Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der nachhaltigen Mobilitäts- und Verkehrsplanung?
Luxemburg verfolgt 3 Ansätze:
1. Die Information der Planung selbst: Unter dem Leitsatz „Infrastruktur effizient nutzen“ definiert der „nationale Mobilitätsplan 2035“ einen umfassenden Satz Projekte, Maßnahmen und Richtlinien, die das luxemburgische Mobilitätsangebot fit machen für die rasant wachsende Nachfrage bis 2035. Es gilt die Nachfrage systematisch zu antizipieren, an Stelle ihr mit Einzelprojekten hinterher zu hinken. Das ist im Großherzogtum, einer der schnellst wachsenden Regionen Europas, eine echte Herausforderung. Das ist nur über ein tiefgründiges, vollumfassendes und evidenzbasiertes Verständnis der Mobilitätsbedürfnisse sowie der Stärken und Schwächen des bestehenden Systems zu meistern. Die Digitalisierung spielt dabei eine Schlüsselrolle: Nicht nur ermöglicht sie immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Sie erschließt auch gänzlich neue Datenquellen, die oft günstiger, umfangreicher und schneller als traditionelle Instrumente sind. Besonders attraktiv ist die Wiederverwertung jener Daten, die die Komponenten des Transportsystems selbst im Betrieb abwerfen, als direkter Effekt der Digitalisierung. Mit der Schaffung des „Observatoire Digital de la Mobilité“ gibt sich das Mobilitätsministerium ein Instrument, dieses Potenzial für die bestmögliche Planung auszuschöpfen.
2. Die digitale Verbindung zu den Reisenden: Wohl spielt der Ticketverkauf in Luxemburg seit dem Gratis-ÖV nur noch eine untergeordnete Rolle (im grenzüberschreitenden Verkehr). Das Angebot nutzen kann aber natürlich nur wer davon weiß. Das ist umso wichtiger als gelegentliche Störungen selbst im bestgeplanten Transportnetzwerk unvermeidbar sind; in der Tat reicht manchmal ein einziges Ereignis um Menschen langfristig in ihrer Mobilitätswahl zu beeinflussen, Ticket hin oder her. Ein zuverlässiger, sekundenaktueller Informationsfluss der Netzbetreiber und Dienstleistungsanbieter unter sich und hin zu allen Nutzern, inklusive über die Landesgrenzen hinaus ist also unentbehrlich. In Luxemburg wird dies unter anderem über die multimodale Auskunft „mobiliteit.lu“ sichergestellt. Die Basis dafür ist durchgehende Interoperabilität aller betroffenen Systeme. Das ist eben nicht nur eine technische Frage, sondern verlangt eine mobilitätsaffine, übergeordnete Planung, genauso wie sie auch für physische Transportinfrastrukturen notwendig ist.
3. Aufbauend auf dem Fundament der Daten und Interoperabilität der ersten zwei Ansätze können neue Mobilitätskonzepte entstehen. In Luxemburg attraktiv ist dabei insbesondere die Dynamisierung des Angebots. Doch nur weil es beispielsweise technisch möglich ist einen Linienbus durch ein dynamisches Flächenkonzept zu ersetzen, heißt noch lange nicht, dass dies auch sinnvoll ist. Die Mobilitätsplanung ist hier gefragt, um bei aller Faszination die von neuen Ansätzen ausgeht, das Wichtigste nicht zu vergessen: Ziel bleibt, Menschen und Waren an ihr Ziel zu bringen, nicht Digitalisieren der Digitalisierung wegen.
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Wie wichtig ist die Priorisierung bei der Verkehrsplanung, wenn man die gesetzten Umwelt- und Klimaschutzziele erreichen möchte?
Es ist klar, dass ohne eine Änderung der Prioritäten in der Verkehrsplanung, eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens wie es nötig sein wird, um Umwelt- und Klimaschutzziele zu erreichen, nicht möglich sein wird. Natürlich müssen diese Planungsprioritäten sich auch in den Investitionen widerspiegeln. Deswegen haben wir in Luxemburg in den letzten Jahren das Verhältnis von 2/3 – 1/3 der Investitionen zugunsten des motorisierten Individualverkehrs zu einem 2/3 – 1/3 Verhältnis zugunsten der öffentlichen Verkehrsmittel umgekehrt. Eine Priorisierung nachhaltiger Verkehrsmittel hat aber auch andere Ziele als Umwelt- und Klimaschutz. Es geht, gerade im innerstädtischen Bereich auch um eine andere Aufteilung des öffentlichen Raumes, dessen Aufwertung und letzten Endes um eine Verbesserung der Lebensqualität der Einwohner.
