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Videosprechstunden sollten auch nach der Corona-Pandemie möglich bleiben

Welche Vorteile das Gespräch am Bildschirm für Ärzte und Patienten haben kann

Dr. Dr. Hans-Peter Peters, Vorsitzender des eHealth-Ausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe und stellvertretender Landesvorsitzender des Hartmannbundes in Westfalen-Lippe Quelle: Hartmannbund Dr. Dr. Hans-Peter Peters Vorsitzender des eHealth-Ausschusses Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe 15.05.2020
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"Unserer Erfahrung nach lassen sich Gesprächsleistungen zwischen Ärzten und Patienten sehr gut mit Hilfe von Videosprechstunden durchführen", sagt Dr. Dr. Hans-Peter Peters. Der eHealth-Experte spricht sich dafür aus, dass die Nutzung von Videosprechstunden auch nach der Corona-Pandemie aufwandsarm möglich bleibt und abgerechnet werden kann. Mit Blick auf die grundsätzlichen Chancen der Telemedizin beklagt er, dass in den vergangenen Jahren wurden zahlreiche effiziente und gute Lösungen in Pilotprojekten erprobt worden sind, die leider keinen Weg in die Regelversorgung gefunden haben.







Anbieter von Telemedizin-Lösungen Video verzeichnen vor allem im Bereich der Videosprechstunden in der aktuellen Corona-Krise einen starken Nachfrage-Zuwachs. Welchen Beitrag können Videosprechstunden zur Entlastung des Gesundheitswesens leisten?
Die Vorteile lassen sich hierbei für Ärzte, ihr Personal und auch für Patienten beobachten. Die Nutzung von Videosprechstunden reduziert die Gefahr der Infektion für das Praxispersonal und die Patienten. Vermeidbare Kontakte können reduziert und die medizinische Versorgung kann dennoch sichergestellt werden. Ärzte und Praxispersonal bleiben weiterhin als Ansprechpersonen für Patientinnen und Patienten verfügbar.

Die Reduzierung der Gefahr von Infektionen liefert zudem einen Beitrag, Praxisschließungen zu vermeiden. Infektionen mit COVID-19 bzw. Verdachtsfälle können zu vorsorglichen Praxisschließungen führen, die dann die ambulante Versorgung regionsweise gefährden.

Darüber hinaus äußern die Patienten auch Bedenken, Arztpraxen aufzusuchen und sich über Anfahrtswege einer Infektionsgefahr auszusetzten. Besonders kritisch ist das bei den Patienten, die einen hohen medizinischen Versorgungsbedarf haben, z. B. unter chronischen Krankheiten leiden und der persönlichen ärztlichen Versorgung in der Praxis aber nicht fern bleiben sollen und dürfen. Hier kann die Reduzierung der Kontakte in der Arztpraxis durch Videosprechstunden einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Gefahr der Infektion für die Patienten reduziert, die trotz COVID-19 regelmäßig die Praxis aufsuchen müssen.

Für welche Krankheitsbilder und Patientenkreise sind Videosprechstunden besonders gut geeignet?
Unserer Erfahrung nach lassen sich Gesprächsleistungen zwischen Ärzten und Patienten sehr gut mit Hilfe von Videosprechstunden durchführen. In der hausärztlichen Versorgung lassen sich so zahlreiche leichte, besonders auch saisonale Erkrankungen zuverlässig behandeln. Der Beratungsbedarf kann niederschwellig über die Videosprechstunde erfolgen und zahlreiche Anliegen sind ohne weiteren Kontakt abklärbar. Der behandelnde Arzt kann mit der Videosprechstunde dem Gesprächsbedarf nachkommen und dann entscheiden, ob weitere Maßnahme, auch ein persönlicher Kontakt, eine Überweisung zu einem Fachkollegen oder ins Krankenhaus, erforderlich sind.

Bei der Versorgung psychischer Erkrankungen durch Gesprächstherapien mit Psychotherapeuten konnte die Videosprechstunde ebenfalls einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Versorgung leisten. Auch bei der Abklärung von Hauterkrankungen konnten die Videosprechstunden gut und häufig genutzt werden.

Im Zuge der Corona-Krise wurden Beschränkungen für Videosprechstunden gelockert. Wie sollten die Regeln nach einem möglichen Ende der Corona-Krise gestaltet werden?
Auch im Vorfeld der Corona-Pandemie war es aus Ärztesicht unklar, warum die Anzahl der ausschließlichen Video-Behandlungsfälle auf 20 % begrenzt wurden. Für eine großflächige Nutzung neuer Versorgungslösungen, wie der Videosprechstunde, sollten die Hemmnisse der Einführung und Durchführung für Ärzte so gering wie möglich gestaltet werden. In Fachbereichen und bei Krankheitsbildern, bei denen sich Videosprechstunden gut etablieren können und von Ärzten und Patienten durchgeführt werden wollen, sollte der Zugang durch bürokratische oder abrechnungsspezifische Beschränkungen niedrig gehalten werden.

