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Summary26.10.2023

Pharmabranche unter Druck

Wie die Zukunft der Branche gestaltet werden kann

Nikola Marquardt - Herausgeberin Meinungsbarometer.info Quelle: Meinungsbarometer.info Dipl.- Journ. Nikola Marquardt Founder & Herausgeberin Meinungsbarometer.info

Die Pharmabranche in Europa steht unter Druck. Zwar ist da die Spitzenforschung, doch regulatorische und bürokratische Hürden führen dazu, dass Produktionsstandorte außerhalb der europäischen Grenzen verlagert werden. Die Folge: Lieferkettenprobleme und Versorgungsengpässe.

In der Fachdebatte weist Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), darauf hin, wie wichtig während der Pandemie bürokratische und regulatorische Vereinfachungen in der ambulanten und klinischen Versorgung sowie für die Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten waren. Meistens habe es sich dabei jedoch um Ausnahmeregelungen gehandelt. „Die langfristigen Probleme einer krisenfesten, modernen Versorgung der Menschen mit innovativen und generischen Arzneimitteln wurden leider nicht gelöst. So ist die Belastung der pharmazeutischen Industrie durch höhere Ausgaben für Energie, Verpackungsmaterialien, Logistik sowie Wirk- und Hilfsstoffe in den letzten Jahren noch einmal deutlich gestiegen.“ Zugleich sieht er Kostendämpfungsinstrumente im Markt, die die Arzneimittelproduktion betriebswirtschaftlich immer weiter unter Druck setzen.

Alexander Herzog, Generalsekretär von PHARMIG - Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, verweist auf die multiplen Krisen, die Europa derzeit belasten - wie die Energiekrise, der Ukrainekrieg, die Inflation und nicht zuletzt der zunehmende Druck auf Arzneimittelpreise. Der Arzneimittelsektor sei aber nach wie vor ein starker Wirtschaftsmotor. „Bisher sicherte die pharmazeutische Industrie 2,5 Millionen Arbeitsplätze in der gesamten Union und trug mit jährlichen Investitionen von 42 Milliarden Euro in die europäische Forschung und Entwicklung mehr zur Handelsbilanz der EU bei als jeder andere Sektor.“ Auch in Österreich kennt er einzelne Unternehmen, die in ihre Standorte investieren. Inwieweit das allerdings auch in Zukunft möglich sei, hänge mit Rahmenbedingungen zusammen, die derzeit auf europäischer Ebene gestaltet werden. Den ersten Anzeichen nach werde es vor allem für die forschende Industrie schwieriger werden, Europa als Forschungsstandort zu stärken. Ob es hinsichtlich der Stärkung der Produktionsstätten eine politische Strategie gebe, bleibe noch abzuwarten.

Dr. Ines Vancata, Generalsekretärin beim FOPI – Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich, führt die Arzneimittel-Innovationsbilanz ihres Verbandes an, nach dem in den letzten zehn Jahren über 400 innovative Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff zugelassen werden konnten. 2022 sei der langjährige Durchschnitt mit 54 neuen Medikamenten gegenüber dem Jahr davor sogar noch um ein Drittel überboten worden. Das wertet sie Beleg für die ungebrochen intensive Forschungsarbeit im medizinisch-pharmazeutischen Bereich. Doch: „Der jüngst vorgestellte Entwurf der EU-Arzneimittelgesetzgebung lässt befürchten, dass die geplanten Maßnahmen nicht nur massive Auswirkungen auf Forschung & Entwicklung von Innovationen, sondern auf die gesamte pharmazeutische Branche in Europa haben könnten.“ Die Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie würden in vielen Bereichen verschlechtert und schwächten den Standort Europa. Die kritisiert Beschneidungen im Patentschutz sowie zeitliche Vorgaben für den uniformen Markteintritt ohne Berücksichtigungen lokaler Strukturen und Prozesse.

