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Kleine Störungen in den Lieferketten haben große Auswirkungen

Wie Digitalisierung die Resilienz unterstützen kann

Prof. Dr. Nils-Ole Hohenstein, Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim Quelle: DHBW, Anna Logue Prof. Dr. Nils-Ole Hohenstein Supply Chain Management & Logistics Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim 30.09.2022
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Uwe Rempe
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Die Digitalisierung alleine werde nicht der Heilsbringer sein, könne aber die Resilienz in globalen Lieferketten ganz wesentlich befördern, konstatiert Prof. Dr. Nils-Ole Hohenstein, Logistikspezialist an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim. Wie das genau funktionieren kann, beschreibt er detailliert.







Welche Digitalisierungsmaßnahmen könnten die weltweiten Lieferketten stabiler, resilienter machen?
Die Resilienz globaler Lieferketten ist mit Ausbruch der Corona-Pandemie ein Kernthema bei den Unternehmen geworden. In allen Industrien schärft sich aktuell noch immer das Bewusstsein, wie fragil und störanfällig die Lieferketten sind.

Die Digitalisierung alleine wird nicht der Heilsbringer sein, kann aber als ein Schlüsselfaktor die Resilienz in globalen Lieferketten stark fördern. Beispielsweise ermöglicht Konnektivität via Internet-of-Things (IoT) einen schnellen Zugang zu umfangreichen Echtzeitinformationen aus unterschiedlichen Stufen der Lieferkette sowie eine Automatisierung der Prozesse. Wichtig ist, diese Informationen und großen Datenmengen mittels Advanced Analytics zu analysieren und zu bewerten, um datengesteuerte Entscheidungen im Unternehmen zu befähigen. Das ist die Basis für ein effektives technologiegestütztes Risikomanagement. Prognosen, Szenarien und Entscheidungsgrundlagen werden in Echtzeit entwickelt. Bei abweichenden Estimated Time of Arrivals (ETAs) schlägt das Analyseverfahren dem*der Mitarbeiter*in unterschiedliche Handlungsalternativen vor, wie mit dieser konkreten Störung in der Lieferkette umgegangen werden kann und was potenzielle Auswirkungen sind. Ferner ermöglicht die Automatisierung von Produktion und Intralogistik eine dynamische und flexible Adaption der dazugehörigen Prozessabläufe, was folglich die Troubleshooting-Maßnahmen deutlich reduziert.

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Muss das verantwortungsvolle Supply Chain Management künftig wieder verstärkt auf Lager statt auf Lieferung „just in time“ setzen?
Just-in-Time-Konzepte sind weit etablierte Standards und haben über mehrere Dekaden einen erheblichen Mehrwert für effiziente und kostenoptimierte Lieferketten geschaffen. In den letzten zwei Jahren haben wir jedoch die Erfahrung gemacht: Kleine Störungen in den Lieferketten haben große Auswirkungen – die Havarie der Ever Given auf dem Suez-Kanal, lange Abfertigungszeiten in den wichtigen globalen Häfen, Engpässe bei Halbleitern oder Kabelbäumen. Wir brauchen neue, innovative Wege, um mit solchen Diskontinuitäten umzugehen. Dabei haben Unternehmen verschiedene Gestaltungsoptionen, um ihre Resilienz zu erhöhen: mehrere Lieferanten für kritische Bauteile, Komponenten und Rohstoffe, eine Erhöhung der Bestände, oder als disruptiven Ansatz: das komplette Supply Chain Design überdenken – ganz gemäß Schumpeters Prozess der schöpferischen Zerstörung.

Ich erwarte keinen Paradigmenwechsel mit einer kompletten Abkehr von Just-in-Time und Just-in-Sequence. Jedoch ist beobachtbar, dass Unternehmen vermehrt Dual-/Multiple-Sourcing-Strategien implementieren und die Bestände bei kritischen Bauteilen und Komponenten erhöhen, um die Lieferketten robuster gegen Störungen aufzustellen.

