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Die Halbleiterindustrie ist traditionell ein zyklisches Geschäft

Der Markt wird seinen Job machen

Prof. Dr. Thomas Mikolajick, Inhaber der Professur für Nanoelektronik am Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden Quelle: TU Dresden/Jürgen Lösel Prof. Dr. Thomas Mikolajick Forscher TU Dresden 28.05.2021
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Uwe Rempe
Freier Journalist
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Auf das Tempo der Digitalisierung hat der aktuelle Chipmangel kaum einen Einfluss, weiß Prof. Dr. Thomas Mikolajick, Inhaber der Professur für Nanoelektronik am Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik der TU Dresden. Die Erhaltung eines "relativ reibungslosen Welthandels" sei der beste und einfachste Weg, um Europa weiterhin mit ausreichend Mikrochips zu versorgen. Rückstände hiesiger Produzenten seien beim besten Willen kaum aufholbar. Engpässe werde es sicher noch einige Zeit geben, aber die nächste Überproduktionsphase warte schon.







Inwieweit kann der aktuelle Chipmangel generell die Qualität und das Tempo der Digitalisierung beeinträchtigen?
Das Tempo der Digitalisierung per se dürfte dadurch nur relativ gering beeinflusst sein. Die Firmen werden ihre Lieferketten so priorisieren, dass die am dringendsten gebrauchten Produkte (beziehungsweise die, bei denen der Markt bereit ist, den höchsten Preisaufschlag zu bezahlen; so funktioniert Marktwirtschaft in allen Industriezweigen, nicht nur in der Halbleiterindustrie) geliefert werden. Engpässe wird es vereinzelt geben. Aber auch das liegt in der Natur der marktwirtschaftlichen Regelschleife begründet.

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Viele Produzenten weltweit kündigen gerade kräftige Investitionen in die Produktionskapazitäten an. Reicht das aus, um den Mangel zu beseitigen?
Die Produktionsmenge wird in der Marktwirtschaft gemäß dem Verhältnis aus Zufuhr und Nachfrage eingestellt. Dabei gibt es immer eine gewisse Verzögerung. Diese ist in der Halbleiterindustrie deutlich länger als in anderen Branchen, da von der Investitionsentscheidung bis zur tatsächlichen Erhöhung der Nachfrage ein erheblicher Zeitversatz existiert. Die Halbleiterindustrie ist deshalb traditionell ein zyklisches Geschäft, das vom Wechsel aus hoher Nachfrage und Überproduktion bestimmt wird. In der Regel wird dieser Wechsel nicht so intensiv in der Presse beleuchtet, wie es diesmal der Fall ist. Das dürfte mehrere Gründe haben:

- Der Effekt wird durch eine erhöhte Nachfrage aufgrund der Pandemie deutlich verstärkt.

- Der aufkommende „kalte Wirtschaftskrieg“ mit China rückt diese Branche ins Zentrum weltweiter wirtschaftspolitischer Überlegungen.

- Speziell in Deutschland ist nun „des Deutschen liebstes Kind: Die Automobilindustrie“ stark davon betroffen; Das liegt allerdings mehr an der Automobilindustrie selbst, die derzeit in einem längeren Umbruch ist (nicht nur was Elektromobilität betrifft, sondern was das Fahrzeug als elektronisches System betrifft. Bisher wurde es eher als mechanisches System begriffen).

- Das Bewusstsein, dass unser gesamtes Leben von Halbleiterprodukten bestimmt wird, ist in den letzten Jahren (mit viel Verzögerung) auch in der Politik angekommen.

In Summe wird der Markt aber auch hier wieder seinen Job machen, und bei allem was ich gerade sehe, gehe ich davon aus, dass wir in ca. 2-3 Jahren auch wieder eine Phase der signifikanten Überproduktion erleben werden. In einigen Bereichen vermutlich sogar früher.

In den USA hat die Regierung Biden den Chipmangel als „nationale Bedrohung“ erkannt und setzt auf eine komplexe Strategie in Sachen digitale Souveränität. Sehen Sie in Europa ebenfalls adäquate Lösungsansätze?
Die sehr entschlossene Reaktion der USA hat vielschichtige Ursachen:

- In den letzten 4 Jahren wurden die USA wirtschaftspolitisch in das Mittelalter zurück katapultiert. Das muss jetzt in Windeseile korrigiert werden. Hätte es keinen Wechsel im Weißen Haus gegeben, würden wir diese Aktionen nicht sehen. Es hat also auch etwas mit dem Regierungswechsel zu tun.

