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22.03.2023
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UNTERSCHIEDE ZWISCHEN OST UND WEST NICHT SO GROSS WIE OFT BEHAUPTET

Wie ein ifo-Forscher das geplante Zukunftszentrum sieht

Prof. Dr. Joachim Ragnitz - Stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung Dresden, ifo Institut

Prof. Dr. Joachim Ragnitz - Stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung Dresden, ifo Institut [Quelle: ifo/ Klaus Gigga]


Ifo-Forscher Prof. Dr. Joachim Ragnitz hat keine großen Erwartungen an das geplante Zukunftszentrum für Transformationsprozesse. Der Fachmann für Strukturwandel räumt mit einigen Fehleinschätzungen über die Entwicklung im Osten auf.


Ein Zukunftszentrum soll Transformationsprozesse in den ostdeutschen Bundesländern in den Blick nehmen. Welche Erkenntnisse kann aus der Untersuchung dieser Prozesse für die gesamte Bundesrepublik gezogen werden?
Das geplante Zukunftszentrum ist vor allem auf die Dokumentation der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nach der Vereinigung ausgerichtet und soll erforschen, welche Auswirkungen diese Transformationsprozesse auf die heutige Gesellschaft haben. Derartige Arbeiten gibt es auch heute schon, aber eben nicht gebündelt an einem Ort. Im Ganzen ist deswegen weder ein großer Beitrag zur Forschung noch zur Gestaltung gesellschaftlicher Herausforderungen in Zukunft zu erwarten. Meine Erwartungen an das Zukunftszentrum sind deswegen nicht besonders hoch, aber ich lasse mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen.


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DIE DOKUMENTATION DIESER FACHDEBATTE

Nach wie vor gibt es erhebliche wirtschaftliche und soziale Unterschiede zwischen den westdeutschen und ostdeutschen Bundesländern. Wie kann und sollte die Politik aus jetziger Sicht dem entgegenwirken?
Die Unterschiede sind eigentlich gar nicht so groß wie oft behauptet. Die verfügbaren Realeinkommen liegen in einer Größenordnung von 90% des gesamtdeutschen Niveaus, die Arbeitslosigkeit ist inzwischen auch kein Problem mehr, und selbst mit Blick auf die demographische Entwicklung nimmt der Osten nur das vorweg, was in 5-10 Jahren fast alle Regionen in Deutschland durchmachen werden. Die noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland spiegeln zumeist eher Probleme der ländlich geprägten Regionen wider, und von denen gibt es im Osten halt mehr als im Westen. Das hat dann aber eben nichts mehr mit den Transformationsprozessen der letzten 30 Jahre zu tun.  

Welche Potenziale sehen Sie in den Transformations-Erfahrungen der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern für die künftige Entwicklung der gesamten Bundesrepublik?
Die Vermutung, dass sich die vergangenen Transformationserfahrungen für die Zukunft nutzen lassen könnten, finde ich ehrlich gesagt unbegründet, und bis vor wenigen Jahren wurden die Transformationserfahrungen ja auch eher als Trauma angesehen. Insoweit handelt es sich hierbei wohl eher um ein „Framing" bislang als negativ angesehener Konnotationen. Die Leute, die die Transformation vor 30 Jahren vorangetrieben haben, sind ja heute zumeist schon in Rente, und in vielen Fällen dürften die damaligen Erfahrungen auch eher zu Risikoscheu und Verunsicherung beigetragen haben, nicht zu Wagemut und unternehmerischem Engagement, wie es heute betont wird.

Das Zukunftszentrum soll auch die Perspektive der mittel- und osteuropäischen Nachbarn einbeziehen. Was lässt sich aus den Transformations-Prozessen dort lernen?
Dass das geplante Zukunftszentrum explizit auch die Verbindungen zu anderen osteuropäischen Ländern in den Blick nimmt, finde ich ja gut. Aber die Bedingungen dort und hier sind kaum miteinander zu vergleichen. Am ehesten würde ich als Vorteil der anderen Länder ansehen, dass man die Transformation weitgehend aus eigener Kraft hat bewältigen können, was eher Stolz auf das Erreichte zur Folge hat, als es in Ostdeutschland der Fall ist, wo häufig eher die Sorge um einen Verlust des Erreichten im Mittelpunkt steht.