Was sind die Gründe dafür, dass Menschen aktuell vermehrt auf digitale Hörangebote zurückgreifen als auf lineare?
Wir möchten drei Thesen einbringen, wie sich das Audio-Medienverhalten durch die Digitalisierung verändert hat und weiter verändern wird:
1. New Audio ist Personal Media: In der Evolution von den analogen, stationären Empfangsgeräten zum digitalen, mobilen Smartphone-Audiokonsum als neues Nr. 1 Audio Device - hat sich auch die Beziehung zum Content verändert. Das Smartphone als „personal media“ hat ein selbstbestimmtes, rezipientenzentriertes und situationsspezifisches Medienverhalten ausgebildet. Audio folgt den neuen non-linearen und asynchronen Videogewohnheiten, die sich mittlerweile um das „on-demand Streaming“ der großen Video-Streamingdienste ausgebildet haben. Damit verliert Radio als Nebenbei- und Hintergrund-Medium an Bedeutung. Der Audio-Content stellt weniger einen atmosphärischen Klang- und Informationsteppich dar, der den Raum lebendig macht, sondern wird bewusst, meist intim über Kopfhörer und Smartphone angesteuert zu einer selbst gewählten Zeit. Damit verändert sich die Konsumverfassung enorm.
Mit dieser stärkeren Individualisierung des Audiokonsums bekommt die Stimme im Vergleich zur Musik noch eine besondere Aufwertung, denn die menschliche Stimme besitzt einen natürlichen, beruhigenden, verbindenden Charakter – gerade in unruhigen und zerrissenen Zeiten eine große Qualität. Vielleicht auch in diesem Zusammenhang verständlich, dass die Menge des Sprachhörens während der Pandemie zugenommen hat, während die Menge des Musikhörens abnahm. Vieles deutet darauf hin, dass ein „Age of Voice“ anbrechen könnte, auch durch die Sparachsteuerung und Interaktion mit Smart Speakern und KI.
2. New Audio macht regiefähig: Heute konfiguriert der Nutzer den Content entlang seiner individuellen Nutzungssituationen. Flow Control ermöglicht auch kurze Aufmerksamkeitsräume mit digitalen on-demand-Angeboten zu nutzen – z.B. auf dem Rad auf dem Weg zur Arbeit. Vielfach sind es gerade die Transitzeiten, die jetzt dem on-demand- Audio-Content gehören. Damit fügt sich der Audiokonsum flexibel in den Tagesablauf ein.
Die viel bewusstere und proaktive Nutzung von Audio zeigt sich auch in der Auswahl der Inhalte nach momentaner Passung : Viele Podcast, Playlists und Radiostreams werden heute im „Selbstarbeits-Modus“ ausgesucht und gehört. Es geht nicht mehr nur um eine Stimmungspassung beim Hören, sondern auch um eine Wirkungspassung. Unter ängstlichen Millennials und Gen Z’ers weltweit wird Audio zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Selbstpflegeroutine, da junge Menschen Podcasts, Playlists und entspannende Radiostreams einschalten, um sich selbst zu managen.
3. New Audio schafft immersive Räume: Der digitale Konsument wird Teil des Audio-Raums und kann seine „Stimme“ finden, ob nun Kommentare in einem Live-Chat hinterlassen oder selbst zum Creator werden über user-generated Content. Die Rückkanalfähigkeit und die Endlosschleife zwischen Sender und Empfänger macht aus Audio einen Dialog und keinen Monolog: „Die Kamera ist das Gate für TikTok, und das Mikrofon könnte das Gate für eine ganze Reihe von Audio-Plattformen sein.“ (Quelle: Sonal Chokshi, Editor In Chief, bei dem amerikanischen VC Andreessen Horowitz).
Diese Räume müssen aber geschützt sein, um Verständigung, Austausch und damit die Kraft der Community zu nutzen. In der Abwendung der jüngeren Zielgruppen von den ehemals als Social Media Plattformen gestarteten Facebooks und Twitters gibt es eine Lücke für privatere Audio-Circle in einer Jugend, die ohnehin „Sprachnachrichten“ als eine ihrer Haupt-Kommunikationsformen entdeckt haben.
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Welche Empfehlungen würden Sie Projekt- und Marketingverantwortlichen geben, wenn sie Audio-Werbeformate planen?
