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Forscher sieht Handlungsbedarf bei der Transparenz polizeilicher Algorithmen

Wo Predictive Policing hilft - und wo die Gesellschaft aufpassen muss

Dr. Simon Egbert - Soziologe, Technischen Universität Berlin Quelle: Maria Conradi Dr. Simone Egbert Soziologe TU Berlin 08.09.2020
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Aus ganz praktischen Gründen ist Predictive Policing  nach Einschätzung des Berliner Forschers Dr. Simon Egbert "fast ausschließlich in urbanen, dicht besiedelten Räumen möglich". Dort kann es bei bestimmten Delikten helfen. Bei einigen Tendenzen mahnt er, diese zivilgesellschaftlich genaustens zu verfolgen.







Für verschiedene Delikte setzt Polizei Vorhersage-Software ein – welches Potenzial hat dieses Predictive Policing aus Ihrer Sicht für die Polizeiarbeit?
Predictive Policing, also die vorhersagebasierte Polizeiarbeit, in seiner derzeitigen, raumbezogenen Form birgt für die Polizeiarbeit allen voran das Potential einer zielgerichteteren Präventionsarbeit, indem Streifenkräfte zeitnah in jene Gebiet geschickt werden, wo das Kriminalitätsrisiko in naher Zukunft als am höchsten gelten kann. Dieses Potential ist aber derzeit nur eingeschränkt abrufbar, beziehen sich gegenwärtige Praktiken des Predictive Policing doch vor allem auf Delikte im Bereich des Wohnungseinbruchdiebstahls. Viel mehr Delikte werden es wohl mittelfristig auch nicht werden, da das dominante Prognosemuster der Near Repeats hochgradig voraussetzungsvoll ist und nur bei professionellen Serientätern und -täterinnen anwendbar ist, die streng rational vorgehen. Ein solches musterhaft-kalkulierendes Vorgehen ist in vielen Deliktsbereichen aber gerade nicht der Fall, eine Prognosegenerierung dort – wenn überhaupt! – nur eingeschränkt möglich. Ein einschränkender Faktor ist überdies ein räumlicher: Die für robuste Prognosen notwendige hohe Fallzahl an Delikten ist nur in bestimmten Räumen gegeben, was im Ergebnis z. B. bedeutet, dass Predictive Policing fast ausschließlich in urbanen, dicht besiedelten Räumen möglich ist.

Beim Predictive Policing kommen Algorithmen zum Einsatz – wer sollte diese wie kontrollieren?
Grundsätzlich muss polizeiliches Handeln zu jedem Zeitpunkt der demokratischen und juristischen Kontrolle unterliegen können. Dies gilt selbstverständlich ebenfalls für die im Polizeialltag nutzbar gemachten Algorithmen. Um nachvollziehen zu können, ob polizeiliches Handeln, das durch Algorithmen – z. B. in Form von Prognosesoftwares – angeleitet wurde, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt, ist Einsicht in die Funktionsweise dieser Algorithmen für Externe für mein Dafürhalten unumgänglich. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, sind die Möglichkeiten des Einblicks derzeit doch arg begrenzt und abhängig von Gutdünken der verantwortlichen Personen. Obschon ich nachvollziehen kann, dass kommerzielle Softwareanbieter aus wettbewerblichen Gründen verhindern wollen, ihre Algorithmen preisgeben zu müssen, sollten all jene Softwares, die in Polizeibehörden unmittelbar für die Entscheidungsfindung genutzt werden, für externe Dritte zwecks Prüfungsmöglichkeit gänzlich transparent gemacht werden müssen – anders ist die notwendige Kontrolle algorithmenvermittelter Polizeiarbeit schlicht nicht hinreichend möglich.

Kritiker wenden ein, dass insbesondere die (potenzielle) Einbeziehung personenbezogener Daten beim Predictive Policing das Recht auf informelle Selbstbestimmung gefährden könnte - wie sehen Sie das?
Ich kann diesen kritischen Stimmen nur zustimmen. Grundsätzlich greift die Nutzung von personenbezogenen Daten im Predictive Policing in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Bürger und Bürgerinnen ein. Zwar läuft diese Kritik bei bestehenden raumbezogenen Verfahren des Predictive Policing weitgehend ins Leere, da dort keine personenbezogenen Informationen und ohnehin nur Daten verarbeitet werden, die der Polizei ohnehin schon vorliegen. Dies ändert sich aber grundlegend, sobald personenbezogenen Predictive Policing-Ansätze eingeführt werden (so wie in Hessen das System hessenDATA oder das System RADAR-iTE des BKA). Denn ohne das Wissen der betroffenen Personen werden hier für polizeiliche Zwecke sensible Daten verarbeitet – und das ohne Chance der Betroffenen, nachvollziehen zu können, wann und wie das getan wird. Abermals virulenter wird diese Problematik durch die lernenden Algorithmen, die in neueren Systemen wie hessenDATA angewandt werden, da diese datenbankübergreifend viele verschiedene Daten analysieren und im Zuge dessen Anhaltspunkte für Ermittlungen bzw. Verdachtsmomente überhaupt erst generieren sollen. Auf diese Weise gerät man nicht nur den Geboten der Zweckbindung und Datensparsamkeit in Konflikt, sondern nimmt überdies bereits Personen ins Visier, die sich mitunter noch gar nicht verdächtigt gemacht haben.

Im föderalen Deutschland sind auf Landes- und Bundesebene verschiedene Systeme im Einsatz. Inwieweit steht das einem effizienten Predictive Policing entgegen?
Wie aktuelle Bestrebungen rund um Polizei 2020, aber auch hessenDATA und Datenbankübergreifende Analyse und Recherche (DAR) in NRW nahelegen, sind moderne algorithmische Analyseverfahren auf möglichst barrierefreien Datenzugriff angewiesen. Föderale, wechselseitig abgeschlossene Systeme sind da freilich wenig hilfreich. Zudem erschwert eine entsprechende Infrastruktur die Entdeckung bzw. Verfolgung grenzüberschreitender Täter und Täterinnen. Aus kriminalistischer Perspektive ist es mithin sinnvoll, eine verstärkte Integration der Systeme und Datenbanken anzustreben. Aus datenschutzrechtlicher Perspektive ist dies indes eine bedenkenswerte Entwicklung. Diesen Prozess gilt es zivilgesellschaftlich mithin genaustens zu verfolgen.

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