Welche gesundheitlichen Gefahren birgt ein Übermaß an Digitalarbeit?
Die digitale Transformation in der Arbeitswelt geht mit einer Hinzunahme von digitalen Arbeitsmitteln, eventuell auch mit neuen Kommunikationswegen, mit Informationsflut sowie mit Arbeitsverdichtung einher. Hierdurch können die Erwartungen an das Arbeitstempo und Arbeitspensum des Einzelnen steigen. Zumeist treten - laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmedizin der Charité (IAC) - gesundheitliche Gefahren digitaler Arbeit durch die Verstärkung der digital angetriebenen Arbeitsintensivierung auf. Relevant ist dabei, über welche Arbeitsressourcen und Kompetenzen Mitarbeitende bei digitaler Arbeit verfügen. Arbeitsressourcen, wie z. B. die Autonomie der einzelnen Mitarbeitenden, sowie arbeitsspezifische Kompetenzen können gesundheitliche Gefahren vermindern und stellen einen Ansatzpunkt für Interventionen bei Transformationsprozessen dar.
Neben z.B. Konzentrationsstörungen, emotionaler Erschöpfung oder Schlafstörungen können auch Beschwerden im Bewegungssystem und gesundheitliche Auswirkungen auf die Augen und das Sehvermögen durch die vermehrte Arbeit vor dem Bildschirm auftreten.
Die quantitative Zunahme digital verrichteter Tätigkeiten kann auch zu qualitativen Veränderungen ganzer Tätigkeitsprofile führen, die sich wiederum negativ auf die Sinnstiftung und soziale Einbindung im Kontext von Arbeitstätigkeiten auswirken können. Solche potentiellen psychosozialen Auswirkungen sollten besonders bei sozioökonomisch schlechter positionierten Beschäftigten bedacht werden. Es gibt wissenschaftliche Hinweise darauf, dass diese Personengruppe häufig weniger Einflussmöglichkeiten hat, die Umsetzung digitaler Transformationsprozesse aktiv mitzugestalten.
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Wie gehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der digitalen Arbeitswelt mit potenziellen gesundheitlichen Risiken um, wie kann man ihnen vorbeugen, Resilienz aufbauen?
Arbeitgeber sollten frühzeitig und proaktiv typische Gefahren digitaler Veränderungen thematisieren und unter Einbindung der Beschäftigten partizipativ Lösungen entwickeln. Resilienz kann unter anderem dadurch gestärkt werden, dass in Form einer partizipativen Chancen- und Risikenabwägung mehr Bewusstsein dafür geschaffen wird, inwiefern bestimmte Chancen auch mit gesundheitlichen Gefahren einhergehen können. Bei der Frage der Resilienz kann und sollte der Fokus nicht nur auf der Verantwortung des Einzelnen liegen, sondern auch eine mögliche Gruppendynamik berücksichtigen. So kann gemäß einer aktuellen Studie des IAC im Homeoffice das Gefühl entstehen, hinter den Kolleg*innen „zurückzufallen“, wenn zum Beispiel ein Teil der Kolleg*innen E-Mails außerhalb der Arbeitszeit beantworten. Gruppendruck entsteht meist subtil, so dass viele die Gruppendynamik nicht mehr bewusst wahrnehmen. Daher helfen meist nur kollektive Spielregeln, z.B. klare Regeln zur generellen Erreichbarkeit.
Welche Rolle spielen dabei die Gestaltung des Arbeitsplatzes bzw. die Formatierung der Arbeitsinhalte?
Neben einer ergonomischen und individuell angepassten Arbeitsplatzausstattung durch den Arbeitsgeber ist auch das aktive Gesundheitsverhalten der Arbeitnehmer notwendig, um Gesundheitsrisiken entgegenzuwirken. Gesundheitserhaltende Angebote müssen vom Arbeitnehmer letztlich nachhaltig und aktiv genutzt werden, um präventiv zu wirken. Die Digitalisierung kann hierbei produktiv als Interventionsmöglichkeit genutzt werden. Ein Forschungsprojekt des IAC untersucht beispielsweise, wie eine App auf Beschäftigte zugeschnitten werden kann, um sie dabei zu unterstützen, ihr langanhaltendes Sitzverhalten am Arbeitsplatz regelmäßig zu unterbrechen und unter Nutzung von Stehschreibtischen insgesamt zu reduzieren.
Auch bei der Formatierung der Arbeitsinhalte können innovative Ansätze aus der digitalen Arbeitswelt nützlich sein. In agilen, flexiblen und digitalen Arbeitsformen (sog. New Work Settings) wird immer häufiger versucht, durch agile Arbeitsprozesse bei Beschäftigten Resilienz zu fördern. Gemäß einer aktuellen Studie des IAC besteht ein Zusammenhang von starken pandemiebedingten Veränderungen am Arbeitsplatz und einer niedrigeren Work-Life-Balance bei Beschäftigten, die in wenig proaktiven und reaktiven Unternehmen arbeiten. Bei Beschäftigten, die in Unternehmen proaktiv arbeiten, hatten die pandemiebedingten Veränderungen hingegen keine Auswirkungen auf ihre Work-Life Balance. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Relevanz von agilen Arbeitsprozessen in der sich durch die Pandemie stark verändernden Arbeitswelt.
Ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement ein passendes Werkzeug, um diesbezüglich eine hohe Kompetenz bei allen Beschäftigten eines Unternehmens zu erlangen?
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) verankert und verzahnt als zentrales Management-Tool das Thema Prävention auf den verschiedensten Ebenen unter Kombination von verhältnis- und verhaltenspräventiven Ansätzen. Um möglichst viele Beschäftigte - auch angesichts individuell unterschiedlich verlaufender Digitalisierungsprozesse - positiv und nachhaltig zu erreichen und eine hohe (arbeitsplatzbezogene) Gesundheitskompetenz zu erlangen, sollten BGM-Maßnahmen diversitätssensibel, adressatenorientiert sowie lebensphasenadaptiert ausgerichtet sein. Angesichts von immer schneller ablaufenden Transformationsprozessen ist es essentiell, dass BGM-Aktivitäten partizipativ zusammen mit den Beschäftigten flexibel an die Schnelllebigkeit der Arbeitswelt und die oben genannten New Work Arbeitsformen angepasst werden. Bei dieser Adaption können digitale BGM-Tools unterstützen. Bei Berücksichtigung dieser genannten Aspekte kann BGM ein passendes und nachhaltiges gesundheitsförderliches Werkzeug sein und eine hohe (arbeitsplatzbezogene) Gesundheitskompetenz bei einem Großteil der Beschäftigten eines Unternehmens erzielen. Durch eine hohe Gesundheitskompetenz können die Beschäftigten dazu befähigt werden, in verschiedenen Arbeitssituationen gesundheitsorientiert zu handeln und dadurch langfristig gesund zu bleiben.