Whistleblower sollen sich sowohl künftig sowohl an interne oder externe Meldestelle werden dürfen. Wie wichtig ist die Wahlfreiheit aus Ihrer Sicht?
Diese Gleichrangigkeit sorgt für einen fruchtbaren Wettbewerb zwischen internen und externen Meldewegen und ist eine der großen Errungenschaften der EU-Whistleblowing-Richtlinie. Schließlich kann es der Arbeitnehmer vor Ort am besten einschätzen, welcher Meldeweg in seinem konkreten Fall der vielversprechendste ist und welche Meldestellen ihn am effektivsten vor Repressalien schützt. Wie Studien belegen, wird sich die große Mehrheit der Hinweisgeber für internes Whistleblowing entscheiden, sofern sie Vertrauen in die internen Meldekanäle, das Whistleblowing-Management und die Verantwortlichen haben. Dafür braucht es vor allem eine whistleblowerfreundliche Unternehmenskultur, geprägt von Kritikfähigkeit und Fehlerfreundlichkeit. Whistleblower-Netzwerk rät Arbeitgebern deswegen zu regelmäßigen Schulungen ihrer Mitarbeiter.
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Langfristig sollen alle Unternehmen und Verwaltungen mit mehr als 50 Beschäftigten eine interne Meldestelle haben. Wie bewerten Sie diese Grenze – auch hinsichtlich der Aufwände, die auf die kleineren Beschäftigungsgeber zukommen?
Martin Porwoll stellte als kaufmännischer Leiter der „Alten Apotheke“ (ca. 90 Mitarbeiter) in Bottrop 2016 fest, dass die dort hergestellten Krebsmedikamente unterdosiert waren. Er wendet sich an die Staatsanwaltschaft und verhindert so weiteren Schaden an der Gesundheit von mehreren tausend Patienten und einen Millionenbetrug an den Krankenkassen. Fälle wie diese zeigen, dass nicht nur in Großkonzernen Missstände mit gravierenden Folgen auftreten können. Daher ist es sinnvoll, auch Mitarbeitenden in kleineren Unternehmen geschütztes Whistleblowing zu ermöglichen. Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitenden entlastet der Gesetzgeber dadurch, dass er es ihnen ermöglicht gemeinsame Hinweisgeberstellen einzurichten, ggf. unter Zuhilfenahme eines externen Anwalts.
Geschützt sollen auch unzutreffende Meldungen sein, nicht aber vorsätzlich falsche. Wie bewerten Sie diese geplante Regelung?
Unsere eigenen Erfahrungen aus der Beratung von Whistleblowern und empirische Studien zeigen, dass die meisten Whistleblower, entgegen manchen Vorurteilen, keine Schädigungsabsicht gegenüber ihrem Arbeitgeber hegen. Gleichzeitig handelt es sich überwiegend um juristische Laien, die nur schwerlich einschätzen können, wo die Grenzen des Erlaubten verlaufen. Ihnen zu hohe Nachforschungspflichten aufzuerlegen ist unsere Einschätzung nach unzumutbar und Aufgabe der Ermittlungsorgane. Der Gesetzentwurf trägt dem Rechnung, indem er vorsieht, dass ein Whistleblower zum Zeitpunkt der Meldung nur hinreichenden Grund zur Annahme eines Rechtsverstoßes haben muss („guter Glaube“). Ohne einen derartigen Schutz könnte gegen den Whistleblower bei unzutreffenden, aber gutgläubigen Meldungen leichter arbeitsrechtliche Repressalien veranlasst werden, was wiederum abschreckende Wirkung haben würde. Gleichzeitig sorgt u.a. die Vertraulichkeit von Meldungen auch für einen Schutz der möglichweise fälschlicherweise Beschuldigten.
Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt noch in einem endgültigen Hinweisgeberschutzgesetz stehen –und was keinesfalls?
Meldungen zu Missständen, die nicht straf- oder bußgeldbewährt sind, sollen laut Regierungsentwurf nicht in den Schutzbereich des Gesetzes fallen. Dabei weisen Whistleblower durch ihre Aufdeckungen auch auf Regelungslücken und grundlegende Fehlentwicklungen, etwa ethisch fragwürdigen Handlungen oder erheblichen Missständen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße, hin. Es bedarf daher zwingend einer Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf sonstiges erhebliches Fehlverhalten.
Prominente Fälle wie CumEx, Pandora Papers, Wirecard oder die Vorgehensweise von Edward Snowden zeigen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit von Journalisten und Whistleblowern für Demokratie und Rechtsstaat. Durch ihre Enthüllungen und Veröffentlichungen lösen sie Debatten über grundlegende Fehlentwicklungen aus und ermöglichen so Rechenschaftslegung und Abhilfe. Trotzdem erlaubt der Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz Whistleblowing gegenüber den Medien („Offenlegung“) auch künftig nur unter engen Ausnahmebedingungen, u.a. bei einer „unmittelbare[n] oder offenkundige[n] Gefährdung des öffentlichen Interesses“. Dies widerspricht dem Informations- und Partizipationsanspruch einer demokratischen Gesellschaft. Stattdessen sollte die Norm den direkten Gang an die Öffentlichkeit schützen, wenn eine Offenlegung wesentlich im öffentlichen Interesse liegt.
Die Meldung von Missständen im Geheimschutzbereich ist im Regierungsentwurf weitgehend vom Schutzbereich des Gesetzentwurfes ausgenommen, der Bereich der nationalen Sicherheit sogar vollständig. So fallen Informationen aus Verschlusssachen nur in den Schutzbereich des Gesetzes, wenn sie sich auf die unterste Geheimhaltungsstufe – „Nur für den Dienstgebrauch“ – beschränken, Straftaten betreffen und absolut behördenintern bleiben. Sie dürfen auch nicht aus dem Dunstkreis der Nachrichtendienste oder der nationalen Sicherheit stammen. Die Entscheidung darüber, welche Sachverhalte als Verschlusssache oder Angelegenheit der nationalen Sicherheit deklariert werden, obliegt dabei der Exekutive. Staatliche Geheimhaltung ist aber nur dann akzeptabel, wenn sie legal ist und dem Gemeinwohl dient. Die Schaffung spezieller Anlaufstellen für Whistleblower aus dem Geheimschutzbereich wäre ein Beispiel für einen praktikablen Kompromiss zwischen den legitimen Geheimhaltungsinteressen des Staates und dem öffentlichen Interesse an der Aufdeckung von Missständen.