Wie stehen Sie zum aktuellen globalen Trend, mit Produktion und Forschung direkt in die Zielländer zu gehen?
Nearshoring ist natürlich eine logische strategische Stoßrichtung, um langfristig die Resilienz der Lieferketten zu stärken: vermehrt regionale Lieferanten als Bezugsquellen, Produktion gemäß marktorientierten Spezifikationen, kürzere Lieferzeiten. Tatsächlich sind beispielsweise in den vergangenen Monaten in osteuropäischen Ländern die Direktinvestitionen von Logistikunternehmen stark angestiegen.

Aber: Nearshoring wird kein Allheilmittel und in vielen Bereichen schwierig durchsetzbar sein. Die Kosten für eine Umsetzung sind sehr hoch und eine Produktionsverlagerung von Asien in die USA, nach Europa oder sogar nach Deutschland kann nicht von heute auf morgen erfolgen. Kosteneffizienz und -einsparungen sind weiterhin ausschlaggebende unternehmerische Entscheidungskriterien. Der Kinderfahrradhersteller Woom verlagert zwar die Fertigung der Fahrräder nach Polen, jedoch kommen die meisten Fahrradkomponenten von Lieferanten aus Asien – andernfalls lassen sich die Kinderfahrräder nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen verkaufen.

Darüber hinaus sorgt die Regionalisierung für mehr Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz – jedoch befürchte ich, dass sich mit zunehmender Erholung der Lieferketten auch die Dringlichkeitsprioritäten der Unternehmen wieder verschieben, weshalb ich kurzfristig keine Regionalisierungswelle erwarte. Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor: In Europa herrscht aktuell eine enorme Unsicherheit, was die kurzfristigen und langfristigen Kosten für Energie und Rohstoffe sowie möglicher CO₂-Grenzausgleichssysteme anbelangt (Schlagwort: Carbon Border Tax).

Mit Blick auf Klimawandel und CO2-Fußabdruck: Wie organisiert man einen möglichst energiearmen und sicheren Transport?
Ausschließlich über einen energiearmen und sicheren Transport zu sprechen, wäre aus meiner Perspektive viel zu kurz gegriffen. Lieferketten sind multidimensional, unternehmensübergreifend und involvieren diverse Geschäftspartner und (Sub-)Lieferanten. Das Thema nachhaltige Supply Chain umfasst nicht nur die Verringerung von CO2-Ausstößen, sondern auch das Recycling, die Abfalllogistik und Corporate-Social-Responsibility-Aspekte. Das kann für Unternehmen anfangs einen Kostenanstieg bedeuten; dieser wird jedoch langfristig durch Material- und Ressourceneffizienzen, Arbeitnehmerattraktivität und Reputationssteigerung in sozialen, ökologischen und ökonomischen Gewinnen übertroffen – was weit über eine reine Kompensation durch Zertifikate hinausgeht. Folglich sind nachhaltige Produkte, Services und Prozesse ein ausschlaggebender Wettbewerbsfaktor mit einem klaren Nutzenversprechen gegenüber Kunden und Partnern.

Die Stellhebel für nachhaltige Lieferketten sind u. a. die strategische Auswahl von Lieferanten, die regional ansässig sind, Leitinitiativen zur Verringerung der Scope-3-Emissionen sowie die Einhaltung von Klimazielen in ihrem Unternehmensleitbild verankert haben. Darüber hinaus können Unternehmen gemeinsam mit ihren Logistikdienstleistern die Transportrouten und -modi optimieren, Sendungskonsolidierungen erhöhen, Mehrweglösungen verwenden, oder auch ihre Fahrzeugflotte mittels alternativer Antriebe modernisieren. Übergreifende Themen sind selbstverständlich die Energieeffizienz, erneuerbare Energien und faire Arbeitsbedingungen der Produktions- und Logistikstandorte, zu denen alle Unternehmen der Lieferkette beitragen können. Denn: Supply Chain ist ein Kreislauf, alles ist miteinander verbunden! Eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft führt zu weniger Umwelt- und humanitären Katastrophen – und letztendlich zu weniger externen Schocks mit brüchigen Lieferketten.

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