Menue-Button
← FACHDEBATTE Interview

Prognoseoptionen als Herausforderung für Entscheider

Wie weit Politik in die Zukunft blickt - und wie Entscheidungen fallen

Dominik Meier - Vorsitzender der De‘ge‘pol und Inhaber von Miller & Meier Consulting Quelle: Andreas Schwarz Dominik Meier Vorsitzender Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (De‘ge‘pol) 12.03.2021
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Dipl.- Journ. Thomas Barthel
Founder & Herausgeber
Meinungsbarometer.info
ZUR FACHDEBATTE

"Die zunehmende Verfügbarkeit und technische Verarbeitungsfähigkeit von Daten bieten die Chance, gesellschaftliche Prozesse immer besser zu modellieren", sagt Dominik Meier, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (De‘ge‘pol). Er erklärt, wie aus Prognosen und Szenarien dann Entscheidungen werden.







Computergestützte Modelle schaffen es immer besser, Simulationen komplexer künftiger Entwicklungen herzustellen. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Chancen datengetriebener Prognostik?
Die zunehmende Verfügbarkeit und technische Verarbeitungsfähigkeit von Daten bieten die Chance, gesellschaftliche Prozesse immer besser zu modellieren. Die Covid-19 Pandemie ist hierfür ein Paradebeispiel. Die Modellierungen des Infektionsgeschehens ermöglicht es beispielsweise, die Impfaktivitäten besser zu koordinieren. Wann und wie genau Arztpraxen die Impfzentren beim Impfen unterstützen können, lässt sich tagesgenau simulieren.

Hier zeigt sich aber gleichzeitig auch die Herausforderung jeder Prognostik. Die Qualität jeder Prognose ergibt sich immer auch aus den zugrundeliegenden Daten und Annahmen. Je weniger Informationen zur Verfügung stehen und je komplexer die zugrundeliegenden Wirkmechanismen sind, desto schwieriger fällt die Erstellung zuverlässiger Prognosen. Daher stoßen computergestützte Modelle schnell an ihre Grenzen, wenn sie Aushandlungsprozesse vorhersagen sollen. Sind die Entscheidungsoptionen von Handlungen begrenzt, beispielsweise bei Wahlen, lassen sich diese computergestützt mit größerer Wahrscheinlichkeit vorhersagen als beispielsweise das Ergebnis der monatlichen Bund-Länder-Beratungen zur Pandemie.   

JETZT HERUNTERLADEN

DIE DOKUMENTATION DIESER FACHDEBATTE

DIE DOKUMENTATION ENTHÄLT

alle Debattenbeiträge ungekürzt im Original
Übersicht aller aktiven Debattenteilnehmer
Summary für Ihr Top-Management
MEHR ERFAHREN


Immer zuverlässigere Prognosen geben den Entscheidern immer genauere Handlungsempfehlungen an die Hand. Wie groß schätzen Sie die Gefahr zunehmender Alternativlosigkeit für Entscheider ein?
Viel hängt von der vorhandenen Datenlage ab. Die Gefahr einer Alternativlosigkeit durch Algorithmen sehe ich noch weit entfernt. Die Kontingenz der Gegenwart kommt hinzu. Die Kunst von Politik ist es daher, aus zahlreichen Prognosen mit jeweils unterschiedlichen Annahmen und damit verbundenen Empfehlungen, Entscheidungen abzuleiten. Die Herausforderung für die Entscheider ist also weniger ein „Prognosemonopol“, sondern vielmehr eine profunde Auswahl zwischen vorhandenen Prognoseoptionen.

Politische Führung wägt die unterschiedlichen Szenarien ab. Dabei verbindet sich das gesammelte Wissen über Prognostik mit der politischen Erfahrung eines Entscheiders. Beides zusammen führt zu Entscheidungen und zu ihrer Rechtfertigung.

Pandemie, Klimakrise, Kriminalistik – immer häufiger werden Algorithmen-basierte Modelle für Prognosen eingesetzt. Wer sollte aus Ihrer Sicht die Algorithmen kontrollieren?
Algorithmen müssen, ebenso wie alle anderen Technologien, den gesetzlichen Rahmenvorgaben entsprechen. Politische Verantwortung und die digitale Kompetenz von öffentlicher Seite hat die Aufgabe, die Grundrechte unserer Demokratie und des Rechtsstaats auch in der digitalen Welt zu garantieren. Mit dem Einsetzen einer Datenethikkommission nimmt die Bundesregierung diese Herausforderung ernst.

Die Regierung muss die Aufsichtsbehörden nun auch befähigen, Kontrollen auch in der Praxis durchzuführen. Es braucht praxistaugliche Lösungen, welche einerseits den Aufsichtsbehörden Durchsetzungsmöglichkeiten geben, andererseits aber nicht die Realitäten der globalen Digitalwirtschaft (u.a. den Schutz von Geschäftsgeheimnissen) ignorieren.

