Wieder einmal wirkt die Pandemie als Turbo: Hotels und Veranstalter von Tagungen setzen zunehmend auf "Hybride Veranstaltungskonzepte". Und auch wenn die Kontaktbeschränkung wieder fallen, wird es wohl kein komplettes Zurück mehr geben. Nach einer Umfrage des Research-Unternehmens Deutsche Hospitality rechnen viele große Firmenkunden damit, dass ihre Mitarbeiter künftig um 30 bis 50 Prozent weniger reisen werden.
Diese Befunde bestätigt Bernd Fritzges, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Veranstaltungsorganisatoren (VDVO), in unserer Fachdebatte mit Zahlen seines Verbandes. „Eine aktuelle Umfrage bei unseren Mitgliedern hat ergeben, dass vor der Pandemie COVID 19 knapp ein Viertel aller Veranstaltungsplaner bereits hybride Veranstaltungen umgesetzt hatte, der Anteil hat sich während der Pandemie verdoppelt.“ Mehr als 55 Prozent der Veranstaltungsplaner habe neben virtuellen Veranstaltungen hybride Formate gewählt, um mit den Zielgruppen zu kommunizieren, zu informieren und Begegnungen zu schaffen. Nach COVID 19 werde der Anteil an hybriden Formaten weiter steigen. „86 Prozent unserer Mitglieder geben an, auch nach COVID 19 hybride Formate einzusetzen.“
„Viele Firmen waren von heute auf morgen gezwungen, Meetings und Tagungen virtuell abzuhalten und haben in den letzten Monaten dementsprechend viel investiert und Erfahrungen gesammelt“, betätigt Dr. Markus Gratzer, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). Das werde sich auch nachhaltig im Kundenverhalten niederschlagen. Vor allem kurze Meetings mit hohem Reiseaufwand sieht er auch zukünftig vermehrt online. Dennoch glaubt er aber, dass es wieder vermehrt zu persönlichen Treffen kommen wird, wenn es die Situation zulässt. „Der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen.“
Auch für Hans-Ingo Biehl, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutsches Reisemanagement e.V. (VDR), ist klar, dass ein einfaches Zurück zur Normalität vor der Pandemie nicht geben wird. „Teilnehmerbeschränkungen und Abstandsregeln werden uns ganz sicher noch eine geraume Zeit begleiten. Unter diesen Bedingungen bieten hybride Tagungen das Potenzial, eine prinzipiell unbegrenzte Zahl an Interessierten an der Veranstaltung teilhaben zu lassen – unabhängig von lokal geltenden Bestimmungen.“ Aber selbst ohne pandemiebedingte Einschränkungen böten hybride Tagungen den Teilnehmenden die Möglichkeit, vollkommen ortsungebunden dabei zu sein.
Inhaltlich sieht Prof. Dr. Lorenz Pöllmann von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin Hybride Events als besonders geeignet für Events, bei denen das Publikum vor dem Bildschirm keinen signifikanten Nachteil gegenüber dem Publikum vor Ort hat. „Das betrifft Veranstaltungen, bei denen die multisensuale Inszenierung vor Ort vergleichsweise unwichtig ist.“ Der Forscher unterscheidet zwischen eher prozess- und eher ergebnisorientierten Events. Bei einem Musikfestival gehe es um die Stimmung, Inszenierung des Ortes und die Interaktion, der Erlebnisprozess sei entscheidend. Anders verhalte es sich bei Kongressen, Tagungen oder Informationsveranstaltungen wie z. B. Pressekonferenzen: „Hier geht es stärker um die Vermittlung von Informationen und somit das Ergebnis des Wissenstransfers.“
Aus der Praxis bestätigt André Wiehe von der Radisson Hotel Group, dass Veranstaltungen, bei denen der Networking-Aspekt im Vordergrund steht, ganz klar eine physische Präsenz benötigen. „Die Diskussion, die Reflektion mit anderen Teilnehmern lassen sich in einem natürlich-entspannten Rahmen kaum online reproduzieren.“ Dagegen sind Schalten von kleineren Teams an mehreren Standorten, um gut vorbereitete Entscheidungen zu treffen oder Informationen auszutauschen, für ihn das hybride Vorzeigeformat. Technisch setzen die Häuser auf digitale Hard- und Software-Lösungen. Bei der Messe München etwa loggt sich der Teilnehmer „mit seiner E-Mail-Adresse und einem entsprechenden Ticket-Code ein und befindet sich danach direkt im digitalen Messegeschehen“, erklärt Geschäftsführer Klaus Dittrich. Hier soll die Online-Plattform ergänzend zum Präsenzformat ein ganzjähriger digitaler Treffpunkt für Aussteller und Besucher sein.
Die Vorteile für ein breites Publikum bei Hybriden Formaten betont Prof. Dr. Thomas Bauer von der Duale Hochschule Baden-Württemberg, Ravensburg. „Während bereits heute die meisten Fachveranstaltungen (B2B) nur nach Akkreditierung von relevanten Vertretern einer Branche besucht werden können, eröffnet ein zusätzliches und digitales Angebot theoretisch erst den Zugang eines breiten Publikums zu Informationen aus erster Hand.“ So bliebe der Nutzen des persönlichen Austauschs auf der Veranstaltung limitiert auf die relevantesten Teilnehmer; der Nutzen der Informationsteilhabe und gegebenenfalls Kontaktaufnahme werde zudem einem breiteren Kreis über die digitale Verlängerung ermöglicht. „So könnten Ertragsmodelle der Veranstaltungsbranche erhalten und gegebenenfalls komplettiert werden.“