Die große europäische Jugend-Studie „Generation What“ zeigt ein dramatisches Misstrauen der jungen Menschen gegenüber von Institutionen. 84 % der Befragten aus Österreich haben kein oder überhaupt kein Vertrauen in die Politik, bei den Medien sind es 83 %. Woher kommt diese Vertrauenskrise?
Das ist eine wichtige Frage, der wir uns stellen müssen! Nun sagt dieser statistische Wert noch nichts über die Auslöser dieser Vertrauenskrise aus. Wenn wir uns aber weitere Aussagen dieser Gruppe ansehen, bekommen wir Hinweise auf mögliche Ursachen. Über die Hälfte gibt an, dass ihnen die Gesellschaft nicht die Möglichkeit gibt, zu zeigen, was in ihnen steckt. Nicht wenige sind der Ansicht, dass der Verlauf ihres Lebens nicht in ihrer Macht liegt. Das sind Aussagen, die uns zu denken geben sollten. Offensichtlich haben zu wenige junge Menschen das Gefühl, Handlungsmacht zu besitzen – also aktiv und nach ihren Wünschen ihr Leben gestalten zu können. Genau hier müssen wir ansetzen. Wir müssen den jungen Menschen in diesem Land wieder ein positives und selbstbestimmtes Gefühl für ihre eigene Zukunft geben.
Was müssen die Politik und Medien leisten um aus dieser Vertrauenskrise herauszukommen?
Hier spielen mehrere Dinge zusammen. Einerseits geht es darum, den Jugendlichen wieder Mündigkeit zu vermitteln. Unsere Schülerinnen und Schüler müssen sich wieder als aktive Gestalterinnen und Gestalter ihrer eigenen Biographien und auch der Gesellschaft wahrnehmen. Auf der anderen Seite müssen wir Schule so konzipieren, dass alle Kinder die gleichen Chancen auf beste Bildung erhalten. Denn die Bildung ist der wesentliche Faktor für beruflichen wie privaten Erfolg im Leben. Es gilt daher erstens, die grundsätzlichen Voraussetzungen für Chancengerechtigkeit zu schaffen und zweitens, den Schülerinnen und Schülern ganz klar das Gefühl zu geben, aktive AkteurInnen in der Gesellschaft zu sein. Das Misstrauen vieler junger Menschen gegenüber Medien kann der digitalen Entwicklung geschuldet sein. Mit dem Internet sind schließlich nicht nur etliche neue Informations- und Kommunikationskanäle entstanden, sondern auch ein gewisses Überangebot an Informationen und Daten – es wird zunehmend schwierig, im World Wide Web reale von „Fake News“ zu unterscheiden. Damit unsere Schülerinnen und Schüler lernen, sich selbstbewusst aber kritisch in der digitalen Welt zu bewegen, haben wir daher im Zuge der kürzlich vorgestellten Digitalisierungsstrategie digitale Grundbildung an allen Schulen verankert.
51 % der Befragten finden das Bildungssystem „ungerecht“ oder „eher ungerecht“ – in anderen Ländern (etwa Finnland, 15 %) sind es deutlich weniger. Was kann und sollte dagegen getan werden?
Bildung wird in Österreich leider noch immer stark vererbt. Was heißt das? Bei Kindern, deren Eltern höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, ist die Chance, eine Uni abzuschließen, viel geringer als bei Kindern aus Akademikerhaushalten. Das heißt, wir müssen die Aufstiegsmobilität erhöhen: Jedes Kind hat das Recht auf die beste Bildung – unabhängig vom Einkommen, Bildungsgrad oder der Herkunft der Eltern. In Finnland, dessen Schülerinnen und Schüler regelmäßig Spitzenplätze bei PISA belegen, gibt es für alle Kinder eine gemeinsame Schule, und zwar von der 1. bis zur 9. Schulstufe. Die Gesamtschule trägt zu einer gesellschaftlichen Durchmischung bei und ermöglicht dadurch allen Kindern eine höhere Chancengerechtigkeit was Bildung angeht. Deshalb bleibt sie grundsätzlich eine sozialdemokratische Forderung. Abgesehen von der gemeinsamen Schule ist vor allem die Ganztagsschule als Motor für mehr Chancengerechtigkeit zu nennen. Durch ganztägige Betreuung in der Schule erhalten Kinder aus sozial schwächeren Familien die Unterstützung die sie brauchen, um sich bestmöglich zu entwickeln. Ich bin daher wirklich froh, dass wir im Herbst 2016 750 Millionen Euro zusätzlich für den Ausbau der Ganztagsschulangebote beschlossen haben.
30 % der Befragten glauben, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern. Wie bewerten Sie das?
Dieses Misstrauen bewerte ich kritisch, nehme es aber natürlich sehr ernst. Ich denke, dass diese gefühlte Unsicherheit in großen Teilen von den geänderten Rahmenbedingungen herrührt. Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit. Bildungs- und Berufslaufbahnen sehen ganz anders aus als noch vor 50 Jahren. Es wird zusehends schwieriger, seine eigene Karriere zu planen – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man nicht 30 Jahre lang im selben Job bleibt. Unsere Aufgabe ist es daher, die Schülerinnen und Schüler auf die geänderten Verhältnisse dieser Schnelllebigkeit vorzubereiten. Es gilt, Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenz, Unternehmertum, Teamfähigkeit und queres, fächerübergreifendes Denken zu vermitteln. Dafür brauchen wir Schulen, die mit neuen Unterrichtsformen die Neugierde der Kinder wecken und sie mit all ihren individuellen Stärken und Bedürfnissen fördern. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer müssen in der Lage sein, ohne großen bürokratischen Aufwand, innovative Pädagogik in die Klassenzimmer zu bringen. Sie, die täglich in den Klassenzimmern stehen, wissen schließlich am besten, was die Kinder und Jugendlichen brauchen, um sich optimal zu entwickeln. Mit dem Schulautonomiepaket bekommen die Schulen endlich die Gestaltungsfreiheit, die sie für eine solche moderne pädagogische Betreuung benötigen. Eine verstärkte Autonomie der Schulstandorte ist also tatsächlich notwendig, um die Schülerinnen und Schüler auf die neuen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechend vorzubereiten. Nur so sind unsere Kinder und Jugendlichen gerüstet und begegnen der Zukunft mit ausreichend Selbstvertrauen. Übrigens: MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften sowie Technik) und digitale Kompetenzen sind zweifellos Themen der Zukunft. Eine Aus- oder Weiterbildung in diesen Bereichen lohnt sich also in jedem Fall!

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