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Interview24.11.2022

Wie Gaming-Elemente Erfolg bringen

Über nachhaltige Wirkung und die Gefahr der Manipulation

Prof. Dr. Willy Christian Kriz - FH Vorarlberg Quelle: FHA Prof. Dr. Willy Christian Kriz Psychologe und Hochschullehrer für Führung und HRM FH Vorarlberg
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Dipl.- Journ. Thomas Barthel
Founder & Herausgeber
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"Aus meiner Erfahrung haben gamifizierte Elemente ein hohes Potenzial, das aber selten wirklich ausgeschöpft wird", erklärt Prof. Dr. Willy Christian Kriz. Der Psychologe und Hochschullehrer für Führung und HRM an der FH Vorarlberg erläutert die psychologischen Hintergründe für erfolgreiche gamifizierte Systeme und Anwendungen - und zeigt potenzielle Probleme auf.





Nach neueren Untersuchungen lassen sich mittels Gamifizierung etwa Produktionssteigerungen erzielen, bessere Mitarbeiter rekrutieren oder Kunden binden. Welche Potenziale sehen Sie durch Gaming-Elemente in der Wirtschaft?
Aus meiner Erfahrung haben gamifizierte Elemente ein hohes Potenzial, das aber selten wirklich ausgeschöpft wird. Als Beispiel möchte ich gleich einen Teil aus ihrer Frage verwenden. Sie schreiben als mögliches Potenzial, es lassen sich „bessere Mitarbeiter rekrutieren“. Aus meiner Sicht lassen sich bei gamifizierter Personalbeschaffung für eine Stellenbesetzung ggf. mehr Bewerber:innen und Mitarbeitende rekrutieren, aber ob das „bessere“ Mitarbeitende sind, lässt sich so zunächst nicht unbedingt ableiten. Hier machen sich auch in der Praxis Unternehmen (oder allgemein Organisationen) meist zu wenig Gedanken um langfristige Effekte und Nebenwirkungen von Maßnahmen. Vielfach sind gamifizierte Interventionen nicht gut gestaltet und nicht in den weiteren Kontext sinnvoll eingebettet. So könnte es sein, um bei diesem Beispiel zu bleiben, dass man mit gutgemeinter Gamifizierung genau die „falschen Typen“ von Bewerber:innen anzieht, die zu den Anforderungen und Arbeitsaufgaben dann weniger gut passen. Weiters könnte es sein, dass man durch solche Maßnahmen Menschen anzieht und einen „coolen“ Eindruck erzeugt und so impliziert Erwartungen an eine bestimmte Organisationskultur weckt. Schnell merken dann diese Menschen aber im realen Arbeitsalltag, dass das Ganze nur ein „Marketinggag“ war und die tatsächliche Organisationskultur, die Strukturen und Prozesse das so nicht erfüllen, was ggf. größere Enttäuschungen und Demotivation erzeugt.

Um das Potenzial zu verstehen, muss man sich ansehen, was Gamifizierung bedeutet.  Kevin Werback hat es beschrieben als das Verwenden von Spielelementen und Spiel-Design-Techniken in Nicht-Spiel-Kontexten (z. B. in der Arbeitswelt). Das Potenzial schätze ich ähnlich ein wie An Coppens, als durch Gamifizierung gesteigertes Engagement und bessere Erfahrung von Kunden (was zu mehr Kundenbindung, Markenloyalität und letztlich mehr Verkauf führen kann) und bessere Mitarbeitererfahrung (was zu mehr Mitarbeiterbindung, Arbeitsmotivation und Leistung führen kann).

Wirksam sind Spielelemente in erster Linie deshalb, weil ihnen menschliche Verhaltens- und Erlebensmechanismen zu Grunde liegen. Es geht daher vor allem um Prozesse, die von der  Forschung in der Motivations- und Emotionspsychologie beschrieben werden. Um das Potenzial zu heben, muss man sich aber sehr detailliert Gedanken machen, um welche Art von Gamifizierung es sich handelt (z. B. interne vs. externe, implizite vs. explizite, strukturelle vs. inhaltliche Gamification usw.), was das Einsatzgebiet ist und welches menschliche Erleben oder Verhalten damit genau verändert werden soll. Dann kommt es aber zusätzlich sehr wesentlich auf die damit erreichten Menschen und deren Eigenschaften an. Es braucht einen „Fit“ zwischen Spielelementen und bestimmten Eigenschaften der Zielgruppe. Gute Konzepte wie z. B. die Player Types von Richard Bartle oder das noch differenziertere Modell von Andrzej Marczewski zeigen auf, dass es unterschiedliche „Spielertypen“ gibt, da auch wiederum von anderen Motivationstreibern und anderen menschlichen Grundbedürfnissen bestimmt werden. Diese psychologischen Theorien zu Motivation (z. B. von David McClelland), insbesondere die Selbstbestimmungstheorie von Richard Ryan und Edward Deci) liefern hier wertvolle Hinweise. Für das Design von gamifizierten Mechaniken und Dynamiken (z. B. in „Engagement Loops“) sind diese psychologischen Erkenntnisse entscheidend, wie die gamifizierten Elemente dann wahrgenommen werden und wikren.

