Der Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung von Plattformen sieht besondere Regeln für die Plattformen vor, die eine Nutzerschaft von 10 % (oder in Zahlen 45 Millionen) in Europa erreichen - wie bewerten Sie diese Grenze?
Prinzipiell hat die EU-Kommission mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) zwei überaus sinnvolle Verordnungen als Diskussionsvorlage präsentiert, die ein neues Zeitalter der Regulierung einläuten. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. ist mit den dort formulierten Zielen einverstanden. Jedoch müssen diese Ziele auch erreicht werden können. Um eine zukunftsgerichtete Balance zwischen den Interessen der Nutzer und denen der Unternehmen zu erreichen, müssen die Vorschläge verfeinert werden. Hier besteht eindeutig Potenzial nach oben.
Es ist richtig, eine Grenze zu ziehen. Denn: Nicht alle Online-Plattformen sind in der Digitalen Wirtschaft einheitlich zu betrachten, da sie völlig unterschiedliche Reichweiten besitzen. Dass die EU-Kommission eine Staffelung der Verpflichtungen vorsieht und größere Plattformen zu mehr Transparenz auffordert, ist daher nachvollziehbar. Durch die große Reichweite dieser Plattformen ist auch das Risiko illegaler Inhalte entsprechend höher. Hier muss der Grundsatz sein: Den Wunsch nach Innovation und nach Sicherheit in die richtige Balance zu bringen. Während die Einführung weiterer Verpflichtungen für größere Plattformen sinnvoll ist, sollte es für kleine Plattformen eine Ausnahme von bestimmten Verpflichtungen geben, da sie nicht die Kapazitäten und Finanzen haben, um die Vorgaben zu erfüllen. Dies bremst die Innovationskraft. Zudem muss der Blick darauf gerichtet werden, dass illegale Inhalte von großen Plattformen auf kleinere Plattformen abwandern könnten. Einer „Verschleppung“ von Inhalten muss entgegengewirkt werden. Diese notwendige Ausdifferenzierung der Vorschriften muss von allen Beteiligten in den nächsten Wochen und Monaten geleistet werden.
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Die großen Plattformen sollen etwa ihre Algorithmen offenlegen und unabhängig prüfen lassen. Wer sollte diese Algorithmen worauf kontrollieren?
Aus Sicht des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. ist fraglich, ob Kontrolle die Intention der Vorschläge ist. Eine umfassende und tiefergehende Algorithmenkontrolle ist in jedem Fall innovationsfeindlich. Algorithmen sind das Schlüsselelement für alle datengetriebenen Geschäftsmodelle sowie das Zukunftsfeld KI, das ohne Algorithmen und Daten gar nicht auskommt. Diese einer Kontrolle zu unterstellen, würde bedeuten, den entscheidenden Teil der digitalen Wertschöpfung preiszugeben. Vielmehr stellen sich folgende Fragen: Wo ist die Grenze zu ziehen? Ab wann muss eine Kontrolle erfolgen? Der BVDW ist der Ansicht, dass die Vorschläge der EU-Kommission ein weiteres Level an Transparenz schaffen möchten – statt bloßer Kontrolle. Dies käme einer Erweiterung der seit 2019 bestehenden Plattform-to-Business-Verordnung gleich, die bereits die Transparenz beim Ranking von Suchergebnissen verbessert. Es wäre jedoch kritisch, wenn darüber hinaus jegliche Parameter und Details offengelegt werden müssen.
Geplant ist auch eine Vorschrift für einen verbesserten Datenzugang und für mehr Interoperabilität von Diensten, die etwa den Nachrichtenaustausch zwischen verschiedenen Messengern ermöglichen soll. Wie schätzen Sie dieses Vorhaben ein?
Datenzugang, Interoperabilität und auch Datenportabilität sind Elemente, die in der digitalen Wirtschaft eigentlich Anwendung finden müssten: Sie fördern Innovation und stärken den Wettbewerb. Daher bewertet der BVDW die Debatte grundsätzlich positiv. Aus unserer Sicht ist ein verstärkter Datenzugang interessant, da dieser die gesamte Digitale Wirtschaft unterstützen kann. Eine Standardisierung sorgt dafür, dass alle den gleichen „Stecker“ samt „Gleichstrom“ benutzen: Dies kann Innovation beschleunigen, sofern die Standardisierung leicht in der Praxis umsetzbar ist. Im Rahmen der Vorschläge prüfen und diskutieren wir als BVDW diese Ideen derzeit mit unseren Mitgliedern.
Vorgesehen sind neue Regeln zur Entfernung illegaler Inhalte. Inwieweit könnten diese mit bereits vorhandenen nationalen Regulierungen kollidieren?
Das „Notice-and-Action“-Verfahren, das durch den DSA eingeführt wird, ist aus unserer Sicht grundsätzlich positiv zu bewerten: Es soll einheitliche Regelungen für die EU etablieren und verfolgt mit der Bekämpfung illegaler Inhalte ein wichtiges Ziel. Bisher gibt es zu dem Thema in einigen Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze, beispielsweise in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Aus Unternehmenssicht sind einheitliche Regeln für Europa wünschenswert, da der Prozess vereinfacht und die Rechtssicherheit erhöht wird. Aber auch andere nationale Regelungen könnten relevant sein. Hierfür ist es wichtig, eine einheitliche Auffassung zu erlangen, was mit „illegalen Inhalten“ gemeint ist und welche Regelungen greifen könnten. Generell gilt: Es muss genau geprüft werden, wie die Verordnung mit der sektoralen Gesetzgebung der EU und mit der nationalen Gesetzgebung zusammenspielt. Es darf idealerweise weder zu Doppelungen noch zu Lücken kommen.
Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt noch in das Regulierungs-Paket aufgenommen werden - bzw. was gehört unbedingt gestrichen?
Die Doppelung von Gesetzestexten ist ein besonderes Problem. Vor dem Hintergrund der DSGVO und ePrivacy-Verordnung haben wir die Debatte um die Personalisierung von Werbung im Rahmen der Vorschläge zum DSA/DMA mit Unverständnis wahrgenommen. Eine weitere Regelung des gleichen Sachverhalts in einem anderen Gesetzestext führt letztendlich alles ad absurdum. Wir können nachvollziehen, dass die EU-Kommission Transparenzpflichten für Online-Werbung vorschreiben möchte. Doch: Die Pflichten gehen sehr weit. Das EU-Parlament hatte sogar die Prüfung eines Verbots personalisierter Online-Werbung gefordert. Ein grundsätzliches Verbot der ,Personalisierung von Werbung‘ ist weder im Sinne der Wirtschaft noch der Verbraucher. Daneben ist festzuhalten, dass Werbung und die auf Zielgruppen abgestimmte Gestaltung und Verbreitung von Werbung redaktionelle Inhalte refinanziert: Dies stärkt wiederum die Pressefreiheit und den Meinungspluralismus. Es muss daher dringend Aufklärungsarbeit geleistet werden, was unter ,Personalisierung‘ zu verstehen ist. Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch hat ein Recht auf Datenschutz und Privatsphäre. Dies wird bereits seit 2018 durch die DSGVO europaweit geregelt. Wir dürfen mit dem DSA nun keinen riskanten Weg einschlagen und Unternehmen durch Über- und Doppelregulierung in diesem Punkt schwächen.