Immer neue Anwendungen führen zu immer neuen Konkurrenten im engen Frequenz-Spektrum. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die verschiedenen Interessen bei der kommenden Weltfunkkonferenz (WRC) gütlich zusammenzubringen?
Wir haben alle das gemeinsame Interesse größtmöglicher kultureller Vielfalt. Dies entspricht dem europäischen Gedanken und auch der Ordnung der Funkfrequenzen, wie sie ist: international abgestimmt – denn Funk kennt keine Ländergrenzen. Gibt man die bestehende Regelung auf, gefährdet man die Vielfalt. Daher vertritt unsere IGVW Interessengemeinschaft der Veranstaltungswirtschaft die „No-Change“-Variante für die Kulturfrequenzen. Das wird von Nachbarländern wie Frankreich, Italien, Spanien oder UK, unterstützt und entspricht dem Koalitionsvertrag der Ampel. Dort heißt es: „Wir wollen das UHF-Band dauerhaft für Kultur und Rundfunk sichern“.
Die Entscheidungen auf der WRC werden grundlegend und nicht für alle Akteure zufriedenstellend sein, es sind politische Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für die Beteiligten. Die von uns favorisierte Lösung „No change“ im Bereich 470 bis 694 MHz würde die Interessen von Rundfunk und Kultur sichern, das Militär zufriedenstellen und für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) einen in Europa erprobten Weg aufzeigen. Hierfür sollte Deutschland auf der WRC Ende des Jahres 2023 in Dubai werben. Andere Lösungen, wie u.a. der Kompromissvorschlag der Radio Spectrum Policy Group, der eine sekundäre Mobilfunkzuweisung vorsieht, gefährdet aus unserer Sicht insbesondere den harmonisierten, globalen Markt für drahtlose Produktionstechnik.
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Eine Reihe von Playern fordert den Erhalt der sogenannten „Rundfunk- und Kulturfrequenzen“. Wofür werden diese gebraucht?
Das UHF-Band im Bereich 470 bis 694 MHz ist eine “Nervenbahn” für die Kultur- und Kreativwirtschaft, ein effizientes und verlässliches Geflecht aus zahlreichen terrestrischen Kommunikationswegen. Laut Dr. Jochen Zenthöfer von der Initiative Save our Spectrum (SOS) laufen 85 Prozent der Mikrophone bei Kulturveranstaltungen auf diesem Frequenzbereich. Es ist deshalb notwendig, dass die Frequenznutzung für den Kulturbereich bestehen bleibt – unberührt etwa von privaten Mobilfunk-Anbietern. Denn nur so können beispielsweise Festival- oder Tourneeveranstalter an jeweils verschiedenen Orten mit derselben technischen Ausstattung (drahtlose Mikrofone, Instrumente, Ton- und Eventtechnik, auch bekannt als PMSE) arbeiten. Schon heute sehen wir teilweise einen Mangel an Frequenzen für Kulturveranstaltungen. Das zeigte sich zum Beispiel auf dem Livemusik-Festival Lollapalooza 2022 in Berlin, einer Großveranstaltung mit rund 100.000 Zuschauer:innen und 525 Funkstrecken. Zusammen mit weiteren 103 weitere Nutzungen im selben Spektrum ergab sich ein Bedarf von rund 250 MHz und einige Frequenzanfragen mussten abgelehnt werden – und das ist natürlich riskant. Auch für andere Großereignisse stellt dieser Umstand bundesweit eine große Herausforderung dar. Die Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen berichtet, dass an vielen Orten der Westgrenze Deutschlands Festivals wie ein Lollapalooza nicht mehr stattfinden könnten. Und hier sind wir neben dem Aspekt der Sicherheit wieder am Punkt der kulturellen Vielfalt und dass eine Änderung des Status Quo beim Thema Funkfrequenzen unmittelbare Auswirkungen auf das kulturelle Angebot in Deutschland hätte.
Der Tagesspiegel schreibt in diesem Zusammenhang, dass der “Mobilfunk bald das Grab für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen schaufeln” könnte. Denn Konzert-/Tournee- oder Festivalveranstalter hätten durch eine Änderung der Frequenzen eine weitere, tiefgreifende Herausforderung zu bewältigen, zusätzlich zu den existenzgefährdenden Effekten von Inflation, Fachkräftemangel, Publikumsschwund, steigende Energie- und Produktionskosten.
Welche Auswirkungen können die WRC-Entscheidungen für Warn-Routinen in Not- oder Katastrophenfällen haben?
Die WRC-Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf Not- oder Katastrophenfälle, da sie beispielsweise den Bereich der Fernsehverbreitung umfassen. Im Katastrophenfall ist der terrestrische Rundfunk unverzichtbar. Dank robuster Senderstandorte, durchdachter Notstromversorgungen und redundanter Signalzuführungen sendet DVB-T2 auch bei Ereignissen wie Stürmen und Flutkatastrophen weiter. Diese Sicherheit kann der Mobilfunk nicht gewährleisten. Eine Terrestrik wie DVB-T2 ist unabhängig vom Internet, kann autark betrieben werden und ist, anders als das Internet, vor Netzüberlastung auch bei intensiver Nutzung gefeit. Im Ergebnis kann der Rundfunk als Teil der Kritischen Infrastruktur im Katastrophenfall Leben retten. Er informiert die gesamte Bevölkerung zuverlässig, schnell und flächendeckend.
Die WRC entscheidet über eine Zuweisung, nicht über die konkrete Nutzung des Bandes - welche Spielräume bleiben dann vor Ort bei der praktischen Umsetzung?
Die Weltfunkkonferenz entscheidet zwar nur über eine Zuweisung und nicht über die konkrete Nutzung des Bandes – entscheidend ist jedoch, dass Verbraucher:innen, Wirtschaft und Politik die beiden Schritte als zusammenhängend begreifen. So führte eine “ko-primäre Zuweisung” bislang immer zu einer Nutzung durch den kommerziellen Mobilfunk.
Die Spielräume sind jetzt begrenzt. Das Ausweichen auf höhere Frequenzen oder auf verkabelte Kommunikationsmittel ist aus physikalischen und ökonomischen Gründen nicht denkbar. Die “Koexistenz” von Veranstaltern und Mobilfunkanbietern im selben Frequenzbereich würden laut Herrn Zenthöver dazu führen, dass Veranstalter Frequenzen von Mobilfunkanbietern kaufen müssten. All dies sind keine Optionen für die Kulturveranstaltungsbranche. Wir machen uns im Sinne der kulturellen Vielfalt für “No Change” stark.