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In Deutschland ist Batterieelektrizität klar im Vorteil

Was die Politik dringend für den Verkehr der Zukunft tun muss

Prof. Dr. Stephan Rammler - Wiss. Direktor des IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin Quelle: Marlene Gawrisch Prof. Dr. Stephan Rammler Wissenschaftlicher Direktor Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin 28.11.2019
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Es ist eine gute Botschaft, dass die Infrastruktur massiv ausgebaut werden soll", sagt der Wissenschaftliche Direktor des IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin, Prof. Dr. Stephan Rammler mit Blick auf entsprechende Pläne der Bundesregierung. Aber die E-Auto-Ladestationen sind nur ein Detail in einem komplexen Mix an Herausforderungen für den Verkehr der Zukunft.







Die Bundesregierung will den Ausbau der E-Auto-Ladestations-Infrastruktur massiv vorantreiben – sind eine Million Stationen bis 2030 die richtige Zielmarke?
Es ist eine gute Botschaft, dass die Infrastruktur massiv ausgebaut werden soll. Ich kann Ihnen keine konkrete Zielmarke nennen, aber als Referenz sollte die Zahl der Tankstellen im Bereich der derzeitigen fossilen Treibstoffe dienen. Das ergibt eine ungefähre Netzabdeckung, auch wenn man natürlich bedenken muss, dass Elektroautos eine geringere Reichweite haben und, solange die Batterien keine größeren Kapazitäten haben, die Ladetaktung höher bleibt. Andererseits sind derzeit viele Elektrofahrzeuge Zweitwagen, die im suburbanen Raum, in Kleinstädten oder an anderen Orten, an denen Leute Eigenheime haben, in der Garage oder mit einer Außensteckdose beladen werden. Aus diesen Variablen ergibt sich der Bedarf an Ladestationen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Zahl eine Million plausibel.

Der Kauf von E-Autos soll auch weiter mit Kaufprämien angekurbelt werden – was halten Sie davon?
Das muss man differenziert betrachten. Wir haben einen Markt mit einem relativ hohen Endpreis für Elektrofahrzeuge – hier gibt es eigentlich noch keinen unteres oder unteres Mittelsegment im Markt. Dadurch wird im Wesentlichen der Luxuskonsum von Eliten bezuschusst, die sich sowieso teure Autos leisten können. Kaufprämien unter 10.000 Euro erzeugen ihren Impuls nur dann, wenn die Preise für die Fahrzeuge insgesamt niedriger sind.

Deswegen muss parallel an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. So kann beispielsweise durch Beschaffungspolitik staatlicher oder halbstaatlicher Institutionen die generelle Kostendegression vorangetrieben werden. Wenn der Industrie durch garantierte Abnahmemengen der Weg in den Massenmarkt geöffnet wird, steigen die Stückzahlen und die Preise sinken. Das macht auch Investitionen in Produktionsanlagen und deren Auslastung besser planbar. Mit den daraus folgenden niedrigeren Preisen wirken Kaufprämien in der derzeitigen Höhe auch im Massenmarkt. In Skandinavien gibt es erfolgreiche Kaufprämien, dort haben wir aber auch andere Einkommen und eine andere Nutzungsinfrastruktur. Auch die ist natürlich entscheidend. Denn wenn die Leute nicht laden können, nutzt die beste Kaufprämie nichts.

Experten fordern einen technologieoffenen Ansatz bezüglich der Mobilität der Zukunft. Wie wird die Politik dem aus Ihrer Sicht gerecht?
In dieser Debatte wird alle zehn Jahre eine neue Sau durch Dorf gejagt – und manchmal auch wieder die alte. Ende der 90er Jahre gab es eine kleine Elektromobilität-Diskussion. Dann kam das Thema Wasserstoff auf, zunächst als Medium im Verbrennungsmotor von BMW vorangetrieben. Das war wahnsinnig ineffizient und eher ein Show-Modell. Dann kam die Brennstoffzellen-Diskussion, dann ging das Thema wieder den Bach runter. Und schließlich folgte mit der Krise 2008 endlich die Debatte über Elektromobilität.