Leider zielen viele gamifizierte Systeme und Anwendungen immer noch auf einen recht „oberflächlichen und schnellen“ Erfolg und beziehen sich auf extrinsische Motivationstreiber und entsprechende Elemente (z. B. Punkte, Leaderboards, Wettbewerb usw.). Natürlich kann man damit bestimmte „Typen“ kurzfristig motivieren, aber ob das langfristig „bessere“ Mitarbeitende sind, ob diese zur Unternehmenskultur passen und ob eine entsprechende Organisationskultur überhaupt wünschenswert wäre, das wird selten reflektiert. Ich möchte auch explizit ansprechen, dass bestimmte Formen von Gamification bewusst negative Emotionen, Abhängigkeit und Druck erzeugen sollen (z. B. scheinbare Knappheit von Gütern, um das Kaufverhalten und die Gier zu steigern) und manipulativ sind. Das ist einerseits ein ethisches Problem, andererseits führt es bei anderen „Typen“ durchaus dazu, dass wiederum diese Manipulation erkannt und für das eigene Verhalten als zu kontrollierend bzw. für die eigene Autonomie als zu einschränkend wahrgenommen und abgelehnt wird und in weiterer Folge zu negativen Effekten führt (Demotivation, innere Kündigung, weniger Arbeitsleistung, weniger Kundenbindung usw.).

Wenn man Gamifizierung nachhaltig wirksam und ethisch human betreiben will, dann muss man aus meiner Sicht mehr auf die intrinsischen Motivationsfaktoren und positive Emotionen setzen. Dann sind es Faktoren und Spiel-Elemente die Sinnhaftigkeit, Lernen, Entfaltung und Kompetenzerleben, Kreativität, Feedback in relevanten (Arbeits-) Beziehungen und vor allem Freiwilligkeit und Autonomie in den Mittelpunkt rücken.

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Insbesondere bei der Weiterbildung liegen Gaming-Elemente im Trend. Welche Potenziale sehen Sie in diesem Bereich?
Gaming-Elemente liegen im Trend, dem stimme ich zu. Das Potenzial hier liegt aber nicht so sehr in der Verwendung von einzelnen Gaming-Elementen (also Gamifizierung von Lernprozessen im engeren Sinne), sondern in der Kombination von Gaming-Elementen dergestalt, dass vollständige Spiele im Sinne von Serious Games als erfahrungsorientierte Lernumgebungen eingesetzt werden. Diese haben eher die Chance, die vorher genannten nachhaltigen und humanen Seiten der intrinsischen Motivation und die positiven Emotionen von echtem Kompetenzzuwachs zu verwirklichen. Insbesondere wenn noch ein Simulationscharakter hinzukommt, also Simulation Games (bzw. Planspiele) eingesetzt werden, die Prozesse realistisch und authentisch abbilden, dann kann Lernen und Bildung gefördert werden.

Serious Games und Planspielmethoden eignen sich grundsätzlich zum Erwerb von Kompetenzen für den Umgang mit Systemen, zur Simulation von Auswirkungen von Systemeingriffen und somit zur Entscheidungsfindung. Planspiele stellen für den Kompetenzerwerb praxisnahe Lernfelder mit realistischer Komplexität und Handlungsspielraum bereit. Das Planspiel ermöglicht den Umgang mit realen Problemen und authentischen realitätsnahen Situationen. Gerade im Bereich der Entwicklung von Innovationen und von Problemlösungen, ist es notwendig, dass auch Fehler gemacht werden dürfen. Es sollte lediglich garantiert werden, dass die Folgen der an sich wünschenswerten Fehler (aus denen dann gelernt werden kann) harmlos bleiben. Planspiele stellen sogenannte „fehlerfreundliche Umwelten“ dar und ermöglichen gemeinsames kooperatives Probehandeln, d.h. das Planen sinnvoller Handlungsstrategien, ihre Ausführung und Optimierung. Ein Vorteil von Planspielen stellt auch die unmittelbare Rückmeldung von Handlungsfolgen dar und im Zeitraffer der Simulation werden auch Langfristeffekte erfahrbar. Planspiele sind somit innovationsgenerierende experimentelle Lernumgebungen. In individuellen wie auch gemeinsamen Debriefingphasen (Reflexion) kann das in Planspielen Erlebte bewertet werden. In der Reflexion werden die simulierten Systemzusammenhänge und die mentalen Modelle der Beteiligten über die Problemlösesituation diskutiert und praxisrelevante Erkenntnisse werden abgeleitet. Damit wird Perspektivenvielfalt unterstützt.

