Für verschiedene Delikte setzt die Polizei Vorhersage-Software ein – welches Potenzial hat dieses Predictive Policing aus Ihrer Sicht für die Polizeiarbeit?
Auf jeden Fall hat es Potenzial, wie die bisherigen Auswertungen gezeigt haben. Manchmal ist es einfach notwendig, neue Wege zu beschreiten. Predictive Policing ist jedoch wie viele andere Werkzeuge zunächst nur ein Hilfsmittel von mehreren. Die Ermittler verlassen sich bei der Aufklärung von Straftaten oder Verdachtslagen jedoch nie nur auf ein polizeiliches „Instrument". Predective Policing ist also kein Allheilmittel und wird nicht dazu beitragen, Kriminalität unmittelbar zu verhindern. Es mag banal klingen, aber Kriminelle lesen auch Zeitungen, recherchieren im Netz und checken Entwicklungen, die für ihre „Arbeit" relevant sind. So muss die Polizei auch einkalkulieren, dass Kriminelle versuchen, intelligente Gegenstrategien zu entwickeln, um die Effizienz des Predictive Policing zu unterlaufen. Fakt ist: Kein polizeiliches Werkzeug ersetzt den kriminalistischen Sachverstand unserer Kolleginnen und Kollegen. Der Computer kann analysiert Tatmuster und berechnet daraus die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten – räumlich und zeitlich. Es ergeben sich dadurch Anhaltspunkte, die die Konzeption geeigneter Maßnahmen unterstützen. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.
Beim Predictive Policing kommen Algorithmen zum Einsatz – wer sollte diese wie kontrollieren?
Die Transparenz und Rechtmäßigkeit polizeilicher Arbeit liegt beim Gesetzgeber, die Kontrolle letztlich bei den Gerichten. Für die Polizei ist es wichtig, dass sie auf Rechtsstaatlichkeit geprüftes Handwerkszeug nutzen kann. Alles andere würde unsere Kolleginnen und Kollegen nur behindern, denn der Rückhalt in der Gesellschaft würde sinken. Zudem sollte ein polizeiliches Instrument nicht als diskriminierend oder vorurteilsbelastend empfunden werden. Die Europäische Kommission hat vor diesem Hintergrund entsprechende Leitlinien geschaffen. Darin wird präzise erläutert, unter welchen Voraussetzungen der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) als ethisch gilt. An erster Stelle steht dabei, dass menschliches Handeln und menschliche Aufsicht Vorrang vor KI haben muss und Transparenz gewährleistet ist. Bei der Polizeiarbeit wie auch in der digitalen Welt gibt es ein klares Regelwerk, das den Handlungsraum für die Polizeibeschäftigten definiert.
Kritiker wenden ein, dass insbesondere die (potenzielle) Einbeziehung personenbezogener Daten beim Predictive Policing das Recht auf informelle Selbstbestimmung gefährden könnte - wie sehen Sie das?
Diese Kritik muss ernst genommen und entkräftet werden. Grundsätzlich hilft also nur der Austausch sachlicher Argumente und in der Debatte aufeinander zuzugehen. Wie das schief laufen kann, zeigt die teils hoch emotionale Auseinandersetzung um die sogenannte Vorratsdatenspeicherung.
Im föderalen Deutschland sind auf Landes- und Bundesebene verschiedene Systeme im Einsatz. Inwieweit steht das einen effizienten Predictive Policing entgegen?
Sie sprechen ein grundsätzliches Problem der föderalen Struktur der Polizeien hierzulande an. Idealerweise sollte die Polizei einheitliche Systeme mit einheitlichen Datensätzen und vor allem einheitliche Regeln im Umgang damit nutzen. Das Projekt „Polizei 2020", das federführend vom Bundeskriminalamt betreut wird, soll diesen Weg ebnen. Am Beispiel reisender Banden, die sich beispielsweise auf Wohnungseinbruchdiebstahl spezialisiert haben, wird das besonders deutlich. Wenn eine Bande bereits in Hessen aktiv war und im Anschluss nach Thüringen zieht, ist es für die dortigen Ermittlerinnen und Ermittler ein gewaltiger Vorteil, wenn sie Zugriff auf die Hessischen Daten haben. Bleibt ihnen dieser Zugang verwehrt, ist das der sprichwörtlich weiße Fleck auf der Landkarte.

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