Computergestützte Modelle schaffen es immer besser, Simulationen komplexer künftiger Entwicklungen herzustellen. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Chancen datengetriebener Prognostik?
Ausschlaggebend für Wissenschaftler*innen ist, welcher Wert den zur Verfügung stehenden Daten zugemessen wird sowie also die Identifikation, Verarbeitung, Modellierung und Interpretation der Daten. Somit beantwortet sich die Frage auch darin, wie gut die Analyse der zu Grunde liegenden Daten ist, denn welche Daten von wem unter welchen Bedingungen erstellt wurden, beeinflussen das Ergebnis der Simulationen massgebend. Die Chancen datengetriebener Prognostik liegen also darin, dass die Wissenschaftler*innen den Wert für sich und andere zu steigern versuchen.
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Immer zuverlässigere Prognosen geben den Entscheidern immer genauere Handlungsempfehlungen an die Hand. Wie groß schätzen Sie die Gefahr zunehmender Alternativlosigkeit für Entscheider ein?
Aus meiner Sicht ist diese Gefahr relativ gering, da ein differenziertes Verständnis von Prognosen stets auch eine Unsicherheit offen lässt. Zudem ist es die Aufgabe der Entscheidern die Handlungsempfehlungen und deren Varianten abzuwägen. Die Empfehlungen alleine stellen noch keine Entscheidungen dar und fokussieren auf die Datengrundlage, welche sich erst in einem zweiten Schritt in einem komplexeren Umfeld, wie beispielsweise sozialen oder wirtschaftlichen Überlegungen, einordnen lassen. Eine Alternativlosigkeit bleibt durch eine unterschiedliche Bewertung der Daten somit aus. Die Gewichtung der Prognosen bleibt, auch wenn die Prognosen noch so qualitativ gut sind, bei den Entscheidern.
Pandemie, Klimakrise, Kriminalistik – immer häufiger werden Algorithmen-basierte Modelle für Prognosen eingesetzt. Wer sollte aus Ihrer Sicht die Algorithmen kontrollieren?
Es gibt tatsächlich grosse Risiken und eine Privatisierung der Daten beeinflusst die Verbreitung der Daten. Die Unternehmen veröffentlichen in der Regel nur die Daten frei, die sie als kommerziell weniger wertvoll erachten und bei deren Interpretation sie die Unterstützung des öffentlichen Sektors benötigen. Dies führt zu einer Verzerrung bei den Arten von Daten, da teurere und komplexere Daten geheim gehalten werden können. So können Methoden verbreitet werden, mit denen die Bürger - einschließlich der Wissenschaftler*innen - zur Interaktion mit Datenbanken und Datenauswertungs-Websites ermutigt werden, welche dazu neigen, eine Beteiligung zu fördern, die weiteren kommerziellen Wert schafft. Hier könnte die Bewertung der Datenqualität auf eine Bewertung deren Nützlichkeit reduziert werden, womit eine grosse Gefahr besteht, dass der Handel mit Daten von einer zunehmenden Unstimmigkeit zwischen den Daten und ihrem Kontext begleitet wird. So könnte schlimmstenfalls die Pluralität des wissenschaftlichen Wertes durch den zunehmenden Einfluss des finanziellen Wertes der Daten ersetzt werden.
Seit den Orakeln in der Antike hat die Prognostik eine Tradition – wie sinnvoll sind aus Ihrer Sicht Vorausschauen ganz grundsätzlich, insbesondere wenn sie die weiter entfernte Zukunft betreffen?
Das Problem betrifft die Frage, wie man Prognosen einen Wahrheitswert zuschreiben kann. Falls es sich um mehrere mögliche Entscheidungen handelt, welche morgen oder in weiter Ferne getroffen werden können, kann es dann jetzt schon eine Wahrheit geben, welche Entscheidung getroffen werden wird? Falls man diese Frage mit „Ja" beantwortet, müsste man begründen können, weshalb etwas was noch offen ist, trotzdem schon jetzt wahr sein kann. Wenn es um Fragen von Generationengerechtigkeit geht, stellen Vorausschauen eine Notwendigkeit dar. Ähnlich lässt sich auch der Satz „die erste Astronautin, welche zum Mars fliegt, wird eine einzigartige Aussicht haben" als korrekt identifizieren.