Der Tech-Investor Matthew Ball prognostiziert ein Metaversum, in dem virtuelle und echte Realität endgültig verschmelzen. Für wie realistisch schätzen Sie die Erschaffung eines Metaversums ein und was wären aus Ihrer Sicht die wichtigsten Vor- und Nachteile?
Die „Erschaffung“ eines Metaversums impliziert, dass es einen Schöpfer gibt – zwar hat Mark Zuckerberg das Metaversum angekündigt und den Begriff damit popularisiert, alleiniger Erschaffer ist er jedoch keinesfalls. Das Metaversum entwickelt sich an vielen Stellen und durch unterschiedlichste technologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Treiber. Wir befinden uns gerade mitten im Entstehungs-Prozess. Matthew Ball schreibt, dass wir keine „einzige, alles erhellende Definition des Metaversum erwarten [sollen]“ und ich bin ganz bei ihm – das Metaversum wird sehr vielfältig sein.
Die ersten Vorteile des Metaversums sehen wir bereits heute. Im Metaversum wird die Zusammenarbeit deutlich erleichtert. Statt sich über Zoom anzustarren, werden wir zukünftig neue Interaktions-Möglichkeiten sehen. Mit Technologien wie Hologrammen oder VR-Brillen können räumliche Interaktionen simuliert werden. Die Menschheit träumt schon lange vom Beamen. Das Metaversum könnte uns das ermöglichen – nur eben nicht, indem es einzelne Moleküle A nach B transportiert, sondern indem wir uns virtuell wo anders hinbewegen. Während Home Office heute nur einer gewissen Gruppe vorbehalten ist, wird das Metaversum weiteren Branchen die Möglichkeit bieten, von überall aus zu arbeiten – immer unter der Voraussetzung einer guten Konnektivität. Das bietet zahlreiche neue Chancen: Unternehmen haben Zugriff auf einen globalen Talent-Pool. Ländliche Gegenden mit guter digitaler Infrastruktur werden wieder attraktiver. Auch im E-Commerce werden wir nochmal enormes Wachstum erleben: ich kann Kleidung direkt an mir ausprobieren, vielleicht sogar den Stoff fühlen, wenn es haptische Technologien erlauben. Was früher lose Brieffreundschaften waren, werden übermorgen echte globale Freundschaften in Echtzeit werden. Das Metaversum bietet Menschen Möglichkeiten, die für Otto Normalverbraucher nie zugänglich waren: eine virtuelle Mondwanderung? Aus einem menschenleeren Paris ins New Yorker Getümmel in 15 Minuten, ohne sein Wohnzimmer verlassen zu müssen oder sich durch die Sicherheitskontrollen des Pariser Flughafens zu quälen? Gut möglich.
Einerseits eröffnen sich neue Möglichkeiten, indem wir zwischen Welten, die durchaus zueinander in Kontrast stehen können, springen können. Andererseits verschwimmen Realität und virtuelle Welten. Kritiker argumentieren zu Recht, dass sich Probleme, die wir heute bereits auf Social Media Plattformen sehen, im Metaversum fortsetzen und verstärken werden. Mit mehr Sensoren, Kameras, Mikrophonen wird Datenschutz ein ernstzunehmendes Thema. Die Stimmen nach diskriminierungsfreien Algorithmen, ethischen Richtlinien, Regulierungen zu Hate Speech und Missbrauch werden lauter. Doch wir müssen nicht bei Null anfangen. Die Menschheit hat aus den letzten Jahren für die Zukunft gelernt. Im Januar 2022 hat OASIS Consortium Gründerin Tiffany Xingyu Wang User-Sicherheits-Standards veröffentlicht, an denen sich Metaversum-Unternehmen orientieren und selbstregulieren können. Ähnlich wie freiwillige Zertifizierungen für energieeffiziente Gebäude zum Standard geworden sind, könnten Sicherheit, Datenschutz und Inklusion die Grundpfeiler des digitalen Miteinanders im Metaversum sein.*
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Die Idee wird vor allem von Netzgiganten vorangetrieben. Wer sollte ein mögliches Metaversum kontrollieren?