Natürlich sei als Warnung auch hier angesprochen, dass auch Lern- und Simulationsspiele als Medium der bewussten oder zumeist unbewussten Manipulation eingesetzt werden können (und zunehmend werden). Die Gefahr ist hier ggf. sogar besonders gegeben, wenn zusätzliche Sinnesreize angesprochen werden und das Erlebte dann „verkörperlicht“ („embodied experience“) in besonderem Ausmaß für „wahr“ gehalten wird, weil es ja vom betroffenen Menschen als so authentisch und richtig erlebt wird. Auch Lerneffekte müssen sich natürlich nicht automatisch einstellen, weil z. B. die Komplexität eines Planspiels auf das Vorwissen der Teilnehmenden abgestimmt sein muss, um nicht zu Über- oder Unterforderung zu führen, was wiederum nachhaltige Lernprozesse verhindert. Auch können in Spielen negative Gruppendynamiken entstehen. Daher erfordert Gaming für Bildung vor allem ein professionelles didaktisches Design, gut definierte und eingesetzte Reflexion- und Transfermethoden und kontinuierliche Begleitevaluation.

Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass jüngere Mitarbeiter der Gamification in der Arbeitswelt offener gegenüberstehen als ältere - was bedeutet das für die den Einsatz von Gaming-Elementen von Unternehmen?
Der implizierten Aussage in der Frage stimme ich so verallgemeinert nicht zu. Lernen mit echten serious games und Planspielen hängt nicht vom Lebensalter ab, sondern davon, ob eine Anwendung für die entsprechende Zielgruppe professionell didaktisch entwickelt oder angepasst wird. Bei einzelnen Gamification Elementen, insbesondere bei jenen (siehe vorher argumentiert), die nur auf den schnellen Erfolg extrinsischer Motivierung fokussiert sind, lassen sich jüngere und unreiferen Menschen vielleicht leichter „verführen“. Diese Form der Gamification lehne ich aber aus den bereits genanten Gründen ab, sie führt auch zu keinen langfristigen positiven Effekten in Unternehmen und Wirtschaft. Es gibt hingegen bei Lern- und Simulationsspielen eine über 100-jährige Forschungstradition und man weiß viel über Spielelemente und Spieldidaktik und deren Wirkung für die Gestaltung von Lernprozesse bei Jung und Alt und altersgemischten Zielgruppen (Tipp: das seit über 50 Jahren existierende wissenschaftliche Journal Simulation & Gaming und für den deutschsprachigen Raum der Planspielfachverband SAGSAGA, international ISAGA).

Welche besonderen Anforderungen müssen die technischen Lösungen erfüllen, um erfolgreich zu sein?
Wenn man digitale Spiele einsetzt, bei denen von Seiten der Spieler die Erwartung besteht, dass sie mit kommerziellen Spielen (aus der 3D-Videotechnologie nutzenden Spieleindustrie) konkurrieren, dann ist das für echtes Lernen sicherlich schwierig und enttäuschend. Das können und sollen didaktisch sinnvoll gestaltete spielbasierte Lernumgebungen meist nicht bieten. Andererseits kann man sich schon an kommerziell erfolgreichen reinen Gaming Produkten orientieren, denn auch für Lernspiele gelten natürlich bestimmte Mindestanforderungen an die Usability. Allerdings verwenden nicht alle Arten von Lern- und Simulationsspielen überhaupt Technik und digitale Medien. Auch haptische Brettplanspiele mit Figuren und Rollenspielelementen etc. können motivierend sein und Lernen fördern. Aus meiner Erfahrung ist weniger Technik und dafür mehr Reflexion der Weg zu erfolgreichem Einsatz von Spielen für Bildung und Lernen.

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