Anbieter von Telemedizin-Lösungen verzeichnen vor allem im Bereich der Videosprechstunden in der aktuellen Corona-Krise einen starken Nachfrage-Zuwachs. Welchen Beitrag können Videosprechstunden zur Entlastung des Gesundheitswesens leisten?
Primär sehe ich keine Entlastung bei mir als Arzt, insbesondere nicht bei meiner Arbeitszeit, sondern eine für mich bis März 2020 nicht genützte Kommunikationsform mit meinen Patienten zusätzlich zu Telefon und Mail. Durch die Videosprechstunde haben wir Ärzte ja nicht plötzlich weniger Arbeit oder weniger Patienten, vielmehr verändert sich nur die Art des Kontaktes. Für Patienten entfallen vor allem Wege und Wartezeiten, was bei ihnen also eine sinnvolle Entlastung der Ressource ‚Zeit‘ bedeutet.
Für welche Krankheitsbilder und Patientenkreise sind Videosprechstunden besonders gut geeignet?
Hier bestehen generell Möglichkeiten bei der Gesprächsleistung von Angesicht zu Angesicht. Da ich aber eine Asthma- und Allergie-Schwerpunktambulanz habe, brauche ich fast immer das Abhören und die aktuelle Lungenfunktion und Allergietestung. Dass Patienten hier die Testung gern vom Befundgespräch abgetrennt haben möchten, habe ich bisher nicht als Wunsch erfahren. Daher sehe ich konkret für meine Arbeit nur eine zusätzliche, aber gegenüber Mail zeitaufwändigere Kommunikationsform.
Im Zuge der Corona-Krise wurden Beschränkungen für Videosprechstunden gelockert. Wie sollten die Regeln nach einem möglichen Ende der Corona-Krise gestaltet werden?
Krisenregelungen sollten stets danach überprüft werden, inwieweit sie ohne Krise bestehen können. Und prinzipiell gehört der Patientenkontakt in die Praxis. Dass die bisher starre 20%-Grenze hinsichtlich der Abrechenbarkeit aufgehoben wurde, sollte aber beibehalten werden. Es hängt einfach von der Fachrichtung und dem Patientengut ab, ob und wie viele Videokontakte sinnvoll sind. Hier könnte man bei einer grundsätzlichen Freigabe der abrechenbaren Menge wie bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung bloße Aufgreifkriterien definieren, ab denen Ärzte den Einsatz von überdurchschnittlich vielen Videokontakten besonders begründen müssen.
Nach dem MLP-Gesundheitsreport aus dem Jahr 2019 hatten nur 10 % Prozent der Ärzte Videosprechstunden im Angebot oder in Planung und nur für 33 % der Patienten kämen solche Angebote in Frage. Kann die Corona-Krise helfen, die Skepsis gegenüber solchen Angeboten zu verringern?
Es ist eine Kundenumfrage und nicht repräsentativ, aber die Richtung ist richtig. Viele Anbieter kamen im März/April ja mit der Arbeit gar nicht hinterher. Und der breite Einsatz aktuell auch in vielen nicht so technikaffinen Praxen bedingt wahrscheinlich auch eine technische Optimierung und Vereinfachung, die wiederum hilft, Vertrauen zu schaffen. Bei Ärzten und Patienten ist aus der aktuellen Not heraus die Hemmschwelle des ‚ersten Mals‘ überwunden worden, was dauerhaft Bestand haben kann.
Welche Chancen und Herausforderung für die Arbeit mit digitalen Daten entstehen durch den häufigeren Einsatz von Telemedizin-Lösungen?
Wichtig ist, dass wir Ärzte und auch die Politik nicht davon ausgehen, dass Telemedizin alle bekannten Probleme in der Patientenbetreuung behebt. Vielmehr geht es um eine individuelle Ergänzung in Fächern und Bereichen, wo sich diese als überlegen gegenüber dem bisherigen Verfahren erwiesen hat oder noch erweist. Das Risiko sehe ich hier vor allem darin, dass angenommen wird, dass man damit weniger Ärzte braucht oder auch, dass telemedizinische Behandlungen weniger wertig seien. Dabei geht es ja nur um eine andere, zusätzliche Art des Kontaktes, die mindestens dieselbe oder sogar mehr Erfahrung voraussetzt, um wirklich nützlich zu sein anstatt Patienten zu gefährden.
Ich persönlich sehe meinen größten Vorteil im interkollegialen Gespräch, wenn also Konferenzen und Fortbildungen über Video erfolgen. Dass die Reiserei entfällt, das hätte ich gerne weiter.