Der Eisenbahnverkehr in Deutschland hat mit vielen Problemen zu kämpfen: Zu wenige Lokführer, Unpünktlichkeit, Konkurrenz der Straße, veraltete Technik, voreilig stillgelegte Strecken etc. Inwieweit kann die digitale Offensive bei der Lösung dieser Probleme helfen?
Die Deutsche Bahn vergleicht ihr Projekt „Digitale Schiene“ gerne mit nichts weniger als dem Aufkommen der Dampfmaschine. Der Vergleich mit dieser revolutionären Erfindung hinkt. Züge werden auch 2035 noch auf Stahlschiene fahren und Strom aus Oberleitungen beziehen. Trotz Automatisierung werden weiterhin sehr viele Menschen am Betrieb der Bahn beteiligt sein. Kommt es zur politisch gewollten Verdopplung des Verkehrs auf der Schiene, werden 2035 wohl noch deutlich mehr Menschen im Bahnsektor arbeiten.
Die Digitale Schiene ist aber durchaus eine Evolution und eine längst überfällige dazu. Es geht schlicht darum, die Technik zur Steuerung und Überwachung der Züge auf den Stand der Dinge zu bringen. Immer öfter ist es aber nicht das knappe Geld, sondern das knappe Personal, welches die Verkehrswende ausbremst. Stellwerke und Führerstände zu besetzen ist eine echte Herausforderung. Die Technologie macht es möglich, dass einige Dutzend Personen in einer Betriebszentrale - mit Softwareunterstützung - Signale und Weichen über ganze Bundesländer hinweg stellen. Sie macht es möglich, Abstände zwischen Zügen dynamischer zu gestalten, anstatt in starren Blockabständen zu fahren. Ohne diese Modernisierung wird die Deutsche Bahn die Qualität des Schienenverkehrs nicht verbessern und die Bundesregierung ihr Versprechen, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln, nicht halten können.
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Welche Herausforderungen warten bei der weitreichenden Digitalisierung der Bahninfrastruktur auf die Deutsche Bahn und ihren Eigentümer, den Staat?
Bahn und Bundesregierung müssen ein hohes Tempo fahren und einen langen Atem beweisen. Personalknappheit ist schon jetzt ein großes Thema. Behörden kommen nicht mit Genehmigungen hinterher, Baufirmen nehmen keine Aufträge an, hochqualifiziertes Personal, um die neue Technik zu bedienen, fehlt. Zukünftig müssen Investitionsmittel genauso wie Personal dauerhaft vom Straßen- in den Schienensektor umverteilt werden. Anders sind die Ziele nicht zu schaffen.
Bei der Digitalisierung verspricht die Deutsche Bahn 20 Prozent mehr Streckenkapazität. Die langjährigen Erfahrungen aus der Schweiz zeigen, dass beispielsweise die ETCS-Technik zur digitalen Steuerung der Züge das nicht überall leisten kann. Es nutzt wenig, auf der Bahnstrecke Züge in einem optimalen Abstand anzuordnen, wenn sich dann alle vor einem Bahnknoten stauen, weil es an Weichen und Überführungen fehlt. Der Ausbau des Streckennetzes ist mindestens ebenso wichtig. Ausbau und Digitalisierung sind zwei Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen und bedingen. Mit dem Deutschlandtakt steht endlich wieder ein systematischer Ausbau an.
Ist die bislang geplante Investitionssumme für den Zweck der umfassenden Digitalisierung ausreichend?
Je nachdem, wem man glauben möchte, beläuft sich der Investitionsstau des Bahnnetzes auf 60 bis 90 Milliarden Euro. Der stammt vor allem aus der Frühzeit der Bahnreform, als lange zu wenig Ersatzinvestitionen getätigt wurden und das Netz dahinalterte. Die Einsparungen von damals werden jetzt nachgeholt. Gleichzeitig soll das Netz wieder wachsen. Addiert man die Kosten für Digitalisierung, Ersatzinvestitionen und notwenige Streckenausbauten, werden in der kommenden Legislaturperiode mindestens 10 Milliarden Euro jährlich notwendig sein. Derzeit wird weniger investiert, aber die mittelfristige Finanzplanung des Bundes bewegt sich in diese Richtung. 2022 soll erstmals mehr Geld in die Schiene als in Bundesfernstraßen fließen.
Wie gut schätzen Sie die Zusammenarbeit europäischer Eisenbahngesellschaften beim Thema Digitalisierung ein?
Österreich, Schweiz, Dänemark, Luxemburg, Niederlande: Alle diese Länder investieren stärker in ihr Schienennetz. In den Benelux-Staaten können so alle wichtigen Strecken mit neuer Digitaltechnik voraussichtlich vor 2030 ausgestattet werden. Weil gerade der Schienengüterverkehr aber europäisch abläuft, kommt es nicht gut an, wenn das große Transitland in der Mitte Europas hinterherhinkt. Mehrfach wurde Deutschland zum Nadelöhr zwischen den Nordseehäfen und dem Alpenraum. Die gute Nachricht ist, dass sich die Staaten in der europäischen Union auf einige technische Standards einigen konnten. Die historisch gewachsenen Unterschiede der nationalen Netze lassen sich so überwinden.