibt es erhebliche wirtschaftliche und soziale Unterschiede zwischen den westdeutschen und ostdeutschen Bundesländern. Wie kann und sollte die Politik aus jetziger Sicht dem entgegenwirken?
Diese pauschale Unterscheidung wird den realen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Städte, wie Dresden und Leipzig mit ihren Ballungsgebieten stehen längst auf einer Stufe mit erfolgreichen westdeutschen Städten, wie zahlreiche Rankings belegen. Wichtiger ist, dass nicht nur die Ballungszentren im Fokus stehen, sondern der ländliche Raum mehr Aufmerksamkeit erhält. Dort lebt über die Hälfte der Bevölkerung und dort ist der Sitz eines großen Teils der Unternehmen. Insofern geht es darum, in diesen Regionen für die richtigen Rahmenbedingungen sowie die notwendige soziale und technische Infrastruktur zu sorgen und so eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.
Welche Potenziale sehen Sie in den Transformations-Erfahrungen der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern für die künftige Entwicklung der gesamten Bundesrepublik?
Die Bundesrepublik steht wieder vor einem vielschichtigen Transformationsprozess, der vor allem ökologisch und digital getrieben ist. Auch hier ist der Wandel hin zu einem klima- und ressourcenschonenden Wirtschaftsmodell vor allem als Chance für eine aktive Gestaltung zu sehen. Darin steckt enormes wirtschaftliches Potenzial. Die Herausforderungen sind dabei sicher andere, aber grundsätzliche Erkenntnisse, wie die Notwendigkeit einer klaren und transparenten Kommunikation, die Einbindung der Beteiligten sowie die Förderung der Resilienz von Unternehmen können diesen Prozess konstruktiv unterstützen. Gleichzeitig gilt es die Risiken im Blick zu behalten, sie zu minimieren sowie verantwortungsvolle und ausgewogene Antworten für diese Themen zu entwickeln.
Das Zukunftszentrum soll auch die Perspektive der mittel- und osteuropäischen Nachbarn einbeziehen. Was lässt sich aus den Transformations-Prozessen dort lernen?
Vor allem aus einer gesamteuropäischen Perspektive ist diese Einbindung sinnvoll und bringt wertvolle Erkenntnisse mit. Denn hier wurden noch einmal andere Erfahrungen gemacht als in Deutschland - vor allem, weil kein westlicher Partner zur Verfügung stand. Hier gestaltete sich der Systemwechsel zur Marktwirtschaft deutlich schwieriger und langwieriger.