Monatelang haben die Schulen in Deutschland auf Distanz-Unterricht setzen müssen. Das sogenannte Homeschooling lief dabei schleppend an, wie die Experten in unserer Fachdebatte berichten.
Ann-Kristin Müller, Germanistin und Pädagogin von der Universität des Saarlandes bezeichnet die mehr oder weniger gut funktionierenden Schulplattformen in diesem Zusammenhang lediglich als Symptom einer jahrelangen Vernachlässigung von praxistauglichen, methodisch-didaktisch sinnvollen und ausreichend erprobten digitalen Strukturen im Bildungsbereich. Die Bandbreite im Bereich der Digitalisierung von Bildungseinrichtungen und -inhalten in Deutschland sei enorm. Es gebe nicht nur zwischen den Bundesländern deutliche Unterschiede - auch Landkreise, Städte und sogar benachbarte Schulen seien nicht vergleichbar. Die Gründe für diese strukturellen Unterschiede seien vielfältig: technologisch, logistisch, finanziell. Grund sei ein mangelndes Bewusstsein in Politik und Verwaltung für die Potenziale und Charakteristika einer digitalen Gesellschaft. „In der Akzeptanz dieses ernüchternden Befunds liegt aber gleichzeitig (glücklicherweise) die große Chance für eine echte Transformation des Bildungswesens: Jetzt ist wirkliche Veränderung möglich und nötig!“, erklärt die Wissenschaftlerin.
In der Praxis verzeichnete Henrike Paede vom Bayerischen Elternverband eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr, die Plattformen liefen insgesamt stabiler. Sie betont: „Zeitgemäße Bildung ist auch außerhalb des Lockdown ohne digitale Medien nicht mehr denkbar, nicht nur in der Schule, sondern auch beim häuslichen Lernen am Nachmittag.“ Das habe die Krise hat uns schockartig vor Augen geführt. Daneben drängt sie mit Blick auf einen wachsenden Nachhilfemarkt, das Bildung eine staatliche Aufgabe sei und es nicht angehen könne, dass Eltern sie durch Nachhilfe, sei es eigene oder bezahlte, ersetzen müssen. „Dadurch öffnet sich die Schere bei der Bildungsgerechtigkeit weiter, Schüler aus bildungsfernen, nicht deutschen oder sozial benachteiligten Familien geraten immer weiter ins Abseits.“
Reiner Schladweiler, Landeselternsprecher in Rheinland-Pfalz, verweist auf den Aspekt der informatischen Bildung von Kindern und Lehrkräften. „Auch hier haben sich fatale Lücken offenbart und die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte bloßgestellt.“ Er zitiert eine Umfrage seines Hauses vom Sommer 2020, dort gaben über 80 % der Eltern an, dass ihre Kinder "zu wenig" oder "deutlich zu wenig" Unterricht in Informatik / ITG erhalten hatte. Er fordert alle Beteiligten auf, hier konstruktiv und unkonventionell für Abhilfe zu sorgen. „Dazu fordern wir einen schnellen und gesteuerten Ausbau der nötigen Infrastruktur - in der Art, dass man Schulen vordringlich ans Glasfasernetz anschließt.“
Von der Lehrerseite beklagt Anna-Katharina Müller, Vorsitzende Junge Lehrerinnen und Lehrer im Sekundarschullehrerverband (SLV) Sachsen-Anhalt, dass die meisten Lehrkräfte nicht im Umgang mit den digitalen Geräten ausgebildet sind bzw. keine Berechtigungen besitzen. Daher „benötigen die Schulen IT-Experten, die sich um Probleme mit den Geräten kümmern und Lehrkräften Hilfestellungen geben.“ Thomas Langer, Landesvorsitzender des Philologenverbandes Sachsen (PVS), berichtet aus seinem Bundesland, dass die Plattform LernSax nach großen Startschwierigkeiten ganz gut laufe. In der "Rush Hour" am Vormittag sei es aber auch im Winter und beginnenden Frühjahr noch zur Überlastung des Systems gekommen. „Aber es ist gut, dass wir in Sachsen eine gemeinsame Lernplattform haben, die vieles kann.“
Unterstützt werden die Lehrkräfte durch Medienangebote. Monika Buscher, leitet die Redaktion Planet Schule beim SWR und weiß, dass Medien einen strukturierten Unterricht nicht ersetzen können. Planet Schule versteht sie in diesem Zusammenhang als guten „Zulieferer“, der via vernetzbarer Medien auch aus der Distanz heraus Anschauungs-, Erklär- und Interaktionsmöglichkeiten bietet. „Die Filme und interaktiven Lernmedien sind so dargeboten, dass sie in ... Lernszenarien gut integriert werden können, z. B. durch speziell hierfür entwickelte Playerfunktionen.“ Dabei stehen die Medien nie für sich alleine, sondern sind in der Regel mit didaktischen Begleitmaterialien unterfüttert. Prof. Peter Arens, Leiter der ZDF-Hauptredaktion „Geschichte und Wissenschaft“, verweist auf einen neuartigen Service seines Hauses, die Bereitstellung von Wissensvideos unter der sogenannten CC Lizenz. „Die dortigen Bilder können lizenzfrei von Schülern und Lehrenden in deren eigene Präsentationen eingebaut und sogar umgeschnitten werden. Die bisher für den Schulalltag problematischen Rechtefragen dieser Videos entfallen damit, das ist ein großer Fortschritt!“
Bei all dem betont die Vorsitzende des Vorstands der Sektion Schulpsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Andrea Spies, die Bedeutung der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden als Grundvoraussetzung für gutes und erfolgreiches Lernen. Eine gute Beziehung, ein gutes Klassenklima, Zugehörigkeit und Gemeinschaftsleben in virtuellen Räumen zu gestalten und erlebbar zu machen, sei eine viel größere Herausforderung für Lehrkräfte als es schon im Präsenzunterricht ist. „Hier ist gezieltes Coaching und Fortbildung von Nöten, die Technik, Software/Tools, Unterrichtsinhalte und gelingendes Beziehungsmanagement miteinander verbindet.“
Schulpsychologin fordert gezieltes ■ ■ ■
So läuft die Digitalisierung des Unterrichts aus ■ ■ ■
EIN DEBATTENBEITRAG VON
Andrea Spies
Vorsitzende des Vorstands der Sektion Schulpsychologie
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.