Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der nachhaltigen Mobilitäts- und Verkehrsplanung?
Die Verkehrspolitik in Deutschland ist noch immer in erster Linie Autopolitik. Gleichzeitig hängen wir hierzulande bei der Digitalisierung im Verkehrssektor anderen Ländern hinterher. Der Fokus in breiten Teilen der Politik liegt aktuell auf dem sogenannten „autonomen“ - beziehungsweise korrekt formuliert - auf dem automatisierten Fahren. Wieder wird primär auf technische Problemlösungen gesetzt und Entscheidungen zu Verkehrsvermeidung, Verlagerungen sowie Push & Pull-Maßnahmen drohen wieder hinten runter zu fallen. Dabei wird übersehen, dass technische Lösungen und Effizienzverbesserungen Reboundeffekte auslösen können, die dann nicht zu weniger Verkehrsaufkommen führen, sondern zu mehr Autoverkehr. Datenschutz- und Datensicherheitsprobleme müssen im Vorfeld erkannt und gelöst werden, nicht erst wenn jedes Fahrzeug, jederzeit die gesamte Umgebung überwacht.
Die Digitalisierung, insbesondere die Vernetzung öffentlicher Mobilitätsangebote auf digitalen Plattformen, eröffnet aber auch Chancen für einen Paradigmenwechsel zu einer nutzerorientierten Mobilität. Multimodalität, also die Kombination mehrerer Verkehrsmittel, ist schon heute kaum mehr ohne digitale Apps und Informationsflüsse denkbar. Eine höhere Auslastung des bestehenden Bahnnetzes ist ohne digitale Leit- und Signaltechnik nicht möglich, ebenso die Förderung nachhaltiger Logistik. Einige Digitalisierungstrends spielen der Ökologie in die Karten wie zum Beispiel die Videokonferenzen, die Dienstreisen per Flugzeug ersetzen. Auch die Ausweitung von Homeoffice durch die Corona-Krise kann bleibende, positive Folgen haben. Damit Digitalisierung tatsächlich einen hinreichenden Beitrag zu nachhaltiger Mobilität leistet, muss sie aber politisch gestaltet und in eine Mobilitätswendepolitik eingebettet werden, die ökologischen Zielen verpflichtet ist.
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Wie wichtig ist die Priorisierung bei der Verkehrsplanung, wenn man die gesetzten Umwelt- und Klimaschutzziele erreichen möchte?
Bislang liefert der Verkehrssektor nicht ab, wenn es darum geht, klimaschädliche Emissionen einzusparen. Deshalb ist es für den Verkehrsbereich essentiell, dass wir uns darauf konzentrieren, die bestehenden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen, aber auch notwendige Warenströme klimafreundlich und im Einklang mit Mensch und Natur zu gestalten. Wir müssen zukünftig Mobilität mit möglichst wenig Verkehr ermöglichen und hierzu ist es notwendig, dass eine echte Mobilitätwende eingeleitet wird.
Mobilität auf dem Land und in der Stadt darf zukünftig nicht mehr vom Auto ausgedacht werden. In der Stadt ist es vor allem der begrenzte Straßenraum, der fairer verteilt und den Bedürfnissen von Radfahrenden, zu Fuß Gehenden und des ÖPNVs gerecht werden muss. Im ländlichen Raum sind es vor allem die Alternativen zum eigenen Auto, die fehlen. Hier ist beispielsweise eine deutlich verbesserte Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs notwendig, um den Bedürfnissen der Bürger*innen gerecht zu werden. Was in der derzeitigen Mobilitätspolitik falsch läuft, sehen wir gut daran, dass hierzulande noch immer hunderte neue Fernstraßenprojekte in Planung und Bau sind, während gleichzeitig Geld und Planungs- und Genehmigungskapazitäten für Verbesserungen im Bahnnetz oder der Umgestaltung urbaner Räume fehlen.
Wie kann die sozial-ökologische Mobilitäts- und Verkehrswende gelingen, die niemanden abhängt und alle mitnimmt?
Eine soziale und ökologische Mobilitäts- und Verkehrswende ist machbar. Um genau das sicherzustellen, haben wir gemeinsam mit anderen Umweltverbänden, Sozialverbänden, Gewerkschaften und der evangelischen Kirche das Bündnis ‘Sozialverträgliche Mobilitätswende‘ initiiert. Hintergrund war, das immer wieder versucht wurde, Soziales und Ökologie gegeneinander auszuspielen. Das ist falsch. Wir sind der festen Überzeugung, dass das eine nicht ohne das andere funktionieren kann. Wichtig ist einerseits bezahlbare, barrierefreie und attraktive Alternativen zum eigenen Auto zu schaffen und auf der anderen Seite deutlich zu machen, dass saubere Luft, Natur und Umwelt nicht immer weiter für den Straßenverkehr geopfert werden dürfen. Am Ende ist es so, dass vor allem die Menschen mit wenig Geld gute, öffentliche Angebote brauchen. Den Entscheider*innen muss klarwerden, welchen Mehrwert eine Mobilitätspolitik jenseits des Autos für breite Teile der Bevölkerung und gleichzeitig für Umwelt und Klima hat.
Wie möchte man einen verlässlichen ÖPNV in den ländlichen Regionen ausbauen?
ÖPNV ist in vielen Fällen vor allem Alltagsverkehr. Es muss den Menschen also ermöglich werden, ihre täglichen Wege mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erledigen. Reaktivierungen von Schienenstrecken sind dabei ebenso wichtig, wie leistungsstark vertaktete regionale Buslinien. Bahnhöfe in ländlichen Regionen müssen zu multimodalen „Mobilitätsdrehscheiben“ entwickelt werden, an der leistungsfähige Angebote auf der Schiene mit anderen Verkehrsmitteln verknüpft werden. Hier sollten örtliche und regionale Busverkehrssysteme, bedarfsorientierte Angebote wie Car-Sharing- oder Ride-Sharing-Systemen und Fahrrad-Verleihangeboten zusammenlaufen. Denn es ist auch klar, der Bus für 50 Personen, ist nicht immer die beste Lösung. Deshalb ist es wichtig, dass in Räumen und zu Zeiten schwacher Nachfrage alternative Betriebsformen zur Sicherung der Mobilität eingeführt werden. Dabei ist die Elektromobilität, vor allem im Bereich des Fahrradverkehrs, als Ergänzung öffentlicher Verkehrssysteme eine große Chance, ebenso wie Mitfahrangebote.