Die Pandemie hat den Hochschulen und Forschungseinrichtungen einen Digitalisierungsschub verpasst. Wo steht Ihre Hochschule in der digitalen Transformation derzeit?
Mit Ausbruch der COVID 19-Pandemie kam es zu Beginn des Sommersemesters 2020 auch an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) zu einer nahezu flächendeckenden und unmittelbaren Umstellung des Forschungs- und Lehrbetriebs auf digitale Kommunikations-, Lehr- und Lernformate. Als Reaktion auf die damit einhergehenden breiten rechtlichen, technischen und didaktischen Herausforderungen wurde eine Task Force Digitale Lehre initiiert. Als direkte Anlaufstelle für Lehrende und Studierende, wie auch für Mitarbeitende aus der Verwaltung entwickelte die Task Force unterschiedliche Beratungsangebote, stellte Informationsmaterial zur Verfügung, war mit der Planung und Koordination übergreifender Maßnahmen im Bereich digitaler Lehre betraut und baute ein internes Kommunikationsnetzwerk auf, über das der Transfer sichergestellt wurde. In dieser angespannten Lage stand die Aufrechterhaltung des Universitätsbetriebs im Vordergrund, so dass überwiegend auf akute Problemlagen reagiert wurde.
Mit der Rückkehr zum Präsenzbetrieb und vor dem Hintergrund der Erfahrungen und des aufgebauten Wissens aus den vergangenen Semestern arbeiten wir aktuell an einer tragfähigen und zukunftsweisenden Globalstrategie Digitalen Lehrens und Lernens, in der die bereits initiierten und zum Teil implementierten Digitalisierungsprozesse in ein Gesamtkonzept zusammengeführt werden. Die Humboldt-Universität zu Berlin zeichnet sich durch einen hohen Internationalisierungsgrad, weitreichende Kooperationen mit universitären und außeruniversitären Partnern sowie – als Volluniversität – durch eine sehr heterogene Studierendenschaft aus. Der Ausbau digitaler und hybrider Kommunikations-, Lehr- und Lernformate ist vor diesem Hintergrund ein zentrales Anliegen, um die HU als offene und inklusive Hochschule weiter zu stärken. Im Bereich Studium und Lehre wurde mit HU Digitale Lehr- und Lernlandschaft (HDL3) bereits ein Konzept entwickelt, das digitale Systeme und Dienste für Lehre und Studium sinnvoll integrativ vernetzt und dadurch eine dezidierte digitale Lehr-Lern-Infrastruktur schafft. In Zusammenarbeit mit den Partner:innen der Berlin University Alliance wird zudem an einem niedrigschwelligen System gearbeitet, über das Studierende aus dem Universitätsverbund identifiziert werden können, sich zu Lehrveranstaltungen anmelden und Zugriff auf die unterschiedlichen Lehr- und Lernmanagementsystemen haben. Das Netzwerk Hybride Lehre entwickelt und erprobt hingegen fachlich differenzierte Raumkonzepte für hybride Lehr-Lern-Szenarien. Im Zentrum steht hier die Erfassung der wesentlichen Bedarfe in Hinblick auf Technik und Raumausstattung, aber auch die Erarbeitung von Schulungskonzepte zum Einsatz von Medientechnik und didaktische Lehr-Lern-Konzepte. Weitere Prozesse widmen sich der Erprobung und Implementierung digitaler Prüfungsformate, dem Zugang zu technischem Equipment, der Entwicklung zentraler Leitlinien Digitaler Lehre sowie der Klärung rechtlicher Fragen. Diese selektiv ausgewählten Bausteine weisen bereits auf die Komplexität des digitalen Transformationsprozesses hin. Ziel ist es, die vielen bereits angestoßenen und zum Teil schon verankerten Prozesse in ein Gesamtkonzept zu integrieren, in dem die Bereiche Technik, Didaktik und Dienstleistung vereinheitlicht, aufeinander abgestimmt und rechtlich abgesichert sind.
Die zunächst für die Aufrechterhaltung der Lehre entwickelten und erprobten digitalen Formate habe sich auch als Kommunikationswerkzeuge in der Forschung bewährt und werden vielfältig eingesetzt. Hinzugekommen sind im Bereich der Forschung die rasche Einführung, Verbreitung und flächenhafte Anwendung von shared services jeder Art, seien es file services, collaborative tools, Projektmanagementwerkzeuge, Wikis oder Chat-Formate. Nur so konnte während der Pandemie die gemeinsame Arbeit in Projektgruppen aufrechterhalten und vorangebracht werden. Die dadurch entstandene digital literacy unterstützt agiles und flexibles Arbeiten in der Forschung auch im Ausklang der Pandemie und erweist sich vor allem auch für die Zusammenarbeit innerhalb der Berlin University Alliance am Standort Berlin, national und international als Zugewinn. Neue Formate der Zusammenarbeit mit Aspekten mobilen Arbeitens, Home Office und new work ermöglichen die Integration von Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, Sorgeverpflichtungen und Einschränkungen in die laufende Forschung.
JETZT HERUNTERLADEN
DIE DOKUMENTATION DIESER FACHDEBATTE

DIE DOKUMENTATION ENTHÄLT
Übersicht aller aktiven Debattenteilnehmer
Summary für Ihr Top-Management
Was braucht Ihre Hochschule, um die digitale Transformation künftig zu verstetigen?
