Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für Vorschriften für politische Werbung, Wahlrecht und Parteienfinanzierung vorgelegt. Wie dringend ist der Handlungsbedarf aus Ihrer Sicht in diesem Bereich?
Wir haben ja bei EU-Wahlen de facto 27 parallele Wahlkämpfe in den Mitgliedstaaten, also müsste man differenziert beurteilen, wie hoch der jeweilige Dringlichkeitsbedarf aufgrund von Missständen ist. Die zum Teil sehr niedrigen Wahlbeteiligungen zeigen allerdings, dass EU-Wahlen in ihrer Bedeutung von Parteien und Wählerschaft als „second order elections“ angesehen werden. Daraus folgt aus meiner Sicht, dass der Handlungsbedarf für nationale Wahlkämpfe vermutlich noch höher ist als für EU-Wahlen. Denn dort versuchen Parteien noch öfters um jeden Preis zu gewinnen, und erliegen dabei womöglich noch leichter der Verlockung für eine unseriöse Wahlkampfführung.
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Der Vorschlag sieht einen ausdrücklichen Transparenzvermerk für politische Werbung vor. Wie finden Sie die vorgeschlagenen Regeln dafür?
Parteien und Politiker führen Wahlkämpfe entweder im Fall einer öffentlichen Parteienfinanzierung mit Steuergeld oder können infolge von Spenden und anderen Zuwendungen Dritter für sich werben. In beiden Fällen haben wir als Wähler*innen eindeutig das Recht zu erfahren, wofür wie viel Geld ausgegeben wird – und das hoffentlich nicht nur irgendwann im Nachhinein beim mühsamen Durchforsten von Finanz- und Rechenschaftsberichten, sondern ohne Mühe in exakt jenem Moment, in dem ich mit politischer Werbung konfrontiert werde. Genau das sieht der Vorschlag der Europäischen Kommission mittels zum Beispiel einfachem Anklicken vor.
Es soll Auflagen für Targeting und Amplifikation geben. Wie bewerten Sie das?
Ich halte es für richtig, weil „data mining“ auch aus ethischen Gründen beschränkt werden sollte. Wollen Sie von politischen Parteien zielgerichtet angesprochen werden, weil ihr religiöses und kulturelles Denken, ihre Essgewohnheiten, ihre regelmäßigen Medikamente, ihre sexuellen Vorlieben, ihre Urlaubsträume und so weiter und so fort erfasst sind, nur weil das im Rahmen des Datenschutzes gerade noch erlaubt ist? Ich glaube nicht, dass diese Frage jemand bejaht. Zumindest theoretisch kann all das jedoch für „micro targeting“ erfasst und in Wahlkämpfen verwendet werden.
Was sollte noch in den endgültigen Vorschriften stehen - und was keinesfalls?
Eine Schlüsselfrage ist für mich jene nach den Sanktionen bei Zuwiderhandeln. Dabei sind insbesondere zwei Aspekte zu beachten. Erstens darf es nicht so sein, dass Normverstöße sich sozusagen indirekt lohnen, weil der Nachteil einer Geldstrafe geringer ist als der mögliche Vorteil. Wird mit inkorrekten Werbemethoden ein besseres Wahlergebnis erzielt, ergeben sich ja dadurch fünf Jahre lang sowohl mehr Ressourcen für Parteien und Kandidaten als auch vor allem von zusätzlichen Mandaten mehr politische Macht und Einfluss. Zweitens stellt sich die Frage, wer bei Verstößen haftet, also etwa die Partei als Organisation oder auch Politiker sowie Parteigeschäftsführer und Wahlkampfmanager persönlich? Beim Wahlrecht und Parteiengesetz in meiner Heimat Österreich verstehe ich beispielsweise nicht, warum jeder Kleinunternehmer bei vergleichsweise kleinen Rechtsbrüchen im Sozialversicherungsbereich bis zu 50.000 Euro aus seinem Privatvermögen zahlen muss, während bei einer Überschreitung der Obergrenze für Wahlkampfkosten um Millionen Euro Parteichefs und Generalsekretäre straffrei bleiben.