Welche Digitalisierungsmaßnahmen könnten die weltweiten Lieferketten stabiler, resilienter machen?
Transparenz über die gesamte Lieferkette ohne „schwarze Löcher“ ist das A und O. Viele Unternehmen können isoliert voneinander ganz gut ihre Aktivitäten sehen. Aber unternehmensübergreifend sieht die Lage schon anders aus. So wird einem Händler in Deutschland zwar der Versand in China durch das Produktionsunternehmen gemeldet. Ab dann verschwindet die Sendung jedoch von der Bildfläche. Durch die zahlreichen Akteure alleine entlang der Transportkette liegen die Informationen an unterschiedlichen Stellen und werden selten miteinander verknüpft. Meist erhält der Händler sehr kurzfristig eine Information über den Stand der Sendung – und das oft erst auf Nachfrage oder wenn sie kurz vor seinen Toren steht. Wenn die Kenntnis über Lieferfähigkeiten und Transportzeiten zwischen den Akteuren automatisch und in Echtzeit ausgetauscht werden würden, könnten sie sich auf die Gegebenheiten frühzeitig durch Anpassungen auf der Beschaffungsseite, der Produktionspläne oder der Vertriebsmaßnahmen einstellen, ohne dass sie die Kunden zu sehr enttäuschen.
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Muss das verantwortungsvolle Supply Chain Management künftig wieder verstärkt auf Lager statt auf Lieferung „just in time“ setzen?
Ein Grund für die angespannte Lage ist die sehr eng getaktete und auf das Maximum optimierte Lieferkette, die durch die geringen Sicherheitsreserven des „just in time“ wenige Fehler erlaubt. Durch die Vernetzung vieler Unternehmen hat ein Problem bei einem Unternehmen Auswirkungen auf viele andere. Schnell entwickelt sich hier ein Dominoeffekt. Nicht nur die strikten Maßnahmen gegen COVID19 wie Shutdowns von Produktions- und Terminalanlagen haben das althergebrachte System zum Kippen gebracht. Weitere Ereignisse führten zu einem langfristig wirkenden Kollaps: extreme Zunahme der Nachfrage nach elektronischen Geräten im Büro- und Privatbereich und der damit einhergehenden Engpässe bei Mikrochips, Blockade des Suezkanals, der Krieg in der Ukraine etc. Dies lässt Unternehmen und Regierungen ihre Strategien überdenken, da die Eintrittswahrscheinlichkeit der Risiken mit hohem Schaden insgesamt gestiegen ist. Ein Resultat sind die wachsenden Bestände, ein anderer das Verkürzen der Lieferketten, um den Schaden bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit zu reduzieren.
Wie stehen Sie zum aktuellen globalen Trend, mit Produktion und Forschung direkt in die Zielländer zu gehen?
Diese, wie ich sie nenne, Regionalisierung der Globalisierung haben wir im Expertenkreis der Logistikweisen unter der Schirmherrschaft des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Digitales und Verkehr Oliver Luksic, MdB, bereits 2017 ins Gespräch gebracht. Dies bedeutet, dass die Ketten mehr auf die Kundenseite ausgerichtet werden, was zu einer Verlagerung der letzten Wertschöpfungsstufen in die Nähe der Kunden führt. Dies reduziert einige Risiken und erhöht den Kundennutzen, da mehr auf deren Anforderungen eingegangen werden kann. Dies bedeutet entsprechend nicht, dass die Supply Chains nur noch regional begrenzt sind. Das ist in der Realität nicht möglich, da Deutschland und auch Europa insgesamt bekanntlich rohstoffarm sind und auf diese weltweiten Lieferungen angewiesen sind. Auch bedeutet es nicht, dass die Schwellenländer weniger zu tun haben. Im Gegenteil: die Kunden dort bleiben ja weiterhin bestehen und nehmen tendenziell zu – und profitieren davon, dass sie sich nicht dem Geschmack der „westlichen Welt“ angleichen müssen. Aus diesem Grund stehe ich sehr positiv zu dieser Entwicklung.
Mit Blick auf Klimawandel und CO2-Fußabdruck: Wie organisiert man einen möglichst energiearmen und sicheren Transport?
Ein energiearmer Transport bedeutet im ersten Schritt eine maximale Auslastung des Laderaums. Immer noch sind die Leerfahrten und nicht vollausgelasteten Transporte zu hoch, auch wenn bereits sehr viel getan werden konnte. Ein Optimum ist sicherlich nie zu erreichen. Dafür sind die Transportbedürfnisse zu unterschiedlich. Aber es ist noch einiges möglich. Noch immer werden knapp 30% der Lastkilometer leer gefahren und nur knapp 60% des Ladevermögens der Lkw genutzt. Höhere Transparenz über die Kapazitäten, mehr Flexibilität bei den Transportzeiten und engere Kooperation zwischen allen Akteuren kann einiges bewirken.
Weiterhin sollte sich dem Antrieb gewidmet werden, die in Zukunft klimaneutral sein sollten. Eine Verlagerung der Straßentransporte mit dem höchsten Anteil an CO2-Ausstoß im Güterverkehr auf die Schiene ist in Grenzen möglich. Deshalb ist auch an den Antrieben zu arbeiten. Um die richtigen Rahmenbedingungen auf dem Transformationsweg zu setzen, begleiten wir das Bundesministerium für Digitales und Verkehr in einem Konsortium (erste Ergebnisse siehe https://www.klimafreundliche-nutzfahrzeuge.de/). Es ist wichtig, dass der Straßengüterverkehr nicht nur klimaneutral wird, sondern auch wettbewerbsfähig bleibt.
Was muss in Ziel- und Exportländern – jenseits militärischer Absicherung von Handelswegen – getan werden, um die Lieferketten im Fluss zu halten?
Es sollten die Voraussetzungen geschaffen werden, dass einzelne Staaten oder Unternehmen nicht eine solche Macht auf sich vereinen, dass sie diese ganzen Supply Chains zum Erliegen bringen können. Es sollte bspw. verhindert werden, dass eine sicherlich sinnvolle Neue Seidenstraße ausschließlich durch Gelder eines Staates finanziert wird oder dass alle Seehafenterminals eines Landes von einem Unternehmen betrieben werden. Es sollten ausreichend unabhängige voneinander organisierte Möglichkeiten der Organisation von Transportketten bestehen. Klumpenrisiken sind auch im Verkehr für Unternehmen in Deutschland gefährlich. Dies hat eindrücklich die Blockade des Suezkanals gezeigt. Wäre dies kein Unfall mit relativ schneller Auflösung durch gemeinsame Anstrengung vor Ort und mit Unterstützung durch internationale Partner, sondern eine politische Maßnahme mit unkalkulierbarer Dauer gewesen, wären die Lieferketten deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen worden, als sie dies bereits gewesen sind.