„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, lautet ein berühmtes Bonmot, das Mark Twain zugeschrieben wird. Tatsächlich werden Prognosen seit Jahren immer präziser und Modelle immer genauer - etwa bei Wettervorhersagen, Klimaschutz, Finanz- und Versicherungsprognosen oder in der Pandemie. Nicht zuletzt dank immer größerer Datenmengen und passender Auswertungs-Algorithmen.
Für Prof. Dr. Reiner Eichenberger vom Lehrstuhl Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Universität Fribourg wird die Prognosefähigkeit von Modellen weit übertrieben. „Das wissen wir nicht erst seit Corona und den vielen absurden Schreckprognosen, die nicht eingetreten sind.“ Das liege zum einen daran, dass die meisten Prognosen im Auftrag der Regierung gemacht werden. Prognosen seien daher oft Parteigutachten, mit denen die Regierung ihre Vorhaben zu rechtfertigen versucht. Das werde umso schlimmer, je aufwändiger die Prognosemodelle seien. Denn zur Finanzierung aufwändiger Prognosen habe praktisch nur die Regierung die notwendigen Ressourcen. Zum anderen seien aber auch gut gemeinte Prognosen kaum möglich. „Gerade gute und glaubwürdige Prognosen falsifizieren sich selbst. Denn sie lösen Reaktionen aus, die entweder das Vorausgesagte verhindern oder noch verstärken.“ Datengetriebene Prognostik werden aus seiner Sicht erst zu einer Chance, wenn sie von regierungsunabhängigen, den Bürgern verantwortlichen Gremien eingesetzt werden können.
Auch für Anja Leser von Philosophie.ch, dem Swiss Portal for Philosophy, gibt es große Risiken und eine Privatisierung der Daten beeinflusst die Verbreitung der Daten. „Die Unternehmen veröffentlichen in der Regel nur die Daten frei, die sie als kommerziell weniger wertvoll erachten und bei deren Interpretation sie die Unterstützung des öffentlichen Sektors benötigen. Dies führt zu einer Verzerrung bei den Arten von Daten, da teurere und komplexere Daten geheim gehalten werden können.“ Dominik Meier, Vorsitzender der De‘ge‘pol, sieht durchaus die Chance durch die zunehmende Verfügbarkeit und technische Verarbeitungsfähigkeit von Daten, gesellschaftliche Prozesse immer besser zu modellieren. In der Pandemie ermögliche die Modellierungen des Infektionsgeschehens es beispielsweise, die Impfaktivitäten besser zu koordinieren. Wann und wie genau Arztpraxen die Impfzentren beim Impfen unterstützen können, lasse sich tagesgenau simulieren. Hier zeige sich aber gleichzeitig auch die Herausforderung jeder Prognostik. Die Qualität jeder Prognose ergebe sich immer auch aus den zugrundeliegenden Daten und Annahmen. „Je weniger Informationen zur Verfügung stehen und je komplexer die zugrundeliegenden Wirkmechanismen sind, desto schwieriger fällt die Erstellung zuverlässiger Prognosen. Daher stoßen computergestützte Modelle schnell an ihre Grenzen, wenn sie Aushandlungsprozesse vorhersagen sollen.“
Für Dr. Andreas Höferl von der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung (ÖGPP) erklären Prognosen, was man tun muss, um unerwünschte Entwicklungen zu vermeiden oder erwünschte zu verstärken. Er mahnt: „Die Steuerungs- und Entscheidungsmöglichkeit des Menschen über Alternativen und Wege muss gewährleistet bleiben, darf nicht durch die Herrschaft von Maschinen ersetzt werden. Zudem gibt es ja unterschiedliche Vorstellungen der Menschen von und Erwartungen an Zukunft.“ Dr. Thomas Theobald vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans Böckler Stiftung verweist darauf, dass eine höhere Prognosequalität nicht dazu führen muss, dass die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen immer die richtigen sind. „Handlungsentscheidungen sollten immer verschiedene Zielgrößen miteinander abwägen. Dabei können datengetriebene Analysen helfen; ihre Ergebnisse sollten aber nicht automatisch und ungefiltert übernommen werden.“
Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. hält es für einen Irrtum zu glauben, dass modellierte Prognosen alleine bereits ausreichen, um sinnvoll handeln zu können. „Eine Prognose ist nicht mit einer Handlungsempfehlung gleichzusetzen, sondern kann nur die Grundlage für eine Handlungsempfehlung liefern.“ Und Handlungsempfehlungen seien eben auch nur Empfehlungen. Es gelte vielmehr in einem legitimierten Rahmen auszudiskutieren, ob einer Prognose als Grundlage für Handlungen gefolgt werden solle. „Prognostische Aussagen fokussieren ja zumeist auf bestimmte Endpunkte und außerhalb des engen Fokus einer Prognose kann es gute Gründe geben, eine scheinbar alternativlose Handlungsoption doch nicht umzusetzen.“


