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Wie Predictive Policing die Polizeiarbeit unterstützt

Und wo die Grenzen der softwaregestützten Kriminalitätsvorhersage liegen

Prof. Dr. Felix Bode M.A. - Professur für Kriminologie Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen Quelle: HSPV Prof. Dr. Felix Bode Professor für Kriminologie Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW 12.08.2020
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Der Einsatz von Predictive Policing bietet aus Sicht der Kriminologen Prof. Dr. Felix Bode  "großes Potenzial für die Polizeiarbeit". Es ersetze die klassische Polizeiarbeit indes nicht, trage aber sicherlich zu guter Polizeiarbeit bei. Vorsicht mahnt er bei der Verwendung personenbezogener Daten an und verweist dabei auf Chicago-Heat-List, für die eine Software 400 potenzielle schwere Straftäter ausgemacht hatte.







Für verschiedene Delikte setzt die Polizei Vorhersage-Software ein – welches Potenzial hat dieses Predictive Policing aus Ihrer Sicht für die Polizeiarbeit?
Der Einsatz von Predictive Policing bei der Polizei bietet aus meiner Sicht großes Potenzial für die Polizeiarbeit. In zahlreichen Bundesländern wurden entsprechende Softwarelösungen in den letzten Jahren ausführlich getestet und in einigen Fällen auch wissenschaftlich evaluiert. Für den Wohnungseinbruchdiebstahl lassen sich beispielsweise höhere Einbruchwahrscheinlichkeiten für bestimmte Gebiete in einer Stadt berechnen. Wenngleich bislang kein kausaler Zusammenhang zwischen einem Rückgang von Kriminalität und dem Einsatz von Predictive Policing festgestellt werden konnte, zeigen die meisten Ergebnisse, dass Polizeiarbeit durch den Einsatz solcher Software aber unterstützt werden kann. Dies lässt sich insbesondere bei der Einsatzplanung und Kräftesteuerung oder aber im Rahmen der Prävention von Einbruchdelikten dokumentieren. Das Potenzial von Predictive Policing liegt hierbei in der Unterstützung der Polizeiarbeit. Es ersetzt nicht die klassische Polizeiarbeit, trägt aber sicherlich zu guter Polizeiarbeit bei.

Beim Predictive Policing kommen Algorithmen zum Einsatz – wer sollte diese wie kontrollieren?
Diese Frage lässt sich leider pauschal nicht leicht beantworten, denn die eingesetzten Algo-rithmen sind sehr unterschiedlich, da je nachdem welches Delikt prognostiziert werden soll, andere Algorithmen und Daten verwendet werden müssen. Für eine Kontrolle des jeweils eingesetzten Algorithmus benötigt die kontrollierende Person folglich auch den verwendeten Datensatz. Mit Blick auf die gebotene restriktive Handhabung bei der Verwendung von polizeilichen Kriminalitätsdatensätzen, erachte ich es als schwierig, eine möglicherweise außerhalb der Polizei angesiedelte Kontrollinstanz einzurichten. Ein aus meiner Sicht gang-barer Weg wäre es allerdings, die verwendeten Algorithmen und Eigenschaften der verwendeten Datensätze vonseiten der Polizei transparent zu machen, zum Beispiel in Form der Publikation auf der eigenen Internetpräsenz. Auf diese Art und Weise wäre es möglich, eine Kontrolle zu gewährleisten und möglicherweise Kritik und Anmerkungen in die Polizei zu transportieren.

Kritiker wenden ein, dass insbesondere die (potenzielle) Einbeziehung personen-bezogener Daten beim Predictive Policing das Recht auf informelle Selbstbestimmung gefährden könnte - wie sehen Sie das?
Diese Kritik ist durchaus berechtigt, sofern tatsächlich personenbezogene Daten einbezogen werden sollen. Aktuell ist das in Deutschland nicht der Fall. Es wird derzeit auf Basis verschiedener kriminalitätsrelevanter Datenquellen berechnet, wo in Zukunft die Entwicklung von Brennpunkten wahrscheinlicher ist. Der Fokus ist auf den Ort und die Zeit gerichtet. Personenbezogene Daten werden nicht verwendet. Eine Vorhersage, wo und wann ein konkreter Täter ein Delikt begehen wird, ist mit dem gewählten Vorgehen nicht möglich und nicht vorgesehen. In der Regel wird im wissenschaftlichen Kontext bei personenbezogenen Prognosen nicht von Predictive Policing gesprochen, sondern von Profiling, wobei beides kann prädiktive Analysen beinhalten kann. Sollte der Trend zukünftig in Richtung eines prädiktiven Profiling in Deutschland gehen, muss die Kritik, mit Blick auf den Einbezug personenbezogener Daten und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sehr ernst genommen werden. Das sicherlich bekannteste Negativ-Beispiel ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Chicago-Heat-List.

Im föderalen Deutschland sind auf Landes- und Bundesebene verschiedene Systeme im Einsatz. Inwieweit steht das einen effizienten Predictive Policing entgegen?
Der Einsatz unterschiedlicher Softwarelösungen in den einzelnen Bundesländern steht einem effizienten Einsatz von Predictive Policing grundsätzlich nicht entgegen. Zum einen hat jedes Bundesland individuelle Kriminalitätsschwerpunkte. Das bedeutet, dass Prognosemodelle immer an eigene strukturelle Besonderheiten angepasst werden müssen. Zum anderen sind die jeweiligen Vorgangsbearbeitungssysteme so unterschiedlich, dass eine bundeseinheitliche Predictive-Policing-Software technisch kaum zu realisieren wäre. Wichtiger scheint mir, dass sich angrenzende Bundesländer und Polizeien untereinander über ihre Kriminalitätsprognosen austauschen können. Es wäre beispielsweise ineffizient, wenn die Polizei in Nordrhein-Westfalen nicht weiß, dass sich an der Landesgrenze zu Niedersachsen derzeit ein Wohnungseinbruchschwerpunkt bildet.

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