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Wie Barrierefreiheit getestet werden muss

Und wo sonst noch Luft nach oben ist

Nico Maikowski, Senior User Experience Professional bei Capgemini in Nürnberg Quelle: Capgemini Nico Maikowski Senior User Experience Professional Capgemini 14.04.2022
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Uwe Rempe
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Bei der individuellen Entwicklung einer digitalen Anwendung ist es entscheidend, die genauen Anforderungen an die Barrierefreiheit schon zu Beginn zu definieren", betont Nico Maikowski, Senior User Experience Professional beim Softwareunternehmen Capgemini in Nürnberg. Erst dann könnten sie im Entwicklungsprozess angemessen berücksichtigt werden.







Wie verläuft im Allgemeinen die Entwicklung von digitalen Anwendungen?
Im Großen und Ganzen gibt es zwei Wege: Entwickler*innen individualisieren eine verfügbare Standard-Software auf bestimmte Anforderungen hin oder sie beginnen bei Null. Letzteres ist gerade im öffentlichen Bereich häufig der Fall, da etwa aufgrund gesetzlicher Rahmenbedingungen Prozesse größere Besonderheiten aufweisen und die Individualisierung einer Standard-Software nicht weniger aufwändig wäre. Eine Individualentwicklung kann die genauen Anforderungen hier gezielter abbilden.

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Inwiefern spielt Barrierefreiheit in diesem Prozess schon eine Rolle und wer außer den Entwicklern testet die Entwicklungsergebnisse bis zum Punkt der Marktreife?
Bei der individuellen Entwicklung einer digitalen Anwendung ist es entscheidend, die genauen Anforderungen an die Barrierefreiheit schon zu Beginn zu definieren. Erst dann können sie im Entwicklungsprozess angemessen berücksichtigt werden. In der Realität ist hier oft noch Luft nach oben.

Was das Testen der Applikationen auf Barrierefreiheit angeht, würde ich bezweifeln, ob bislang überhaupt die Mehrheit aller Entwickler*innen dies tut. Hier sind wir in einigen Bereichen leider noch nicht so weit wie etwa die USA, wo entsprechende Vorgehensmodelle bereits besser etabliert sind.

Sinnvoll ist es, Barrierefreiheit durch unterschiedliche Beteiligte in mindestens diesen vier Phasen zu testen:

Test des Konzeptes: Product Owner, Business Analyst und UX Professional nehmen bereits in der Konzeptphase ein Review und einen Test der Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit vor.

Entwicklertest: Entwickler*innen nutzen die vorhandenen Möglichkeiten von automatisierten Tests, Code-Analysen und Korrekturhilfen, um bereits während der Entwicklung größtmögliche Unterstützung sicherzustellen.

Manueller visueller Test: Viele der Kriterien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) können und sollten zuerst durch sehende Testpersonen ohne besondere Erfordernisse geprüft werden.

Usability Test: Es muss zwingend einen Usability-Test durch Menschen mit den Einschränkungen geben, die durch die Barrierefreitsanforderungen ausgeglichen werden sollen. Nur sie können die Nutzerfreundlichkeit der Anwendung in der notwendigen Tiefe prüfen.

Wie verhindert man von Vornherein durch strukturelle Anpassungen im Entwicklungsprozess den Ausschluss von potenziellen Nutzergruppen?
Wie es der OZG Servicestandard vorsieht, ist es wichtig, mit der Barrierefreiheit bereits in der Konzeptphase zu beginnen. Dazu gehört zum Beispiel die einfache und intuitive Bedienbarkeit. Um dies für alle Nutzer*innen zu gewährleisten, empfiehlt es sich, von Beginn an User Experience Professionals einzubinden, die hinsichtlich der Barrierefreiheit die Zielgruppen über den gesamten Entwicklungsprozess hinweg im Blick behalten – etwa anhand von Personas sowie gestalterischem Denken durch Design Thinking.

Wer User-Bedürfnisse allgemein ernst nimmt, bereitet auch der digitalen Inklusion den Weg. Vor allem wird umgekehrt eine Anwendung automatisch nutzerfreundlicher, wenn ich mich zuerst gezielt um die Menschen mit Einschränkungen – oder wie die DIN ISO 9241 sagt, mit besonderen Erfordernissen – kümmere. Was für sie notwendig ist, macht die Nutzung für alle angenehmer.

Sind die rechtlichen Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit ausreichend oder muss die Politik hier mehr tun?
Es wäre tatsächlich gut, wenn die gesetzlichen Vorgaben noch deutlich mehr digitale Barrierefreiheit einfordern würden. Der bisherige Rahmen durch etwa das Behindertengleichstellungsgesetz BGG, die barrierefreie IT-Verordnung BITV 2.0, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz BFSG, Web Content Accesssibility Guidelines WCAG 2.1 etc. reichen definitiv noch nicht aus, um umfassende Barrierefreiheit zu gewährleisten. Umso wichtiger ist es, zumindest diese Vorgaben in der Breite vollständig umzusetzen.

Die Kriterien der BITV beziehungsweise der WCAG weisen lediglich Barrierearmut nach. Auf dem Weg zu Barrierefreiheit wären auch die Nutzer*innen einzubeziehen – beginnend im User Research und gestalterischen Denken bis hin zum Usability Test. Mehr als 60 % der Kriterien der WCAG müssen bereits in der Konzeptphase beachtet werden. Daher sollte an jeder Anwendungsentwicklung von Beginn an ein*e UX Professional beteiligt sein. Diese beiden Punkte durch offizielle Regeln einzufordern, wäre sicher eine gute Hilfestellung, um die Barrierefreiheitsvorgaben zu erfüllen.

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