Das „Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz“ (DEMIS) soll bis Ende 2022 allen Gesundheitsbehörden in Bund und Ländern zur Verfügung stehen. Wie sind die deutschen Gesundheitsbehörden nach Ihrer Einschätzung in der digitalen Transformation heute aufgestellt?
JP: 2020 hat die digitale Gesundheitslandschaft verändert wie nie zuvor. Ursache war neben dem Reformeifer des Gesundheitsministers, selbstverständlich auch die Corona-Pandemie, die die Digitalisierung einerseits vorangetrieben hat, andererseits viele digitale Schwachstellen offenbarte. Nach Angaben des BMG sind derzeit immerhin schon 337 von 375 Gesundheitsämter (90 Prozent) an DEMIS angebunden. Die Mindeststandards, die bis zu diesem Frühjahr erarbeitet werden sollen, sind an der „digitalen Reife“ einer Organisation orientiert (IT-Infrastruktur, Hardware, Software, Informationssicherheit, Prozessunterstützung). Dieser digitale Reifegrad kann gute Hinweise auf den aktuellen Stand der Technologie, der Prozesse und Qualität sowie die digitale Qualifikation der Mitarbeiter/innen geben. Insbesondere im öffentlichen Gesundheitsdienst besteht im Bereich dieser digitalen Qualifikation der Mitarbeiter/innen großer Handlungsbedarf. Hier zu unterstützen wäre eine wichtige Aufgabe für Public Health! Ob dieses Thema höchste Priorität in den Ländern - mit ihren unterschiedlichen technischen Fortschritten und Insellösungen hat - bleibt zu bezweifeln.
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Welche Herausforderungen sehen Sie bei der digitalen Vernetzung der Gesundheitsbehörden untereinander?
KB: Die digitale Vernetzung der Krankenhäuser und der niedergelassenen Ärzte hat fast 20 Jahre gedauert und der Prozess ist immer noch nicht vollständig abgeschlossen. Obwohl es bereits seit vielen Jahren gute, interoperable und technologisch ausgereifte Konzepte gibt, tun sich die Organisationen aufgrund der Vielfalt der Träger und der Verantwortlichkeiten schwer mit der Umsetzung. Analog dazu sind insbesondere während der aktuellen Pandemie die organisatorischen Defizite und Schnittstellenprobleme im ÖGD deutlich zutage getreten, weshalb auch hier die Bereitstellung von hohen EURO-Summen nur ein erster Schritt wäre, die wichtigste Herausforderung stellt der Fachkräftemangel sowie die Aus- und Weiterbeildung der vorhandenen Mitarbeiter/innen im Bereich der digitalen Möglichkeiten und Lösungen dar.
Der Bund unterstützt die Digitalisierung der Gesundheitsbehörden mit verschiedenen Programmen – sind diese hinreichend?
KB: Es reicht nicht aus, nur eine einfache digitale Lösung wie „DEMIS“ oder „SORMAS“ zu entwickeln und den Entscheider/innen in den Kommunen „anzubieten“. Vorab sollte der digitale Reifegrad der Gesundheitsämter ermittelt und bei Bedarf die Mitarbeiter/innen weiterqualifiziert werden. Mit digital vernetzten Anwendungen sind auch immer Veränderungen in den Arbeitsprozessen verbunden – damit muss sich der ÖGD vorab auseinandersetzen. Dies erfordert sowohl ein fundiertes digitales Grundlagenwissen und Problemverständnis auf der Leitungsebene, als auch die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen bei allen Mitarbeiter/innen.
Digitale Gesundheitsdaten sind besonders sensibel. Wie kann ein effizienter Datenschutz gewährleistet werden?
KB: Mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz wurde bereits 2004 von der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Konzeption und der Aufbau einer modernen Gesundheitstelematikplattform in Deutschland gesetzlich geregelt. Nach einigen Startschwierigkeiten und Abstimmungsproblemen innerhalb der Selbstverwaltung wurden diese hochsicheren Strukturen, das sogenannte „digitale Gesundheitsnetz für Deutschland“ durch die gematik implementiert und die Leistungserbringer sind flächendeckend über diese Plattform sicher vernetzt. Voraussetzung für die Hochsicherheit ist allerdings, dass auch die Verantwortlichen in der Praxis ihre Hausaufgaben machen und das Praxisnetz nach dem Stand der Technik absichern – im Übertragenden Sinne: die Tür der Arztpraxis wird ja auch verschlossen – allerdings erfordern die digitalen Schlüssel eine grundlegende digitale Fachkompetenz.
Bei Nutzung dieser Plattform und nach Umsetzung der unternehmensspezifischen organisatorischen Maßnahmen, ist die Datensicherheit gewährleistet und die Daten können auch sehr gut geschützt werden. Wichtig wäre es hier, eben auch den ÖGD mittels interoperabler Systeme und Schnittstellen zeitnah an diese hochsichere Plattform anzubinden.
JP: Aus organisatorischer Sicht gibt es für die meisten Fragestellungen bereits sehr gute interoperable, d.h. auf internationalen Standards basierende, Lösungen, manchmal sogar (fast) zu viele. Allerdings ist es auch auf der Ebene der Anwender wichtig, die Inhalte der europäischen Datenschutz Grundverordnung (EH-DSGVO) zu kennen und sie bei der täglichen Arbeit mit den Patientendaten tatsächlich umzusetzen. Auch für diese Realisierung des Datenschutzes ist eine umfassende Qualifikation der beteiligten Mitarbeiter/innen notwendig. So wie wir es an der APOLLON Hochschule für Studierende und Interessenten handhaben, können entsprechende Fachmodule zur Qualifizierung in diesem wichtigen Themenfeld hier Abhilfe schaffen.