Seit den Orakeln in der Antike hat die Prognostik eine Tradition – wie sinnvoll sind aus Ihrer Sicht Vorausschauen ganz grundsätzlich, insbesondere wenn sie die weiter entfernte Zukunft betreffen?
Die antiken Orakel balancieren noch zwischen Wahrsagen und Fatalismus mit robustem und demütigem Blick auf den Himmel der Götter. Erst in der Renaissance, gerade in der Zeit der großen Pest im 14. Jahrhundert, entwickelt sich ein vertieftes Verständnis, um dem Zufall auf den Grund zu gehen. Der Zufall spiegelt nun auch eine Chance des Könnens, des Beherrschbaren und des Herstellbaren wider. Mit den Florentinern Leonardo und Machiavelli beginnt die intensive Beschäftigung mit dem Zufall und damit mit der Wahrscheinlichkeit. Die Grundlage aller zukünftiger Wahrscheinlichkeitsrechnung fasst Leonardo in einem berühmten Ausspruch zusammen: Wer nicht kann, was er will, muss das wollen, was er kann.

Die wissenschaftliche Prognostik, wie wir sie heute verstehen, entsteht erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Kontext des Zeitalters von Rationalismus und Technisierung. Seit Machiavelli sind für die Politik strategische Kalkulationen unablässig und elementarer Teil der Strategiebildung. Anders als rein naturwissenschaftliche Prognosen beruhen sie jedoch nicht nur auf universellen und unveränderlichen Axiomen, sondern primär auf Erfahrungswerten und sozio-politischen Variablen. Eine Politik, die nie schläft, hat enorme Schwierigkeiten langfristige politische Prognosen zu treffen. Nicht umsonst richten sich politische Blicke selten über die Wahlperiode hinaus.

UNSER NEWSLETTER

Newsletter bestellen JETZT BESTELLEN

■■■ WEITERE BEITRÄGE DIESER FACHDEBATTE

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Anja Leser
Geschäftsleitung
Philosophie.ch - Swiss Portal for Philosophy

Anja Leser - Geschäftsleitung, Philosophie.ch - Swiss Portal for Philosophy
Modelle | Prognosen

Über den Wert von Daten und die ■ ■ ■

Was sich vorhersagen lässt - und was daraus folgt

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Anja Leser
Geschäftsleitung
Philosophie.ch - Swiss Portal for Philosophy

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Reiner Eichenberger
LS Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik
Universität Fribourg

Prof. Dr. Reiner Eichenberger - LS Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik, Universität Fribourg
Modelle | Prognosen

Die besten Prognosen zerstören sich selbst

Wie Modelle von wem genutzt werden sollten

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Reiner Eichenberger
LS Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik
Universität Fribourg

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Gabriele Meyer
Vorstandsmitglied
Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.

Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer - Vorstandsmitglied, Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.
Modelle | Prognosen

Prognosen müssen Gegenstand von ■ ■ ■

Warum Handlungempfehlungen nicht immer befolgt ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Gabriele Meyer
Vorstandsmitglied
Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.

ZUR FACHDEBATTE

ÜBER UNSERE FACHDEBATTEN

Meinungsbarometer.info ist die Plattform für Fachdebatten in der digitalen Welt. Unsere Fachdebatten vernetzen Meinungen, Wissen & Köpfe und richten sich an Entscheider auf allen Fach- und Führungsebenen. Unsere Fachdebatten vereinen die hellsten Köpfe, die sich in herausragender Weise mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

überparteilich, branchenübergreifend, interdisziplinär

Unsere Fachdebatten fördern Wissensaustausch, Meinungsbildung sowie Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Sie stehen für neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit unseren Fachdebatten wollen wir den respektvollen Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ermöglichen - faktenbasiert, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Ausklammerung kontroverser Meinungen.

kompetent, konstruktiv, reichweitenstark

Bei uns debattieren Spitzenpolitiker aus ganz Europa, Führungskräfte der Wirtschaft, namhafte Wissenschaftler, Top-Entscheider der Medienbranche, Vordenker aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie internationale und nationale Fachjournalisten. Wir haben bereits mehr als 600 Fachdebatten mit über 20 Millionen Teilnahmen online abgewickelt.

nachhaltig und budgetschonend

Mit unseren Fachdebatten setzen wir auf Nachhaltigkeit. Unsere Fachdebatten schonen nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das eigene Budget. Sie helfen, aufwendige Veranstaltungen und überflüssige Geschäftsreisen zu reduzieren – und trotzdem die angestrebten Kommunikationsziele zu erreichen.

mehr als nur ein Tweet

Unsere Fachdebatten sind mehr als nur ein flüchtiger Tweet, ein oberflächlicher Post oder ein eifriger Klick auf den Gefällt-mir-Button. Im Zeitalter von X (ehemals Twitter), Facebook & Co. und der zunehmenden Verkürzung, Verkümmerung und Verrohung von Sprache wollen wir ein Zeichen setzen für die Entwicklung einer neuen Debattenkultur im Internet. Wir wollen das gesamte Potential von Sprache nutzen, verständlich und respektvoll miteinander zu kommunizieren.