- Der Konflikt mit China spitzt sich zu und die wesentliche Waffe, die die USA derzeit in Händen hält, ist ihre Dominanz in der Chipindustrie. Die USA versucht sich hier auf einen sich verschärfenden Konflikt mit China, der wirtschaftspolitisch auch in einer teilweisen Entkopplung der Märkte münden könnte, vorzubereiten. In Europa ist eine ähnliche Strategie weder sinnvoll noch vorstellbar.

- Europa versucht schon seit fast 10 Jahren dem sinkenden Marktanteil in der Mikroelektronik entgegen zu wirken. Vor ca. 7 Jahren gab es ähnliche Überlegungen durch Neelie Kroes (EU-Kommissarin für die Digitale Agenda 2010 bis 2014).

Das Problem: Man hat in Europa die Halbleiterindustrie sterben lassen. Drastischstes Beispiel: Qimonda in Dresden. Es war die letzte europäische Firma, die an der Spitze der Halbleitertechnologie (kleinste Strukturgrößen) gearbeitet hatte, wurde damals von der Bundesregierung als „nicht systemrelevant“ eingeschätzt.

Heute würde die Politik sicher anders darüber urteilen. Die Entscheidung von damals lässt sich aber nicht rückgängig machen, ohne mindestens einige 100 Milliarden zu investieren (und auch dann wäre es ein hochriskanter Schritt), was niemand ernsthaft in Erwägung zieht. Rundum: Es fehlt an dem europäischen Spieler, der die unternehmerische Verantwortung übernehmen könnte. Ein Zusammenschluss der Existierenden nach dem Prinzip „Airbus of Chips“ kann dieses Problem schon deshalb nicht mehr lösen, weil die existierende europäischen Firmen gar nicht die Technologien dazu haben. Deshalb wird jetzt mit internationalen Firmen verhandelt. Das ist aus meiner Sicht der einzig realistische Weg in den Bereichen, in denen man den Anschluss verloren hat, wieder ran zu kommen. Ob es am Ende wirtschaftlich sinnvoll sein wird, hängt davon ab, ob (und das wäre für die Produktivität im Allgemeinen und für die Bundesrepublik/Europa immer der beste Weg) ein relativ reibungsloser Welthandel erhalten werden kann. In dem Fall wäre der Ruf nach „Souveränität“ deutlich kritisch zu hinterfragen, da er eben wirtschaftlich keinen Sinn macht. Europa wird das zwar mitgestalten, am Ende aber nicht definitiv beeinflussen können, und muss deshalb eine Strategie fahren, bei der es sich auf beide Szenarien vorbereitet. Das kann schon vom Prinzip nicht so entschlossen daherkommen wie die Präsentation von Joe Biden.

Bei all diesen Debatten dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass wir in einigen Segmenten noch eine technologische Spitzenstellung einnehmen. Ich möchte hier stellvertretend die Leistungselektronik mit Firmen wie Infineon und Bosch nennen. Diese müssen wir in jedem Fall erhalten und ausbauen und dürfen diese keinesfalls schwächen, um dort aufzuholen, wo wir inzwischen weit zurück liegen. Wir sollten also beim durchaus sinnvollen Versuch, die Taube auf dem Dach einzufangen den sehr wichtigen Spatz in unserer Hand nicht versehentlich fliegen lassen.

Chips sind nur ein Aspekt der Digitalisierung: Wie bewerten Sie die infrastrukturellen Voraussetzungen für die weitere Digitalisierung im Lande und in Europa?
Joe Biden hat mit der Geste, einen Wafer in die Luft zu heben und zu sagen „das ist Infrastruktur“, hier eine wichtige Aussage getroffen, die einen Teil der Frage beantwortet. In der Halbleitertechnik sagt man auch oft: „Chips sind nicht alles, aber ohne Chips ist alles nichts“.  Ich glaube, dass wir in der Bundesrepublik und in Europa sehr stark darin sind, die Dinge nicht einseitig anzugehen – also zum Teil rührt unsere „Schwäche“ in der Chipbranche auch daher, dass wir sehr breit aufgestellt sind und in allen Bereichen etwas zu bieten haben. D.h., ich sehe hier eigentlich keinen technologischen Flaschenhals, sondern höchstens einen kulturellen, was die Bereitschaft der schnellen Umsetzung neuer Technologien betrifft. Aber auch das sehe ich persönlich als wenig problematisch. Im Gegenteil: Oft ist es nicht das Beste, der oder die Erste zu sein. Man kann ja auch von den Fehlern anderer viel lernen. Jedes Mal, wenn ich z.B. in USA bin, stelle ich fest, dass wir in Europa deutlich besser aufgestellt sind, was viele Aspekte der Infrastruktur betrifft.

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