Welche Herausforderungen warten bei der weitreichenden Digitalisierung der Bahninfrastruktur auf die Deutsche Bahn und ihren Eigentümer, den Staat?
Auf dem Schienennetz ist es eng geworden. Es handelt sich um eine hohe Teilnehmeranzahl mit sehr unterschiedlichen technischen (Fahrzeug-)Ständen: von der historischen Dampflok über Diesel- oder Elektrolokomotiven aus den 60er-Jahren bis hin zu modernsten Triebzügen und Lokomotiven. Die veraltete IT-Systemlandschaft und stark regulierte Prozesswelt erschweren eine effiziente Betriebsplanung und -durchführung zusätzlich. Das Europäische Zugsicherungssystem ETCS soll den entscheidenden Beitrag leisten. Dies steht im Einklang mit den Initiativen zur Erneuerung der Sicherungstechnik hin zu elektronischen oder sogenannten digitalen Stellwerken. Beides ist dringend erforderlich, um die wachsenden Mengen auf der Schiene zuverlässig transportieren zu können. Die Steigerung des Modal Splits auf bis zu 25 oder 30 Prozent auf der Schiene kann nur funktionieren, wenn neben den Eisenbahnverkehrsunternehmen und dem Rollmaterial auch die Schieneninfrastruktur moderner und leistungsfähiger wird.
Der Eisenbahnverkehr in Deutschland hat mit vielen Problemen zu kämpfen: Zu wenig Lokführer, Unpünktlichkeit, Konkurrenz der Straße, veraltete Technik, voreilig stillgelegte Strecken etc. Inwieweit kann die digitale Offensive bei der Lösung dieser Probleme helfen?
Digitale Lösungen liefern uns gänzlich neue Informationen. Neben Echtzeitdaten zu Verfügbarkeit und Zustand der Wagen sowie alternativen Infrastrukturen oder Rollmaterial liefern Sensorbrücken so genaue Daten, dass sich Schäden frühzeitig erkennen und beheben lassen – erstmal können wir proaktiv handeln, statt nur zu reagieren. Zusätzlich ist eine GPS-Standortermittlung der Wagen möglich; nahezu die gesamte VTG-Flotte ist mittlerweile mit dem entsprechenden Telematiksystem ausgestattet. Auf Basis dieser Daten lassen sich verlässliche Prognosen und effiziente Entscheidungen treffen. Musste der Schienengüterverkehr in Konkurrenz zur Straße bisher Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, so schaffen wir nun eine neue Ausgangslage: Digitale Lösungen steigern die Effizienz des Verkehrsträgers Schiene und machen ihn zukunftsfähig.
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Ist die bislang geplante Investitionssumme für den Zweck der umfassenden Digitalisierung ausreichend?
32 Milliarden Euro sind eine stolze Summe und ein positives Signal für die Zukunft der Schiene. Ob die Mittel „ausreichend“ sind, hängt aber maßgeblich vom Fokus der Mittelverwendung ab. Hier ist es mit der DB-Infrastruktur allein nicht getan. Auch vorgelagerte oder private Infrastrukturen wie Häfen, Umschlagterminals oder Industrieanschlüsse sowie das Rollmaterial müssen mittels der entsprechenden Förderung digitalisiert werden. Mit Blick auf die Stärkung des Kombinierten Verkehrs zur Erreichung der Klimaziele ist eine lückenlose Digitalisierung unerlässlich. Neben den technischen Komponenten muss auch der prozessuale Teil berücksichtigt werden, um die zusätzlichen Trassenkapazitäten abrufen zu können. So sind bei den Vorlaufzeiten der Fahrplanbestellungen sowie der Baustellenplanungen eine europäische Vereinheitlichung der Zeitschienen und Prozesse notwendig. Insgesamt braucht es seitens der Politik eine übergreifende, digitale Infrastruktur mit einheitlichen Standards und gezielte Förderungen, damit branchenweite digitale Lösungen nicht an den hohen Anfangsinvestitionen scheitern.
Wie gut schätzen Sie die Zusammenarbeit europäischer Eisenbahngesellschaften beim Thema Digitalisierung ein?
Der Schienengüterverkehr ist eine traditionell geprägte Branche: Feste Strukturen und wenig digital. In den letzten Jahren hat bereits ein Umdenken stattgefunden, der Austausch ist intensiver geworden. Daraus entstanden sind wichtige Kooperationsprojekte, z. B. zum Thema DAK (Digitale Automatische Kupplung). Die vor uns liegenden Herausforderungen der Digitalisierung erfordern allerdings eine noch intensivere Zusammenarbeit: die Welt wird komplexer, individuellere, schnellere und transparentere Lösungen werden erwartet – online und jederzeit verfügbar. Wir müssen beim Zukunftsthema Digitalisierung an einem Strang ziehen, in Netzwerken, mit Partnern und Kunden zusammenarbeiten, um die Schiene einfacher, attraktiver und wettbewerbsfähig zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass uns das in europaweiter Zusammenarbeit gelingen wird.