Wie kann die sozial-ökologische Mobilitäts- und Verkehrswende gelingen, die niemanden abhängt und alle mitnimmt?
Es klingt trivial, aber alles was Qualität hat, hat Erfolg. Wir haben 70 Jahre lang ein engmaschiges, hochattraktives Straßennetz gebaut. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn viele Leute auf ihr Auto zurückgreifen. Wenn sichere und getrennte Radwege gebaut werden, wird dasselbe mit dem Fahrrad passieren, genauso ist es mit dem ÖPNV. Wir müssen Fahrradinfrastrukturen mit derselben Konsequenz bauen als wir früher unsere Straßen geplant und gebaut haben. Es führt auch kein Weg daran vorbei massiv in den ÖV zu investieren. Luxemburg investiert beispielsweise mehr in die Schiene als in neue Straßeninfrastruktur.
Außerdem sollte man keine Politik gegen das Auto machen, sondern eine Politik für mehr Auswahl bei der Verkehrsmittelwahl und eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums. So schafft man Akzeptanz und vermeidet Frustration. In der Verkehrswende sollte die Anzahl der beförderten Personen eine Rolle spielen. Wenn der öffentliche Raum eng wird, klassischerweise in unseren Innenstädten, muss man sich fragen, mit welchem Verkehrsmittel man pro Quadratmeter am meisten Leute befördern kann.
Wenn man im Zentrum einer Stadt eine Fahrspur für den MIV wegnimmt, um einen Fahrradweg zu bauen, so ist das absolut nachvollziehbar. Ein Auto braucht 90 qm² Platz, wenn es mit 30 km/h durch eine Stadt fährt, ein Fahrrad braucht nicht einmal ein Drittel so viel Fläche. Beim geparkten Fahrrad oder Auto ist die Diskrepanz noch grösser (1/13).
Auf gesellschaftlicher Ebene spielt der kostenlose ÖV eine Rolle. Man entkoppelt den Nutzer des ÖV’s von der Finanzierung des ÖV’s. Schließlich reichen die Steuern auf Autos und Benzin auch nicht mal ansatzweise aus, um den Unterhalt der Straßen zu bewerkstelligen. Wieso sollte man im ÖV den Nutzer den Großteil der Investitionen und Betrieb zahlen lassen?
Wie möchte man einen verlässlichen ÖPNV in den ländlichen Regionen ausbauen?
Im diffus besiedelten ländlichen Raum muss der ÖPNV zwei gegensätzliche Ziele erfüllen. Die Feinerschließung der einzelnen Dörfer und das attraktive, und also schnelle, Befördern der Hauptverkehrsströme in Richtung der nächsten Zentralitäten. In den ländlichen Gebieten Luxemburgs besteht der ÖPNV also einerseits aus sogenannten Expressbuslinien, die möglichst direkte Wegführungen haben, nur wichtige Haltestellen anfahren und eine direkte Verbindung nach Luxemburg-Stad oder einem wichtigen Bahnhof herstellen und anderseits aus lokalen Buslinien, die eine Erschließung aller Ortschaften gewährleisten und Verbindungen auf kleineren Bahnhöfen oder Expressbuslinien anbieten. Ein Netz aus lokalen, kleineren Park and Rides so wie gute Radanbindungen zu den Haltestellen der Hauptbuslinien werden das lokale ÖV-Angebot ergänzen.
Dies ist natürlich nur mit einer konsequenten Erhöhung der Investitionen im ÖV möglich. Mit der kompletten Reform des regionalen Busnetzes bis zum 17. Juli 2022 wurde das Angebot im ländlichen Raum zusätzlich substantiell erhöht. Das Netz wurde vor allem am Wochenende und abends verstärkt, so dass alle nationalen Linien auch am Sonntag mindestens im 2-Stundentakt zirkulieren. An Wochentagen wurde das Angebot, gemessen an einzelnen Fahrten, um 25% verstärkt, an Sonntagen und Feiertagen sogar um 380%.