In der Pandemie hat die deutsche Pharmabranche ihre Innovationskraft bewiesen. Wie steht die Branche heute aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich da?
Sie haben recht, die Corona-Jahre haben eindrucksvoll gezeigt, wie essenziell unsere Branche ist. Innovationen wie zum Beispiel die mRNA-Technologie aus Deutschland haben maßgeblich dazu beigetragen, einen Ausweg aus der menschlich, sozial und wirtschaftlich bedrohlichen Lage zu finden.
Wir können uns darauf aber nicht ausruhen. Auch in den kommenden Jahrzehnten werden große Herausforderungen auf uns zukommen, für die wir uns rüsten müssen: der demografische Wandel, die Digitalisierung und der nachhaltige Umbau unserer Wirtschaft.
Eine starke und innovative deutsche Pharmaindustrie kann helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden, denn sie ist wissensintensiv, innovativ, divers und zählt zu den produktivsten Wirtschaftszweigen. Doch momentan sehe ich die Gesundheitsbranche in Deutschland bedroht.
Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb, das dürfen wir nicht unterschätzen. Global geben die USA - und zunehmend China - den Ton an. Bis 2017 war Deutschland beispielsweise die Nummer 1 in Europa, was klinische Studien angeht. Mittlerweile belegen wir nur noch Platz 6! Gründe dafür gibt es viele, vor allem aber eine überbordende Bürokratie, zusätzliche gesetzliche Sparmaßnahmen wie beispielsweise Zwangsrabatte oder auch die schleppend anlaufende Digitalisierung.
Die Folge: erste Unternehmen, die als große deutsche Erfolgsbeispiele galten, haben angekündigt, sich mit ihren Forschungsbemühungen verstärkt auf andere Länder zu konzentrieren.
Es ist also enorm wichtig, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für Innovationen in Deutschland stimmen – sowohl bei „klassischer Forschung“, aber auch bei der Datennutzung und den neuen digitalen Technologien. Die industrielle Gesundheitswirtschaft in Deutschland steht für rund 1 Mio. Arbeitsplätze und eine Bruttowertschöpfung über 100 Mrd. Euro. Sie muss gestärkt werden, denn sie ist eine Säule unseres Wohlstands.
Herr Moisa, Ihr Unternehmen gehört zu den forschenden Pharmaunternehmen und so haben Sie in Deutschland allein im vergangenen Jahr 211 Mio. Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Wie wird sich diese Investition in den kommenden Jahren Ihrer Ansicht nach weiter entwickeln und wovon sind diese Investitionen abhängig?
Innovationen, die die Zukunft der Patient*innenversorgung verbessern können, gelingen nur, wenn man forscht. In unserem Unternehmen fließt jeder fünfte eingenommene Euro zurück in die Forschung. Außerdem führen wir pro Jahr über 200 Studien mit insgesamt über 9.000 Studienteilnehmer*innen durch. Damit sind wir hierzulande führend – „Deutscher Meister“, wenn Sie so wollen.
Aber wir brauchen für unsere Innovationen auch Planbarkeit! Medizinische Forschung ist sehr teuer und mit einigen Risiken verbunden. Wenn wir sie in Deutschland weiter betreiben wollen, muss sich dies auch lohnen.
Das aktuelle Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) bremst eher, als dass es Innovation fördert. Ich rechne damit, dass die Folgen der aktuellen Sparmaßnahmen nicht heute oder morgen sichtbar werden, sondern auf lange Sicht zu einem Verlust unserer Wettbewerbsfähigkeit führen.
Würden Sie sagen, wir müssen uns unsere Gesundheit etwas kosten lassen, denn diese Ausgaben ermöglichen auch wirtschaftlichen Aufschwung?
Investitionen in die Gesundheit bringen uns mehr Vorteile – für unsere Gesundheit und für unseren wirtschaftlichen Wohlstand – als sie uns kosten.
Ich finde, wir müssen dringend an unserer Sichtweise arbeiten. Ich halte die Betrachtung, Gesundheitsausgaben als störenden Kostenfaktor zu sehen, für grundsätzlich falsch. Wir müssen lernen, Ausgaben für das Gesundheitswesen als Investition in unsere Zukunft zu begreifen. Denn die Gesundheit unserer Bevölkerung hängt eng mit nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung und sozialem Wohlergehen zusammen.
