Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der nachhaltigen Mobilitäts- und Verkehrsplanung?
Digitalisierung ist in erster ein Hilfsmittel und kein Selbstzweck. Entscheidend für eine nachhaltige Verkehrsplanung ist ihre Wirkung auf das Mobilitätsverhalten der Menschen. Dieses wiederum wird in erster Linie von den Lebensumständen (Wohnort, Beschäftigung, Fahrzeugbesitz, Einkommen usw.) und vom Verkehrsangebot (wie schnell? wie zuverlässig? wie teuer? wie einfach?) beeinflusst. Entscheidende Weichen für das Verkehrsgeschehen werden also in der Raumentwicklung und beim Städtebau gestellt, sie sind nur sehr langfristig veränderbar. Ebenfalls langfristig wirken die Infrastrukturen, also die Verkehrsnetze und ihre Qualität bzw. Kapazität. Breite Gehwege, sichere Velorouten und leistungsfähige ÖV-Trassen sind eine Voraussetzung dafür, dass sich Menschen dafür entscheiden, zu Fuss zu gehen, das Fahrrad zu nutzen oder in den Bus bzw. den Zug zu steigen. Digitale Hilfsmittel können dabei helfen zu informieren und die Buchung von Angeboten zu erleichtern. Das ist besonders wichtig für den einfacheren Zugang zu Sharing-Angeboten und ÖV-Systemen. Der Vergleich zwischen dem Buchen eines Flugtickets und dem Kaufen eines internationalen Bahntickets führt anschaulich vor Augen, welches Potenzial bei der Eisenbahn noch nicht ausgeschöpft ist.
Auch kann die Digitalisierung die differenzierten Preissysteme zum Durchbruch verhelfen, also z.B. Anreize dafür schaffen ausserhalb der Spitzenstunden unterwegs zu sein, um Kapazitäten gleichmässig auszulasten. Eine einfache Anwendung elektronischer Hilfsmittel sind verkehrsabhängige Lichtsignalsteuerungen. Sie ermöglichen bei geringem Kosten eine intelligente Ausnutzung der Kapazität und eine gezielte Steuerung des Verkehrsflusses an Knotenpunkten. In der Schweiz sind solche Steuerungen seit Jahrzehnten selbstverständlich, in vielen anderen Ländern schalten die Ampeln nach weitgehend starren Zeitplänen. Das verursacht unnötig lange Wartezeiten, ist unglaublich ineffizient und in der heutigen Zeit absolut unverständlich.
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Wie wichtig ist die Priorisierung bei der Verkehrsplanung, wenn man die gesetzten Umwelt- und Klimaschutzziele erreichen möchte?
Bleiben wir zunächst bei den Lichtsignalanlagen: Jedes Ampelprogramm, ob intelligent oder veraltet, widerspiegelt eine Priorisierung: Wenn ein Bus mit 50 Menschen stoppen muss, um drei Autos aus einer Seitenstrasse ausfahren zu lassen, dann ist das eine klare Privilegierung der drei oder vier Autoinsassen. Und es ist auch deshalb volkswirtschaftlicher Unsinn, weil die öffentliche Hand die unproduktive Zeit von Bus und Fahrer bzw. Fahrerin zahlen muss. Generell gilt: Wer Politik gestalten möchte, kommt nie daran vorbei, Entscheide zu treffen und Schwerpunkte zu setzen. Die Verkehrsplanung in der Schweiz ist schon seit Jahrzehnten darauf ausgerichtet, den ÖV als Ganzes und das Bahnsystem im Besonderen zu stärken. Das zeigt sich in namhaften Investitionsprogrammen und einem dichten Angebot gut untereinander vernetzter Verbindungen, die zuverlässig sicherstellen, dass Menschen auch ohne Auto an ihr Ziel kommen, selbst spätabends und am Wochenende.
Gleichzeitig wird das Strassennetz keinesfalls vernachlässigt und die Menschen sind frei das für sie passende Verkehrsmittel zu wählen. In Basel werden, wie in vielen städtischen Ballungsräumen, auch der Fuss- und der Veloverkehr sehr ernstgenommen. Die Kantonsregierung hat Teilrichtpläne beschlossen mit dem Ziel durchgängige, sichere Netze zu schaffen. Der öffentliche Raum ist dicht genutzt, und in jedem Umgestaltungsprojekt wird die Aufteilung der wertvollen Flächen sorgfältig abgewogen, wobei die Führung der Fussgänger und Velofahrerinnen sehr viel Aufmerksamkeit geniesst. Zugunsten breiterer Gehwege, sicherer Radstreifen, hindernisfreier ÖV-Haltestellen und mehr städtischem Grün werden vielfach Parkplätze am Strassenrand aufgehoben. Punktuell werden Autoparkfelder in Zweirad-Parkplätze umgewandelt, wobei ein solches Feld acht bis zehn Velos aufnehmen kann. Mehrspurige Strassen sind in Basel hingegen kaum zu finden, denn Stadtbild, Bausubstanz und Strassenbäume wurden selbst in den Sechziger oder Siebziger Jahren nur ungern zugunsten breiterer Fahrbahnen geopfert. Das Potenzial Autospuren umzuwandeln und für Radwege oder Grünflächen zu nutzen ist deshalb weit geringer als in vielen deutschen Städten vergleichbarer Grösse.