Auch hier würde ich gern differenzieren. Sicher gibt es nicht die Welt-Auto-Technologie, die überall auf allen Märkten gleichermaßen funktioniert. Unterschiedliche Weltregionen haben unterschiedliche Mischungen in der Energiebereitstellung und unterschiedliche Raumentwicklungs-Strukturen. Daraus folgt, dass Elektromobilität mit Brennstoffzelle und größerer Reichweite oder mit Batterie und geringerer Reichweite oder eben Autos mit Synth-Fuels unterschiedlich sinnvoll sind. In Europa leben wir in zunehmend urbanisierten Regionen, in denen der überwiegende Teil der Verkehrsleistung in einem Korridor von 90 Kilometern erfolgt. Das heißt die hohen Reichweitenpotenziale der universalen Reiselimousine, die wir in den 100 Jahren zum Standard gemacht haben, halten wir für wenige Urlaubsreisen oder andere längere Fahrten vor. Im Alltag brauchen wir das gar nicht – rein funktional betrachtet. Das heißt, die batterieelektrische Fahrzeugvariante ist hier und heute völlig ausreichend – nicht den gefühlten Bedürfnissen entsprechend aber den realen.

Dann muss man noch etwas bedenken. Hierzulande haben alle Alternativen ein Effizienzproblem. Beim batterieelektrischen Antrieb können wir die regenerative Primärenergie mit geringen Leitungsverlusten zum Endverbraucher bringen. Wenn diese in die Batterie eingespeist wird, kommt das mit einem Wirkungsgrad von etwa 70 Prozent auf die Straße. Bei Brennstoffzellen oder noch schlimmer bei synthetischen Kraftstoffen gibt es sehr viele Umwandlungsverluste. Zudem sind gerade Brennstoffzellen sehr ressourcenintensiv.

Wir dürfen auch nicht die regionalen Voraussetzungen außer Acht lassen. In Japan oder Island mit einem hohen Anteil an Geothermie mögen Brennstoffzellen durch die günstige Primärenergie sinnvoll sein. Aber in Deutschland, wo wir mit hohem politischen Konfliktpotenzial Windenergie erzeugen, die dann mit hohem politischen Konfliktpotenzial verteilt werden muss – da ist die energieeffiziente Batterieelektrizität klar im Vorteil; insbesondere angesichts der Dringlichkeit, die mit den aktuellen Daten zum Klima deutlich wird.

Zeitgleich scheinen jüngere Zielgruppen einen neuen, flexibleren Zugang zu Mobilität zu bekommen und mehr Wert auf vernetzte Mobilitätsangebote als auf das eigene Auto zu legen. Wie sollte die Politik solche Tendenzen unterstützen?
Indem sie diese unterstützt und nicht behindert. Wir haben inzwischen erste valide Aussagen zu diesem Thema. Die jungen Leute in bestimmten urbanen Regionen verhalten sich tatsächlich so. Wenn wir die Biografien verfolgen, sehen wir aber, dass viele Menschen doch eigene Autos anschaffen, wenn sie Kinder bekommen oder in suburbane Siedlungen ziehen. Die Politik kann steuern, indem sie heute fördert, was wir seit vielen Jahren als Mobilitätsforscher fordern – nämlich die integrierte, vernetzte Mobilität.

Der öffentliche Verkehr muss moderner, leistungsfähiger und digitaler werden. Die hohe Kunst ist, gerade im urbanen Verkehr, den Verkehr zu flexibilisieren und intramodal zu optimieren. Der öffentliche Verkehr muss angereichert werden mit Auto-Bausteinen, Mikromobilitäts-Bausteinen oder Fahrrad-Bausteinen und zu einem Mobilitäts-Verbund integriert werden. Das ist eine investive, regulative und konzeptionelle Aufgabe. In neoliberal verfassten Verkehrsmärkten wird sich das nicht von selbst ergeben. Dafür braucht es Leitbilder und Vorgaben, etwa eine Anpassung des Personenbeförderungsgesetzes – und es braucht innovative Angebote wie Ride Selling oder Ride Sharing. Dann wird das Angebot hoffentlich so modern und attraktiv, dass Menschen auch über Biografie-Brüche hinweg dauerhaft kein eigenes Auto brauchen. Wenn das gegeben ist, muss auch reguliert werden - bis dahin, dass der Parkraum verknappt wird oder Autos aus bestimmten Bereichen der Städte ganz verbannt werden.

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