Wie ist Ihrer Meinung nach der allgemeine Stand der Digitalisierung in der Medizin? Wir als Hersteller beobachten eine sehr heterogene Landschaft in den Kliniken. Digitalisierung ist definitiv ein Thema, aber es könnte insgesamt besser sein. Legacy Systeme, gewachsene Strukturen und starke Regularien bei der Entwicklung neuer Medizintechnik schaffen einen Status Quo, der teils nur mit großem Aufwand modernisiert werden kann.
Was sind die Vorteile von SDC und welche Barrieren und Herausforderungen bestehen derzeit noch bei der Einführung des herstellerübergreifenden Kommunikationsstandards?
Ein klarer Vorteil ist, dass die systemische Schwäche der vielen verschiedenen proprietäre Protokolle im Krankenhaus beseitigt wird. Das aktuelle Fehlen eines einheitlichen Kommunikationsstandards ist auch etwas das z.B. im Rahmen der BSI Manimed Studie als Cybersecurity Problem explizit herausgestellt wurde. Ein weiterer Vorteil ist natürlich, dass für Krankenhäuser das Problem des Vendor-Lock-in durch die proprietären Protokolle entfällt. Barrieren und Herausforderungen sind für Hersteller, dass es aktuell noch keine Referenzimplementierungen von Produkten im Markt gibt, sondern nur erste Demonstrationen. Außerdem sehen einige Hersteller zurzeit noch keine Anwendungsfälle für ihre Produkte. Dadurch gibt es nur einen relativ kleinen Kreis aktiv am SDC Standard entwickelnder Unternehmen. Aus Sicht von Löwenstein werden aber erst existierende Lösungen neue Nutzungsmöglichkeiten generieren können. Eine weitere Herausforderung ist natürlich die langsame Standardentwicklung. Herstellerübergreifende Standards benötigen viel Abstimmung und müssen den unterschiedliche Designphilosophien verschiedener Hersteller Rechnung tragen.
Welche notwendigen Rahmenbedingungen müssen seitens der IT-Branche, der Politik, der Krankenhausverwaltungen und der Hersteller geschaffen werden?
Für die Hersteller ist die SDC-Entwicklung eine große Investition mit langfristigen Implikationen, daher muss diese planbar sein und sich auch wirtschaftlich lohnen. Die Planbarkeit kann leider nur durch Signale von außen kommen: Krankenhausleitungen müssen ein klares Interesse an SDC formulieren und SDC aktiv von den Herstellern einfordern. Darüber hinaus können nur Krankenhäuser/Ärzte die notwendigen Anwendungsfälle formulieren, um gerade noch zögernde Hersteller zu motivieren, sich auch mit SDC zu beschäftigen. Denn nur durch ein großes Ökosystem an Geräten kann SDC zu einem umfassenden Erfolg werden. Die Politik kann mit Förderinstrumenten helfen, die Entwicklungskosten abzufedern und gleichzeitig mit zeitlichen Vorgaben in dieser Förderung helfen, für alle Beteiligten verfügbare Fakten zu klaren Terminen zu schaffen. Eine 80%ige Lösung am Markt ist oftmals besser als eine 100%ige perfekte Lösung, die nie Marktreife erlangt. Ein verbessertes SDC 2.0, welches die verbleibenden Lücke behebt, hat dann einen leichteren Start. Ein Teil der Starthilfe ist auch das, was aus der IT-Industrie kommen kann. SDC ist nicht der erste Kommunikationsstandard, der entwickelt wird, und Input von Kommunikationsexperten hilft der Medizintechnik, das Rad nicht neu zu erfinden. So ist Löwenstein Medical Innovation eine Partnerschaft mit Vector Informatik GmbH eingegangen, die über jahrzehntelange Erfahrungen in der Entwicklung von Kommunikationsprotokollen verfügt. Mit kommerziell verfügbaren IT-Produkten wie dem Vector SDC Stack können dann auch kleine und mittlere Medizintechnikunternehmen SDC effizient in ihre Geräte integrieren.
Welche Vorteile können Patienten und medizinisches Personal realistischerweise von einer schnellen Einführung von SDC erwarten?
Ganz einfach: Löwenstein hat sich als erstes SDC-Projektziel die Realisierung einer Silent ICU gesetzt. D.h. die Weiterleitung von Alarmen weg vom Patientenbett auf das verteilte Alarmsystem des Pflegepersonals. Damit entfällt der Stressfaktor Alarmlärm am Patientenbett. Pro Bett auf der Intensivstation sind das mehrere hundert akustische Alarme pro Tag, wobei nur rund 5% relevant sind. In Studien konnte der Wegfall dieser Lärmbelastung bereits direkt mit einer besseren Genesung korreliert werden. SDC kann hier sozusagen 1:1 in ein "Gesundheits plus" umgerechnet werden. Mittelfristig ermöglicht SDC aber auch ein besseres Management von Ressourcenengpässen in der Pflege, da z.B. Routineaufgaben und Notfallaufgaben der Pflege zentral koordiniert und priorisiert werden können. Und langfristig können über SDC auch Regelsysteme gedacht werden, die Daten aus mehreren medizinischen Geräten organisch integrieren und so die Behandlungsqualität verbessern.