Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für Vorschriften für politische Werbung, Wahlrecht und Parteienfinanzierung vorgelegt. Wie dringend ist der Handlungsbedarf aus Ihrer Sicht in diesem Bereich?
Deutschland verfügt über eindeutige Regeln zur politischen Werbung im Rundfunk, die zum Teil bereits weit über den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission hinausgehen. Dahingehend besteht aus unserer Sicht kein zwingender Handlungsbedarf auf europäischer Ebene.
Hierzulande ist Werbung politischer Art in Rundfunk und rundfunkähnlichen Telemedien durch den Medienstaatsvertrag verboten – eine Ausnahme stellt die Pflicht zur Einräumung von Sendezeit für politische Parteien vor Landtags-, Bundestags- und Europawahlen dar. Hierfür erhalten die Sender lediglich eine Erstattung ihrer Selbstkosten.
Insofern beträfen die Vorschriften des Verordnungsvorschlags, der in erster Linie bestimmte Transparenz- und Dokumentationspflichten vorsieht, den Rundfunk nicht. Das gilt aber nur, solange solche nationalen Verbote zum einen weiterhin bestehen und zum anderen eine mögliche Verordnung auf EU-Ebene diese auch mit Blick auf die Definition politischer Werbung unangetastet lässt. In diesem Punkt sollte nachgebessert werden. Handlungsbedarf für klare Regelungen besteht durchaus im Onlinebereich: Die Plattformen trifft das Verbot politischer Werbung des Medienstaatsvertrags nicht, es ist im Bereich allgemeiner Regelungen für den Rundfunk platziert – nur eines von vielen Beispielen der Medienregulierung, bei dem diese beiden Bereiche vom politischen Ziel eines „Level Playing Field“ weit entfernt sind.
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Der Vorschlag sieht einen ausdrücklichen Transparenzvermerk für politische Werbung vor. Wie finden Sie die vorgeschlagenen Regeln dafür?
Grundsätzlich ist das Ziel der Transparenzhinweise nachvollziehbar. Solche Hinweise können Nutzer:innen helfen, politische Werbung richtig einzuordnen. Die Transparenzregeln des Kommissionsvorschlags sind allerdings erkennbar auf den Onlinebereich ausgerichtet. Dort sind Kennzeichnungen in dem vorgeschlagenen Umfang unproblematisch durch Verlinkungen auf z. B. ausführliche Dokumente und Unterseite umsetzbar. Im linearen Programm ist das in dieser Form nicht möglich und eher kontraproduktiv – eine ausführliche Ausstrahlung der Hinweise würde zulasten der Sendezeit für meinungsbildende Inhalte und deren Refinanzierung gehen.
Der Verordnungsentwurf wird derzeit den Besonderheiten der audiovisuellen Medien nicht gerecht und sollte für diese daher einen entsprechenden Ausnahmetatbestand beinhalten.
Es soll Auflagen für Targeting und Amplifikation geben. Wie bewerten Sie das?
Die EU-Kommission hat mit dem grundsätzlichen Verbot von Targeting und Amplifikation ein scharfes Mittel gewählt. Aber das Verbot soll nicht gelten, wenn die Nutzer:innen ausdrücklich einwilligen. Diese Ausnahmeregelung könnte internationale Online-Plattformen und Intermediäre, deren Nutzung in der Regel oder nur ausschließlich über Login-Funktionen erfolgt, im Werbewettbewerb erneut begünstigen. Online-Plattformen können bereits über die Zustimmung zu ihren Allgemeinen Geschäfts- und Datenschutzbedingungen eine entsprechende ausdrückliche Einwilligung der Nutzer:innen erhalten. Die Einholung dieser Einwilligung durch individuelle Abfrage ist für frei zugängliche Telemedien deutlich schwieriger. Trotz einer europaweit einheitlichen Regelung droht die dominante Position der internationalen Intermediäre und Big Tech-Plattformen auf dem Werbemarkt zu Lasten privater Medien weiter zu wachsen.
Was sollte noch in den endgültigen Vorschriften stehen - und was keinesfalls?
Der Entwurf sieht Mitteilungen zu gesellschaftlichen oder kontroversen Belangen als potenziell geeignet, die durch den VO-E zu schützenden gesellschaftlichen Willensbildungsprozesse zu beeinflussen. Diese sollen in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Faktisch wären hiervon auch sämtliche journalistisch-redaktionelle Berichterstattungsbeiträge in linearen wie non-linearen Mediendiensten erfasst, die gerade einen wichtigen Beitrag zur objektiven Willensbildung und Einordnung leisten. Sie als politische Werbung in dieser Form zu qualifizieren, macht keinen Sinn.
Ebenfalls nicht unter den Regelungsbereich der Verordnung fallen sollte originäre Wirtschaftswerbung, selbst wenn dort zuweilen Bezug auf sowohl gesellschaftlich wie auch für Regulierungsvorhaben relevante Themen genommen wird. Das gilt beispielsweise für Diversität, Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit oder ähnliche Bereiche. Auch für solche Werbebeiträge würde eine umfassende Dokumentations- und Transparenzpflicht im Gegensatz zur politischen Werbung zu weit gehen.
Zur klaren Definition politischer Werbung sollte deshalb nicht auf die Möglichkeit, sondern auf die bewusste Zielsetzung abgestellt werden, konkrete politische Willens- und Meinungsbildungsprozesse zu beeinflussen. An beiden Punkten müssten die Definitionen und der Anwendungsbereich, soweit die Verordnung denn so kommt, nachgebessert werden.