Die Verstetigung zeigt sich in der gelebten Praxis. Das heißt darin, wie und in welchem Ausmaß digitale und hybride Kommunikations-, Lehr- und Lernformate im Hochschulalltag an der HU eingesetzt werden. Dies setzt voraus, dass das Angebot an digitalen bzw. hybriden Medien und Formaten niedrigschwellig, intuitiv zugänglich und mit möglichst geringem Aufwand für Studierende, Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende verbunden ist. Dafür müssen grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein, potenzielle Barrieren abgebaut und nachhaltige Unterstützungsstrukturen geschaffen werden. Zu den grundlegenden Voraussetzungen gehört sicherlich der Zugang zu technischem Equipment. Der Zugang erschöpft sich dabei aber nicht in der digitalen Ausstattung von Hörsälen und Seminarräumen, sondern umfasst beispielsweise auch die Bereitstellung von Leih-Laptops, um allen Studierenden – unabhängig von ihrem ökonomischen Hintergrund – die Möglichkeit zu geben, an digitalen oder hybriden Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Eine große Barriere besteht häufig in einer fehlenden Routine und damit verbundenen Unsicherheit im Umgang mit neueingeführten digitalen Medien. Hier helfen zielgruppenspezifische Kurse und Tutorials, durch die die technischen und digitalen Kompetenzen von Lehrenden, Studierenden und Verwaltungsmitarbeitenden bedarfsgerecht und kontinuierlich gestärkt und ausgebaut werden. Verstanden als nachhaltige Implementierung müssen für eine erfolgreiche Verstetigung jedoch vor allem auch langfristige Unterstützungsstrukturen aufgebaut werden. Die Einführung neuer digitaler Medien, Formate und Prozesse muss auch in Zukunft von einem entsprechenden technischen und ggf. didaktischen Schulungsangebot flankiert werden. Schließlich bedarf es neben dem zielgruppenspezifischen und niedrigschwelligen Schulungsangebot auch an technischem Support, der bei kurzfristigen Problemen Hilfestellung bietet. Kurzum: Um die Verstetigung der digitalen Transformation sicherzustellen, müssen vor allem Stellen geschaffen und langfristig finanziert werden, die mit der Neueinführung und Pflege digitaler Medien, Formate und Prozesse betraut sind, zielgruppenspezifische Anwender:innenschulungen entwickeln und durchführen sowie den technischen Support sicherstellen.
Welche Effizienzgewinne lassen sich aus Kooperationen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen erzielen?
Dieselben Werkzeuge und Fertigkeiten neuer digitaler Zusammenarbeit, die innerhalb der Universität die Zusammenarbeit während der Pandemie gesichert haben und nun zum Standard eines flexiblen und agilen Forschungsalltags geworden sind, erstrecken sich auch auf die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und zwischen der Universität und den verschiedenen außeruniversitären Forschungsreinrichtungen. Vor allem in bereits etablierten Kontexten der Zusammenarbeit können erhebliche Potential bezüglich der Effizienz der Zusammenarbeit gehoben werden. Mit der zunehmenden digital literacy und der Gewöhnung an Formate der digitalen Zusammenarbeit sind aber selbst die Etablierung neuer Kontexte der Zusammenarbeit möglich. Dabei sind Verlässlichkeit und gegenseitiges Vertrauen derselbe Goldstandard für eine langfristige produktive Zusammenarbeit wie bei den klassischen Formaten, die mit Reisetätigkeit, persönlichen Treffen und Workshops in Präsenz arbeiten.
Neben der technischen Infrastruktur braucht die digitale Transformation auch einen Kulturwandel - inwieweit wandeln sich die Prozesse in Ihrer Hochschule in diesem Sinne?
Damit die digitale Transformation zu einem Kulturwandel führt, ist es essentiell, dass die Sinnhaftigkeit und der Mehrwert des Einsatzes digitaler Formate und Medien in die breite Praxis vermittelt werden. Einfach gesagt: Der Ertrag einer digitalen Transformation muss den Aufwand übersteigen, der mit der Implementierung neuer Arbeitsprozesse und –formen zwangsläufig einhergeht – im besten Falle für alle beteiligten Akteure. Um dies sicherzustellen, bezieht die HU bereits im Entwicklungs- und Erprobungsprozess die ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedarfe an der Hochschule mit ein. Dies betrifft etwa die unterschiedlichen Statusgruppen, Fächer und Studierendengruppen. So haben Verwaltungsmitarbeitende einen anderen Zugang zu digitalen Medien als Lehrende, in der Mathematik sind die Voraussetzungen zum Einsatz digitaler Lehr-Lern-Formate andere als in den Sportwissenschaften und Studierende mit Care-Verpflichtungen haben andere Bedarfe als ihre Kommilliton:innen ohne entsprechende Verpflichtungen. Ein Kulturwandel kann nur dann erfolgen, wenn die digitale Transformation von Beginn an transparent und unter Einbezug der vielfältigen Perspektiven erfolgt, die die Humboldt-Universität zu Berlin auszeichnen. Die Ermittlung, Synchronisation und Überführung der unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedarfe in konkrete Maßnahmen kann sicherlich als zentrale Herausforderung im Rahmen der digitalen Transformation gelten. Der erfolgreiche Einsatz digitaler Medien und Formate unter Beteiligung verschiedener Akteursgruppen, etwa im Bereich E-Assessment, zeigt jedoch, dass die HU hier auf einem sehr guten Weg ist.