Prof. Dr. David Francas, Professor an der Hochschule Worms sieht in steigendes Energiekosten für die energieintensive pharmazeutisch-chemische Produktion eine große Herausforderung, die zudem auch das erweitere Ökosystem der Branche wie Glashersteller, die Ampullen für Arzneimittel produzieren, betreffe. Verschiedene Studien verdeutlichen ihm, dass Deutschland bei Patenten und wissenschaftliche Publikationen an Boden verliert während Asien, und hier allen voran China, immer stärker wird. „Rahmenbedingungen für einen starken Pharmastandort müssen somit einerseits sicherstellen, dass Deutschlands Kostenstrukturen wettbewerbsfähig sind. Andererseits gilt es auch, die Forschungs- und Bildungslandschaft zu stärken sowie den Fachkräftemangel und schleppenden Ausbau der digitalen Infrastruktur viel energischer zu adressieren.“

Prof. Dr. Wolfgang Hipp, Professor für Pharmamanagement und Pharmaökonomie an der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft sieht die Politik gefordert. Es brauche eine Verbesserung der digitalen Infrastruktur und einene Bürokratieabbau bzw. die Beschleunigung und Vereinfachung behördlicher Abläufe. Und kompetitive Löhne und Gehälter könnten in der Pharmabranche nur auf Basis hinreichend hoher Arzneimittelpreise gezahlt werden. „Der Produktionsstandort Deutschland könnte durch einen Produktionstiefenaufschlag gestärkt werden: Ein prozentualer Aufschlag auf den Erstattungsbetrag bzw. Festbetrag des Arzneimittels incentiviert die Produktionstiefe in Deutschland.“

Für Prof. Dr. Lars Schweizer, Professur für BWL an der Goethe-Universität Frankfurt wäre eine verlässliche, preisliche Langfristplanung aus Sicht der Pharmaindustrie wünschenswert. „Die Grundfrage, welch die Politik beantworten muss, ist: Welche Medikamente sind aus gesamtgesellschaftlicher Sicht so relevant, dass Deutschland einen Grundstock an lokaler Herstellung sicherstellen sollte? Wenn diese Medikamente identifiziert wurden, kann drüber entschieden werden, ob diese über Subventionen gefördert werden sollen.“ Frankreich habe einen „Gesundheitsplan 2030“ im Umfang von 7,5 Milliarden Euro verabschiedet. Dieser ziele u.a. darauf ab die Produktion von 50 essenziellen, von nicht-europäischen Ländern abhängigen Medikamenten wieder nach Frankreich zu verlagern. Zudem soll eine Liste mit 450 wichtigen Medikamenten erstellt werden, deren Versorgung (z.Bsp. durch verpflichtende mehrmonatige Lagerhaltung) sichergestellt sein muss.

Aus der Praxis berichtet Heinrich Moisa, Country President von Novartis in Deutschland, dass in seinem Unternehmen jeder fünfte eingenommene Euro zurück in die Forschung.fließt  Außerdem führen wir pro Jahr über 200 Studien und sei „Deutscher Meister“, wenn man so wolle. „Aber wir brauchen für unsere Innovationen auch Planbarkeit! Medizinische Forschung ist sehr teuer und mit einigen Risiken verbunden. Wenn wir sie in Deutschland weiter betreiben wollen, muss sich dies auch lohnen.“ Das aktuelle Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) bremse eher, als dass es Innovation fördere. Er rechnet damit, dass die Folgen der aktuellen Sparmaßnahmen nicht heute oder morgen sichtbar werden, sondern auf lange Sicht zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen.

