Es tut sich etwas im Gesundheitswesen: Die elektronische Patientenakte ist in der Einführung und gerade an den Kliniken tut sich in Sachen digitaler Transformation so einiges. „Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist aus meiner Sicht wesentlich besser als ihr Ruf – selbst im internationalen Vergleich“, sagt Dr. Peter Bobbert, Vorsitzender des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ bei der Bundesärztekammer (BÄK) in unserer Fachdebatte. Digitale Technologien gehören aus seiner Sicht schon heute sowohl in Praxen als auch in Krankenhäusern zum Alltag und sind bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten unentbehrlich. Angesichts des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen müsse die Digitalisierung vor allem zu einer Entlastung aller Beschäftigen im Gesundheitswesen beitragen, mahnt er und dürfe nicht zusätzlich belasten. Effizienzgewinne durch digitale Lösungen seien unerlässlich, um den Arbeitsalltag zu erleichtern und die Qualität der Versorgung zu sichern.
Auch für Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer Fachverband Elektromedizinische Technik im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) gibt es bereits viele digitale Anwendungen oder digital unterstützte Abläufe in der Medizin. In der Radiologie und der Labormedizin sei die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten. „Diese intelligente Vernetzung von unterschiedlichen Medizingeräten entlang eines bestimmten Behandlungspfades oder Workflows ist in vielen anderen medizinischen Fachgebieten aber noch nicht erreicht“, konstatiert er.
Einen Grund nennt Christiane Fruht, Inhaberin Fruht Klinikberatung: „Viele Krankenhäuser kämpfen mit knappen Budgets, die für umfassende digitale Modernisierungen schlicht nicht ausreichen.“ Hinzu komme der Fachkräftemangel – gerade im IT-Bereich – und oft auch die Skepsis technisch ungeübter Mitarbeiter gegenüber digitalen Lösungen. Für viele Mitarbeitende bedeute Digitalisierung zunächst eine zusätzliche Belastung. Sie vergleicht die Umstellung mit einem Motorwechsel während laufender Fahrt.
Doch die Zeit drängt: „Ohne eine konsequente Digitalisierung und den intensiven Einsatz von KI wird unser Gesundheitswesen sonst in 7 bis 10 Jahren auf diesem Niveau nicht zu halten sein“, mahnt Erwin Rüddel Unionsabgeordneter im Bundestag. Da das Gesundheitssystem systemrelevant sei, müssten auch Mittel aus dem Bundeshaushalt in diesen Prozess fließen. Allein aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung sei dieser Prozess nicht zu stemmen. Maximilian Funke-Kaiser, zum Zeitpunkt seiner Antwort noch für die FPD im Bundestagsfraktion und digitalpolitischer Sprecher der Fraktion, sieht eines der größten technischen Probleme im Wildwuchs an technischen Kommunikationsstandards und der daraus entstehende mangelnde Kompatibilität. „Auf dem Weg zu einem digitaleren Gesundheitswesen braucht es eine herstellerübergreifende Definition von Kommunikationsstandards“, betont er. Bei der Kommunikation der Geräte und Programme brauche es einen gemeinsamen Nenner, um einen möglichst reibungslosen Ablauf zu garantieren: Diese Funktion erfülle der Standard SDC.
Für den ist Prof. Dr. Thomas Neumuth, Technischer Direktor des ICCAS (Innovation Center Computer Assisted Surgery) an der Uni Leipzig Experte, denn sein Center hat den Standard mitentwickelt. Er nennt die Vorteile, etwa die erleichterte Interoperabilität zwischen verschiedenen medizinischen Geräten, eine verbesserte Patientenversorgung durch effizienteren Datenaustausch und die Entlastung des ohnehin stark beanspruchten Personals. „Dennoch stehen der Implementierung noch erhebliche Barrieren und Herausforderungen im Weg, darunter technologische Schwierigkeiten bei der Integration unterschiedlicher Systeme, hohe Kosten für die Umstellung, Widerstand von Geräteherstellern, die ihre proprietären Systeme beibehalten wollen, sowie regulatorische und datenschutzrechtliche Herausforderungen.“
Sebastian Bürger Geschäftsführer von OR.NET nennt noch einen weiteren wichtigen Vorzug des Standards SDC: „Da es sich um einen offenen Standard handelt, kann jeder Hersteller seine Geräte mit diesem integrieren“ Dadurch finde eine Öffnung des Marktes statt, die insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen zugutekomme, diese müssten sich nicht mehr von Anbietern integrierter Gesamtlösungen abhängig machen. Gleiches gelte auf Betreiberseite, wo sich die Krankenhäuser die Geräte flexibel aus einem viel größeren Portfolio aussuchen können, anstatt sich langfristig an einen Anbieter zu binden.
Ganz praktisch erklärt Alexander Hopmann, Geschäftsführer PINK CYBER Healthcare Cybersecurity: „Patienten können durch SDC von einer besseren und schnelleren Behandlung, mehr Sicherheit durch reduzierte Fehler und einer kontinuierlichen Überwachung ihrer Gesundheitsdaten profitieren.“ Für das medizinische Personal ergebe sich eine stark erhöhte Effizienz, weniger administrative Aufgaben, verbesserte Zusammenarbeit und optimierte Entscheidungsprozesse, was schlussendlich alles zu einer besseren Patientenversorgung führe.
Dr. Christian Schregel, Leiter Vorentwicklung Löwenstein Medical Innovation GmbH & Co. KG, betont indes, dass die SDC-Entwicklung für die Hersteller eine große Investition mit langfristigen Implikationen sei, daher diese planbar sein und sich auch wirtschaftlich lohnen müsse. „Die Planbarkeit kann leider nur durch Signale von außen kommen: Krankenhausleitungen müssen ein klares Interesse an SDC formulieren und SDC aktiv von den Herstellern einfordern.“ Krankenhäuser und Ärzte müssen aus ihrer Sicht außerdem die notwendigen Anwendungsfälle formulieren, um gerade noch zögernde Hersteller zu motivieren, sich auch mit SDC zu beschäftigen. Denn nur durch ein großes Ökosystem an Geräten könne SDC zu einem umfassenden Erfolg werden.