Daher sprechen wir uns dafür aus, dass die Nutzung von Videosprechstunden auch nach der Corona-Pandemie aufwandsarm möglich bleibt und abgerechnet werden kann. Die Entscheidung der Nutzung sollte zwischen Arzt und Patienten geregelt werden.

Nach dem MLP-Gesundheitsreport aus dem Jahr 2019 kamen hatten nur 10 % Prozent der Ärzte Videosprechstunden im Angebot oder in Planung und nur für 33 % der Patienten kämen solche Angebote in Frage. Kann die Corona-Krise helfen, die Skepsis gegenüber solchen Angeboten zu verringern?
Eine Reduzierung von Hemmnissen bei der Nutzung lässt sich ja bereits jetzt erkennen. Vor der Corona-Pandemie haben ca. 100 Arztpraxen in Westfalen-Lippe die Videosprechstunde im Angebot gehabt. Aktuell (Stand KW 17) haben über 3.000 Arztpraxen die Videosprechstunde in der Nutzung. Das entspricht einem Drittel der Praxen in Westfalen-Lippe.

Den Effekt möchten wir an dieser Stelle aber nicht nur dem Coronavirus an sich zuschreiben. Die Corona-Krise hat ja auch zu einer Reduzierung der Vorbehalte in der Politik und bei den Krankenkassen geführt, so dass Beschränkungen reduziert und die Nutzung für Ärzte erleichtert wurde. Hier könnte auch die Frage gestellt werden, ob die Corona-Krise erst kommen musste, um Beschränkungen bei der Nutzung digitaler Lösungen im Gesundheitswesen von oberster Stellen aus zu lockern und im Gegenzug bereits lang geforderte Anreize endlich zu setzen.

Auch bei Patienten, die der Thematik im Vorfeld eher skeptisch gegenüberstanden, hat die aktuelle Krise eventuell zu einem Umdenken geführt. Grundsätzlich ist die Haltung gegenüber der Nutzung neuer Versorgungslösungen, besonders digitaler Lösungen, zu diskutieren. Hier muss systematisch über Chancen und Herausforderungen aufgeklärt werden. Aus unserer Sicht ist das ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs – die Vorbehalte und Skepsis muss hier sicherlich in vielen Bereichen und Köpfen überwunden werden.

Welche Chancen und Herausforderung für die Arbeit mit digitalen Daten entstehen durch den häufigeren Einsatz von Telemedizin-Lösungen?
Die Frage würden wir an der Stelle hauptsächlich auf Telemonitoring-Lösungen beziehen wollen. Hier lässt sich sicherlich feststellen, dass den Ärzten eine größere Auswahl an Daten der Patienten zur Verfügung steht. Die Anwendungen können dadurch bei der Entscheidungsfindung unterstützen und zur besseren Einschätzung der weiteren Behandlung beitragen. Ein engmaschiges Monitoring kann daher auch einen Beitrag zur Patientensicherheit leisten.

Die Frage würden wir zudem gerne an die Politik adressieren. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche effiziente und gute Lösungen in Pilotprojekten erprobt, die leider keinen Weg in die Regelversorgung gefunden haben. Der in Projekten erprobte Einsatz von Telemedizin-Lösungen wurde nicht regelhaft in die Fläche gebracht, weitere Lerneffekte wurden damit verspielt.

Eine große Chance und zugleich aber auch Herausforderung bei der Nutzung digitaler Daten besteht darin, dass die digitale Kompetenz der Arztpraxen – Ärzte und Praxispersonal – gefördert werden muss. Hier müssen Konzepte erarbeitet werden, wie bereits niedergelassene Ärzte und Medizinische Fachangestellte geschult werden können. Zudem müssen digitale Kompetenzen regelhafter Bestandteil des Medizinstudiums und der Ausbildungen im Gesundheitswesen werden.

Bei der Nutzung telemedizinischer Anwendungen sollte auch kritisch gefragt werden, welche Daten Patienten/Bürger dauerhaft durch Unternehmen erfassen und analysieren lassen. Eine ausgedehnte Datenschutzdebatte gehört zu unserer Kultur des kritischen Hinterfragens dazu – dennoch sollte Bedacht werden, wer die sensiblen Gesundheitsdaten in unserem, medizinischen Interesse auswerten sollte – der behandelnde Arzt oder ein Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen. Eine große Herausforderung bei der Nutzung digitaler Daten im Gesundheitswesen wird daher die Frage sein, welche datenschutzrechtlichen Debatten wir führen wollen und wie viel Zeit wir uns dafür nehmen. In einer digitalisierten Welt müssen wir auch bei Lösungen im Gesundheitswesen mit dem globalen Markt Schritt halten können.

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