Wie kann die sozial-ökologische Mobilitäts- und Verkehrswende gelingen, die niemanden abhängt und alle mitnimmt?
Da die Basler Verkehrspolitik schon seit Jahren erfolgreich bewirkt, dass der motorisierte Individualverkehr (MIV) stetig abnimmt, streben wir definitiv keine Verkehrswende an. Die Mehrheit der Baslerinnen und Basler wünscht, dass die Politik diesen Kurs fortsetzt und Mobilität in Zukunft noch umweltfreundlicher und stadtgerechter möglich wird. In einer direkten Demokratie kann die Bevölkerung sowohl die grossen strategischen Ziele als auch einzelne Massnahmen beeinflussen, denn sie bestimmt über Initiativen und Volksabstimmungen mit. Regierung und Verwaltung sind daher gut beraten, die Stimmung von Verbänden und Parteien ständig abzufragen und diese in partizipatorischen Verfahren einzubeziehen, damit Planungen und Gesetzesvorlagen mehrheitsfähig werden. Die These, dass Mobilität nur dann sozial gerecht ist, wenn Verkehr quasi gratis ist, ist sehr kurzsichtig gedacht. Denn zu billiger Verkehr führt zu Überkonsum mit allen negativen Folgen: hoher Energieverbrauch, negativer Beitrag zur Klimaerwärmung, kaum finanzierbare Investitionen in die Leistungsfähigkeit eines immer stärker belasteten Verkehrssystems. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind vor allem langfristig immens. Im Warenverkehr zeigen sich die verheerenden Konsequenzen zu billiger Transportleistungen derzeit besonders deutlich: Abhängigkeit von globalen Lieferketten, fehlende Lagerhaltung, Verlust wirtschaftlicher Eigenständigkeit, Produktion unter inakzeptablen Arbeitsbedingungen und mit grossen Umweltschäden etc. Fiskalische Anreize für den Kauf und den Betrieb von Firmenwagen zum Beispiel führen zu ähnlichen Effekten: zu grosse und schwere Fahrzeuge, zu viele Kilometer die bei sehr hohem Energieverbrauch zurückgelegt werden. Verantwortungsvolle Politik hat die Gesellschaft als Ganzes im Blick und sichert die Lebensqualität zukünftiger Generation. Dafür hält sie kurzfristigen Widerstand von Anspruchsgruppen aus, die bisher möglicherweise privilegiert waren und sich gegen Veränderungen verständlicherweise, aus reinem Eigennutz wehren.
Wie möchte man einen verlässlichen ÖPNV in den ländlichen Regionen ausbauen?
Es ist offensichtlich, dass der klassische Linienverkehr dort am effizientesten organisiert werden kann, wo die Verkehrsnachfrage hoch ist und Siedlungen dicht gebaut sind. Das Beispiel Schweiz zeigt aber, dass auch ländliche Räume eine angemessene Erschliessung mit Bus- oder sogar Bahnlinien verdienen. Sie werden so Teil eines Gesamtsystems, das nicht nur Ballungsräume verbindet und erschliesst, sondern auch Nebenzentren und entlegene Seitentäler einbezieht, deren Nachfrage wiederum die Hauptstrecken mit "füttert". Damit dies funktioniert, müssen regionale Postautolinien, S-Bahnen und Schnellzüge untereinander abgestimmt, Anschlüsse geplant und zuverlässig eingehalten werden. Das Angebot muss jeweils zur Siedlungsstruktur und zum Nachfragepotenzial passen. Das Waldenburgertal südlich von Basel etwa lässt sich leicht durch eine Überland-Bahnlinie erschliessen und am Bahnhof Liestal an das übergeordnete Eisenbahnnetz anbinden. Streusiedlungen im benachbarten Elsass hingegen sind mit klassischen Linien nur sehr aufwändig zu erschliessen. In solchen Gebieten können "on-demand"-Angebote die kombinierte Mobilität (Auto oder E-Bike zur nächsten Bahnstation, dann weiter mit dem Zug) ergänzen und die Freiheit schaffen auch ohne eigenes Fahrzeug mobil zu sein, bei vernünftigem finanziellen Aufwand.