Der Grundstein für die Regeln des Metaversums wird heute gelegt. Wer das Metaversum mitgestaltet, bestimmt die Logiken. Die Big Four werden natürlich mit aller Macht versuchen, ihre Werte, Normen und Regeln durchzusetzen. Es ist auch denkbar, dass mit dem Metaversum die zentralistischen, monopolistischen Logiken des Internets ausgehebelt werden und wir zukünftig mehr dezentrale Kommunikations-Technologien sehen. Facebook oder Google würden dabei an Macht einbüßen, wie George Gilder in „Life after Google“ beschreibt. Das würde Menschen wieder mehr Selbstbestimmung und Kontrolle über ihre Daten verleihen.
Nichtsdestotrotz müssen sich Institutionen wie die EU früh genug damit auseinanderzusetzen, welche Kultur und damit welche Regeln sie im Metaversum etablieren wollen. Das setzt voraus, dass man versteht, was das Metaversum eigentlich ist. Ein Beispiel dafür aus dem Zeitalter des Internets: das Netz ist kein rechtsfreier Raum, Gerichte haben aber nach all den Jahren immer noch Schwierigkeiten, virtuelle Tatbestände einzuordnen und sie mit realen Konsequenzen zu verknüpfen, wie z.B. Sascha Lobos Artikel über den Drachenlord zeigt. Mit dem Metaversum wird die Komplexität steigen. Wir müssen verstehen, dass es „reales“ Handeln im virtuellen Raum gibt. Das ist nicht nur für die Strafverfolgung relevant, sondern fordert auch Grundlagen für Meinungsfreiheit, Nutzungsrechte oder wirtschaftliche Fragen. Wer wäre zuständig, wenn ich ein Remote Unternehmen im Metaversum gründen will, das keinen physischen Firmensitz mehr hätte? An wen zahle ich Steuern?
Einzelne Computerspiele erfüllen bereits bestimmte Merkmale des beschriebenen Metaversums. Inwieweit könnte Spiele-Industrie ein Standard-setzender Treiber auf dem Weg zu einem Metaversum werden?
Was Technologien, virtuelle Güter, Community oder Netz-Kultur betrifft, ist die Gaming-Szene sicherlich ein maßgeblicher Treiber für das Metaversum. Das Metaversum hängt jedoch nicht an klobigen VR-Brillen, sondern wird sich in Fenstern, Wänden, Fahrzeugdecken wiederfinden. Das Metaversum hat deutlich mehr Aspekte, die über Entertainment hinaus gehen, es birgt auch politische und wirtschaftliche Dimensionen. Gaming kann auch mit Arbeit, Musik, Erotik, Bildung oder Hobbies verschmelzen. Eine Afterwork-Hornbach-Lego-Gemeinde in einer virtuelllen Welt? Warum nicht.
Second Life gilt ein Prototyp oder Vorläufer des Metaversums. Warum ist diese Plattform nach einem enormen Hype wieder aus dem Blick der breiten Öffentlichkeit gerückt?
Darüber kann ich nur mutmaßen. Das Metaversum der Zukunft wird getrieben sein von einer besseren Konnektivität durch z.B. 6G oder Technologien wie Starlink, 3D Technologien oder Sensorik. Die Gesellschaft hat sich nicht zuletzt durch Covid in ihrer Akzeptanz gegenüber virtuellen Interaktionen verändert. Heute ist ein Abendessen mit Freunden, Großeltern oder Arbeitskolleg:innen per Videocall oder in einem Discord Channel nichts Besonderes mehr. Das sind entscheidende technologische und gesellschaftliche Faktoren, warum sich ein Metaversum zukünftig etablieren kann.
Außerdem muss man unterscheiden zwischen kurzzeitigen Hypes einzelner Plattformen und langfristigen Entwicklungen: Clubhouse als Plattform wurde Anfang des Jahres kurzzeitig gehyped, heute sprechen nur noch wenige davon. Auch hier sind anfangs viele Unternehmen auf den Zug aufgesprungen, haben Umsätze generiert oder Reichweite erhalten. Der Trend der Audio- statt visueller Schnittstelle, den wir in den letzten Jahren mit Podcasts, Hörbüchern oder Blinkist gesehen haben, wird aber auch die Zukunft mitbestimmen und als einer von vielen Aspekten das Metaversum beeinflussen. Das Metaversum wird aber nicht von einer Plattform bestimmt sein, sondern diverse Gestalten annehmen.
* https://time.com/6133271/oasis-safety-metaverse/