Dr. Gerd Kräh Associate, Vice President Government Affairs Lilly Deutschland GmbH, nennt als Ziel, wettbewerbstaugliche Standortbedingungen und den bezahlbaren Zugang zu innovativen Arzneimitteln wieder besser zu vereinen. Der Ansatz, dass Medikamente in Krisenzeiten nur etwas besser erstattet werden müssen, greife zu kurz. Wenn man die aktuelle Situation jedoch als Chance begreifen und eine ganzheitliche Strategie für eine stabilere Arzneimittelversorgung entwickeln, profitierten alle Beteiligten: Europa inkl. Deutschland als Gesundheitswirtschaftsstandort, Patientenschaft, Leistungserbringer, Kostenträger und Pharmaunternehmen. „Dafür ist ein neues Netzwerk-Denken notwendig: Wir produzieren hierzulande nicht nur innovative Medikamente für den deutschen Markt, sondern sichern auch die Versorgung in der EU und global. Umgekehrt wird auch die Versorgungssicherheit in Deutschland durch ein europäisches und globales Netzwerk von Produktionsstandorten gestärkt.“

Dr. Alexander Horn, Geschäftsführer der Lilly Deutschland GmbH berichtet in einem Advertorial von einer geplanten Investition von 2,3 Milliarden Euro - das ist die größte Einzelinvestition von Lilly in den zurückliegenden Jahren. "Mit der Anlage in Alzey, die subventionsfrei, sprich ohne staatliche Zuschüsse, realisiert wird, bauen wir unser weltweites Produktionsnetzwerk für injizierbare Medikamente und die dazugehörenden Injektionshilfen (Pens) aus.Wir werden hier nicht nur für den deutschen Markt produzieren, sondern auch die Arzneimittelversorgung in der EU und weltweit unterstützen." Zudem würden am neuen Produktionsstandort in Alzey bis zu 1.000 hochqualifizierte Fachkräfte beschäftigt sein. Damit unterstreiche das Unternehmen, dass die Arzneimittelbranche eine Schlüsselindustrie für Deutschland sei, die als eine der innovativsten und produktivsten Industrien hierzulande einen maßgeblichen Anteil zur Bruttowertschöpfung leiste.

Dr. Sabine Nikolaus, Vorsitzende der Geschäftsführung Boehringer Ingelheim Deutschland, sorgt sich indes um Deutschland als Standort für die klinische Forschung. Sei Deutschland im Jahr 2016 bei klinischen Studien noch weltweite Nummer 2 nach den USA gewesen, stehe es jetzt nur noch auf Platz 7. „Auf nächster, der europäischen Ebene, brauchen wir auch die Unterstützung der deutschen Politik. Die Einschränkung des Schutzes geistigen Eigentums, um eine Markteinführung neuer Arzneimittel in allen EU-Mitgliedstaaten zu erwirken, ist ein kontraproduktives Signal und schadet dem Wettbewerb.“ Damit die pharmazeutische Industrie eine Schlüsselrolle in der anstehenden Transformation für Deutschland spielen kann, bedürfe es eines radikalen Politikwechsels.

Auch Dr. Eckart Pech, Geschäftsführender Direktor Consumer and Health Management Information Systems, CompuGroup Medical, äußert sich in der Debatte mit einem Gastbeitrag. Hierbei legt er seinen Fokus auf die Relevanz von Versorgungsdaten. Die Corona-Pandemie zum Beispiel habe deutlich gezeigt, was passiert, "wenn Versorgungsdaten nicht effizient genutzt werden. Wir waren in Deutschland sehr stark abhängig von Daten, die in anderen Ländern erhoben wurden, insbesondere im Bereich des Monitorings und der Forschung." 

Zum Ende der Fachdebatte äußert sich Dr. Alexander Horn, Geschäftsführer der Lilly Deutschland GmbH noch einmal zu Wort und teilt eine aktuelle Investitionsentscheidung seines Unternehmens mit. "Forschende Pharmaunternehmen wie Lilly tragen eine große Verantwortung für eine stabile Arzneimittelversorgung in Deutschland", betont er. Horn erklärt, warum sein Unternehmen eine große Investition von 2,3 Milliarden Euro in den Bau eines neuen Werks in Deutschland plant.

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Geschäftsführer
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Uwe Schimunek
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