Augsburg führt als erste deutsche Großstadt den kostenlosen Nahverkehr ein? Was halten Sie vom kostenlosen ÖPNV und wäre das für Ihre Stadt auch denkbar?
Kostenloser ÖPNV wird aus unterschiedlichen Motiven ins Gespräch gebracht: die einen wollen dem finanziell schlechter gestellten Teil der Gesellschaft mehr Partizipation durch erleichterten Zugang zu Mobilität ermöglichen, die anderen wollen die innerstädtische Luftbelastung verringern oder insgesamt weniger Autos in der Stadt haben. Alle diese Ziele sind ehrenwert, aber sie widersprechen einander zum Teil und sind nur durch Gratisleistungen nicht zu erreichen. Bremen müsste nicht nur 50 Millionen Euro aus entgangenen Ticketeinnahmen kompensieren, sondern erheblich in die Verbesserung des Angebots investieren. Das ist aus meiner Sicht bei der derzeitigen Haushaltslage nicht möglich. Richtig ist aber: Der ÖPNV muss insgesamt attraktiver werden, auch preislich, und das Tarifsystem muss übersichtlicher werden.
Kritiker eines kostenlosen ÖPNV wenden ein, dass vor allem Fußgänger und Radfahrer auf den kostenlosen ÖPNV umsteigen könnten. Folge wäre eine Überlastung des ÖPNV. Welches wären die wichtigsten Maßnahmen für den Verkehrsmix der Zukunft aus Ihrer Sicht?
Die Frage ist doch, welches der limitierende Faktor für die ÖPNV-Nutzung ist: bei den sozial Schwachen ist es der Fahrpreis, da helfen billigere Tickets oder Gratisangebote. Bei allen anderen Personengruppen erzeugen Sie damit aber allenfalls Mitnahmeeffekte, die können Sie nur mit mehr Qualität gewinnen: dichteres Netz, häufigere Taktzeiten, weniger Gedrängel und mehr Sauberkeit. Den SUV-Fahrer locken Sie leichter in die Erste Klasse mit Exclusiv-Service zum vierfachen Preis, als in die überfüllte Holzklasse zum Nulltarif. Wenn Sie dann noch ein komfortables Netz von Car Sharing-Stationen einrichten für diejenigen, die wirklich mal ein Auto benötigen, und auf der anderen Seite den Parkraum für Privat-Pkw verknappen und verteuern, dann haben Sie eigentlich schon fast alles was Sie brauchen.
Der ÖPNV ist Teil eines komplexen Netzes an öffentlichem Verkehr. Welche Rolle spielt das für den Verkehrsmix - und welche Stellschrauben sehen Sie hier noch zur Optimierung?
Neue Mobilitätsangebote wie stationsungebundenes Car Sharing, Leihfahrräder, Uber und demnächst vielleicht autonom fahrende Taxis drängen in die Städte und drohen den ÖPNV zu kannibalisieren. Darauf müssen sich die Verkehrsunternehmen einstellen, indem sie bestenfalls selbst zum Systemintegrator moderner Mobilitätsketten unter Einbeziehung der neuen Angebote werden. Das wird vermutlich durch Regulierung unterstützt werden müssen. Denn wenn wir die Entwicklung dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen, dann verlieren wir über kurz oder lang einen wesentlichen Teil unserer Daseinsvorsorge für alle Teile der Bevölkerung, besonders aber in ländlichen Regionen, weil die privaten Anbieter sich nur auf die ertragreichen Ballungsräume stürzen werden.
Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung für den optimalen Verkehrsmix?
Die Digitalisierung bietet enorme Chancen um den ÖPNV effizienter zu machen. Früher rief man den Rufbus Stunden vorher per Telefon, heute tippt man kurz auf eine App und sieht sofort wo sich das nächste Fahrzeug befindet. Mobility on demand, Flexibilisierung von Routen, Bündelung von Verkehren und passende Fahrzeugwahl - all das birgt eine Fülle an Möglichkeiten gerade in Randregionen oder Tagesrandzeiten. Wenn die Verkehrsunternehmen es richtig anstellen, dann werden sie die Gewinner dieser Entwicklung sein. Aber sie benötigen auch die Unterstützung der Politik.

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