Generell müssen die Audio-Formate sowohl dem Umfeld als der Zielgruppe angepasst werden. Ist eigentlich eine Binsenweisheit, aber wird häufig nicht berücksichtigt. Es gilt immer eine kanaladäquate individuelle Form zu finden. Das bedeutet massiven Aufwand und ist für das Marketing die größte Herausforderung: Die Explosion der Kommunikationskanäle und Formate sowie die Atomisierung der Rezeption wird in Zukunft nur mit Technologie zu bewerkstelligen sein. Für den aussichtsreichen Beziehungsaufbau mit den Audiokonsumenten braucht die Marke eine eigene Audiostrategie, die diese drei Punkte berücksichtigen sollte:
1. Kontextsensitive Audioerlebnisse: Generell die Nutzungssituation des Werbeumfeldes sehr gut verstehen, einzuplanen und damit auch mit der Rezipientenverfassung in Resonanz zu gehen. Podcast-Spots*, die sich an den Sound und das thematische Umfeld des Inhalts anpassen, werden von 52 Prozent akzeptiert und liegen damit gleichauf mit Host Read Ads (50%).**
2. Die Erzählstruktur des New Audio aufgreifen: Serielle, immersive und soziale Audioformate werden auch die neuen Erwartungsstandards bei Audio-Werbeformaten, wenn es darum geht eine Kundenbeziehung über Audio aufzubauen und nicht nur Abverkauf zu organisieren.
3. Die Marke zum Creator und zur Plattform machen. Beispiel Nike JPN: Nike Tokyo nutzt den anhaltenden Audio-Boom und hat NikeLab Radio*** ins Leben gerufen – eine Auswahl an Wiedergabelisten, Podcasts und Videoinhalten. Der Inhalt konzentriert sich auf die Schnittstelle zwischen Sport, Musik, Kultur und Wellness und gibt den Fans gleichzeitig Einblicke in die Marke und ihre Mitarbeiter.
Wovon hängt es Ihrer Meinung nach ab, ob Werbekampagnen ihr Ziel erreichen oder nicht?
1. Kann der Werbetreibende benennen auf welche Phase der Customer Journey die Werbung einzahlen soll?
2. Wurde eine nutzungszentrierte Planung aufgesetzt und hat diese eine Resonanz zur Hörer-Situation aufgebaut?
3. Wie wirkt die Produkt- und Markennarration mit dem immer spezifischeren Werbeumfeld und der Audio Community zusammen?
Im strategisch besten Fall gelingt es einer Marke Teil einer relevanten Audio-Only Community rund um das Leitnarrativ der Marke zu werden. Beispiele sind Plattformen wie Locker Room**** (sportorientierter Live-Voice-Chat auf spotify) oder die Audio-App Quilt***** (Wohlfühlgespräche, die sich hauptsächlich an Frauen richten).
Wie gelingt es Unternehmen, Kunden nachhaltig von sich und Produkten zu überzeugen, und welche Rolle spielen dabei digitale Algorithmus-basierte Vermarktungstechniken?
Marken und Unternehmen sind nur dann mit ihren Produkten nachhaltig überzeugend, wenn sie eine Rolle und eine Bedeutung im Leben des Konsumenten bekommen. Und diese Beziehung ist nur über Kommunikation und (Produkt-)Erfahrungen herzustellen. Es geht also bei jeder Werbung immer um die Chance, die Beziehung zu initiieren, zu intensivieren oder zu bestätigen. Da Audio, wie oben beschrieben ein guter, natürlicher und ritualisierender Beziehungsbauer ist, lässt sich über eine Audio-Werbestrategie und ein differenzierendes Voice Branding eine Menge für den langfristigen Markenwert, aber auch den akuten Kaufimpuls bewirken. Insbesondere wenn die Werbewirkung nicht nur auf den Kaufzyklus, sondern auch in den Nutzungszyklus hineinwirkt. Und wie bei allen modernen Beziehungssuchen ist es sehr hilfreich, wenn datenbasierte und intelligente Systeme das Matching unterstützen. Es ist schließlich nicht so einfach, sich im New-Audio Ökosystem zu finden.
* https://rms.de/portfolio/kreation/spotcreator
** (Quelle: Studie RMS)
***https://open.spotify.com/show/7De1wODVwcnPsblSJDy894?si=tjCKBUXoQkarsMTkRgSOLg&dl_branch=1
**** https://joinlockerroom.com/
***** https://www.beta.wearequilt.com/