Nach den langen Monaten der Pandemie vertrauen viele Chefs ihren Mitarbeitern im Home Office nicht und wollen, dass diese alsbald in die Büros zurückkehren. Wie schätzen Sie die Potenziale von mobiler Arbeit und Home Office ein?
Die Arbeitswelt wandelt sich radikal- und jetzt noch schneller durch die wieder schwellende Pandemie. Ich bin überzeugt, dass die Erwartungen an flexible Arbeitszeiten und -orte weiter stark zunehmen – von Unternehmen und Beschäftigten gleichermaßen. So bietet sich einmal die Chance, qualifizierte Arbeitnehmer*innen im größeren Umkreis um den Standort zu finden. Zudem können sich Mitarbeitende besser um Kinder, Großeltern oder ihre privaten Interessen kümmern. Allerdings entwickelt sich der Markt dynamisch und divers: Manche wollen das „Back to Office“ durchsetzen – meist aus fehlendem Vertrauen heraus. Andere arbeiten aktiv an neuen Gegebenheiten, teils sogar mit drastischem Abbau von Büroarbeitsplätzen. Meist aber pendelt es sich in der Mitte ein, mit ein bis zwei Tagen Home Office pro Woche. Und übrigens auch in Branchen und Hierarchieebenen, wo dies vor der Pandemie meist undenkbar war.
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Zugleich halten viele Entscheider Investitionen in flexible Arbeitstechnologien für das Recruiting und die Bindung von Mitarbeitern für wichtig. Wie sehen Sie das?
Das ist absolut notwendig! Mit alten Technologien sowie langwierigen Prozessen über viele Entscheidungsinstanzen hinweg bin ich als Organisation nicht schnell und flexibel genug. Jedoch sind nicht nur die technischen Möglichkeiten für die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitenden entscheidend, sondern auch eine vertrauensvolle Kultur. Mitarbeitende merken rasch, wenn etwas anderes gelebt als versprochen wird. Mit negativen Folgen für alle Seiten. Es ist nicht der Mehrwert des Managements, auf Angestellte aufzupassen und sie in Büros abzustellen. Für Personaler*innen ist daher auch die Kulturarbeit ein zentrales Thema für die nächsten Jahre. Und wir alle wissen: Das braucht Zeit, ist unvorhersagbar – aber es lohnt sich. Personalentwicklung und Ausbau von Kontaktkompetenz sind hierfür zentral. Denn Organisationen müssen daher zügig die technischen und kulturellen Weichen stellen. Sonst rollt die Arbeitgebermarke aufs Abstellgleis.
Durch digitale Technologien eröffnen sich neue Modelle wie Office- oder Desk-Sharing. Könnte der klassische Büroarbeitsplatz am Ende überflüssig werden?
Es ist nicht mehr reizvoll, dass irgendwo ein Schreibtisch steht und sozusagen auf Arbeitnehmer*innen wartet.
So entstehen viele neue Möglichkeiten für flexible Lösungen. Ich möchte es am Beispiel der metafinanz erklären: Wir arbeiten schon viele Jahre ohne feste Arbeitsplätze, jeder Mitarbeitende kann Sitzplätze über eine eigenentwickelte App buchen. Gerade sind zum Gesundheitsschutz die Open-Space-Büros verwaist, dennoch mieten wir mehr Fläche an. Denn wir sind überzeugt: Wir werden weniger Tische und mehr Raum für Begegnung benötigen. So wird es ab kommendem Jahr ein Tagescafé im Erdgeschoss geben und zusätzliche Meetingräume mit der Möglichkeit für hybride Treffen. Denn Kontakt und Austausch zwischen Menschen ist essenziell für kreative Lösungen und das Gemeinschaftsgefühl. Meetings bewusst zu gestalten und Lösungen für Treffen zu finden, ist eine zentrale Aufgabe der Organisationsleitung und Personalabteilungen in dieser Zeit.
Für wie sinnvoll halten Sie das vieldiskutierte Recht auf Home Office nach einem möglichen Ende der Pandemie?
Persönlich halte ich davon wenig, denn es wird einen hohen Aufwand an Administration, Kontrolle und Vereinbarungen mit sich bringen. Im Gegenzug setze ich auf drei andere Hebel: Erstens auf eingeräumte Rechte durch Betriebsvereinbarungen im Zuge der Mitbestimmung; zweitens auf individuelle Vereinbarungen mit Vorgesetzen; drittens, und das ist mir am wichtigsten und eine Herzensangelegenheit, baue ich auf den gesunden Menschenverstand. Die beste Lösung in dynamischen Zeiten ist, der Vernunft einen Nährboden zur Entwicklung zu bieten. Das erfordert Vertrauen, Entwicklung und ständige Ausrichtung.