Nehmen wir als Beispiel den Fachkräftemangel in Deutschland. Die größte stille Reserve unseres Arbeitsmarktes schlummert in den zahlreichen Fällen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit. Der monetäre Wert des Produktivitätsverlustes beträgt insgesamt zwischen einer halben Mrd. und 1,1 Mrd. Euro aus volkswirtschaftlicher Perspektive, abhängig davon, ob er mit dem aktuellen Mindestlohn oder dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn bewertet wird.
Wenn wir hier also frühzeitig und smart investieren würden, sodass Arbeitnehmer*innen ihre Gesundheit möglichst lang erhalten oder schnell wiedererlangen können, könnten wir ein enormes Potenzial freilegen. Ein Beispiel für Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Hier gingen im Jahr 2019 Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte mit einem geschätzten Ausfall von 14,4 Mio. Stunden Erwerbsarbeit einher. Um diese Reserven zu mobilisieren, ist aber ein Perspektivwechsel in unserem Gesundheitssystem erforderlich: wir müssen viel mehr auf Prävention und Früherkennung setzen, statt „nur“ Krankheiten zu behandeln.
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Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, damit die Pharmaindustrie auch weiterhin ihre Innovationskraft beweisen und zukünftig als führende Industrie für den Wirtschaftsstandort Deutschland anerkannt werden kann?
Die Politik sollte konsequent auf Innovation und Pharma bzw. Life Sciences als Schlüsselindustrie setzen. Die Bedingungen für Investitionen und Forschung & Entwicklung müssen international wettbewerbsfähig gestaltet werden. Außerdem müssen Gesundheits- und Industriepolitik zusammen gedacht werden, denn politische Entscheidungen können erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben.
Wenn diese Rahmenbedingungen stimmen, siedeln sich forschende Unternehmen auch an unserem Standort an und die Patient*innen bekommen frühen Zugang zu den Innovationen. In einem großen und gut funktionierenden Markt werden sich auch Produktionsstandorte im internationalen Wettbewerb behaupten können. Zudem werden Produkte weiterentwickelt, bilden sich Cluster aus Akademia und Zulieferern – und Investitionen fließen. Wir müssen uns also bewusst sein: es hängt alles mit allem zusammen!
Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik für Rahmenbedingungen für eine prosperierende hiesige Pharmabranche?
Ich möchte noch einmal betonen, wie wichtig es ist, ein verlässliches und attraktives Marktumfeld zu gestalten, um Investitionen und Innovationen anzuziehen. Denn auch in einem regulierten Markt wie dem Gesundheitswesen lohnen sich Innovationen nur, wenn sie adäquat vergütet werden.
Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür sorgen, dass wir den negativen Trend zur Abwanderung der klinischen Forschung umkehren. Auch hier wünschen wir uns ein klares Bekenntnis der Politik zu Innovation sowie entsprechende Rahmenbedingungen. Unsere Forderungen sind:
1) Wir sollten Bürokratie abbauen und Harmonisierung vorantreiben, um Forschung zu beschleunigen.
2) Geistiges Eigentum muss konsequent geschützt werden.
3) Digitalisierung und der Einsatz neuer Technologien wie der Künstlichen Intelligenz müssen zügig vorangetrieben werden.
4) Digitale Gesundheitsdaten sollten sicher und anonymisiert der Forschung zugänglich gemacht werden. Denn Daten retten Leben!
5) Ärzt*innen und Patient*innen müssen für klinische – auch dezentralisierte – Studien sensibilisiert werden, um in der klinischen Forschung wieder einen Spitzenplatz einzunehmen.
6) Und wir müssen die Translation fördern. Denn nur wenn die Forschung auch Eingang in die klinische Praxis finden, können Patient*innen davon profitieren und kann die Gesundheitsversorgung optimiert werden.
Pharma ist eine Hightech-Industrie und sie ist forschungsintensiv. Ich bin überzeugt: wenn wir gute Bedingungen bieten, kann die Branche eine Schlüsselrolle spielen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen!