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Gesundheitliche Belastungen bei Digitalisierung von vorneherein reduzieren

Warum neue Technologien nicht ohne Evaluierung eingesetzt werden dürfen

Ingrid Reifinger, ÖGB-Expertin für Gesunde Arbeit Quelle: Elisabeth Mandl Ingrid Reifinger ÖGB-Expertin Gute Arbeit Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB) 21.10.2021
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Uwe Rempe
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Technisch Machbares darf aus Sicht von Ingrid Reifinger vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) nicht als Maß für die Gestaltung von Arbeitsplätzen und den Aufgabenzuschnitt herangezogen werden. Für sie gehören andere Dinge in den Vordergrund. Die Expertin für Gesunde Arbeit fordert für digitale Veränderungsprozesse auch noch weitere Maßnahmen.







Welche gesundheitlichen Gefahren birgt ein Übermaß an Digitalarbeit?
Eine Zunahme an psychischen Belastungen ist hier gleich an erster Stelle zu nennen. Arbeitstempo, Arbeitsverdichtung und Arbeitsintensität aufgrund stetig schnellerer Taktung der Abläufe werden mit der Digitalisierung weiter steigen, wodurch Leerläufe im betrieblichen Ablauf weitgehend eliminiert werden sollen. Dadurch können Synergien genutzt werden, die auch dazu beitragen die Personaldecke möglichst niedrig zu halten. Auch dies ist ein Grund für zunehmenden Stress und Arbeitsdruck.

Psychische Belastungen entstehen auch durch die umfassenden Kontrollmöglichkeiten von digitalisierter Technik, wie z.B. durch umfassende Ortung von Menschen aber auch durch die Überwachung von Arbeitsmitteln. Die Nachvollziehbarkeit von einzelnen kleinsten Arbeitsschritten auch durch die gleichzeitige Erfassungsmöglichkeit von Sprache und Bild (z.B. Augenbewegungen, Blinzeln) ist gegeben. Diese Kontrollmöglichkeiten erhöhen den Rechtfertigungsdruck von ArbeitnehmerInnen.

Ich möchte aber auch ein Beispiel anführen, wo neue technische Anwendungen zu neuen physischen Belastungen führen können. Erweiterte Realität oder Augmented Reality-Systeme (AR), darunter wird häufig die visuelle Darstellung von Informationen mittels AR-Brille verstanden, haben den Weg ins Arbeitsleben gefunden. Das Gewicht, die spezifische Gewichtsverteilung des Objekts, die Qualität der Darstellung der Information und die Lärmentwicklung der AR-Brille sind die offensichtlichsten physischen Belastungen. Bei Umgebungslärm können komplexe Sprachbefehle zum Problem werden. Ohne eine freie Hand sind Gestensteuerungen schwierig. Gesten und Sprachbefehle zur AR-Steuerung müssen daher in Einklang mit Arbeitsumfeld und Tätigkeit gebracht werden. Durch die Einbindung der betroffenen ArbeitnehmerInnen lassen sich in der Praxis jedoch gute Lösungen finden.

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Wie gehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der digitalen Arbeitswelt mit potenziellen gesundheitlichen Risiken um, wie kann man ihnen vorbeugen, Resilienz aufbauen?
In allen EU-Mitgliedsstaaten müssen die Arbeitsplätze in Hinblick auf gesundheitlichen Belastungen evaluiert werden. Und hier gilt: Kein Einsatz neuer Technologien ohne vorherige Evaluierung! Auch wenn durch neue Technologien die Arbeit vordergründig erleichtert wird, die damit verbundenen Gefahren und Gefährdungen müssen erhoben werden. Dann sind Maßnahmen zu setzen, die diese Gefährdungen reduzieren bzw. beseitigen. Das gilt z.B. auch für eine AR-Brille.

Wie bereits erwähnt ermöglichen digitale Anwendungen oft eine lückenlose Überwachung und Dokumentation sämtlicher Tätigkeiten im Anwendungsbereich, was bei den Betroffenen psychisch belastend ist. Betriebsräten kommt dabei beim Abschluss von Datenschutzvereinbarungen eine wichtige Rolle zu.

Welche Rolle spielen dabei die Gestaltung des Arbeitsplatzes bzw. die Formatierung der Arbeitsinhalte?
Grundsätzlich gilt: Das Maß für die Gestaltung des Arbeitsplatzes und für den Aufgabenzuschnitt sind immer die Fähigkeiten, Voraussetzungen und Bedürfnisse der Menschen und nicht allein die technische Machbarkeit von Systemen. Es müssen dabei immer die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen in den Vordergrund gerückt werden.

Deshalb ist die Einbeziehung der Betroffenen bei der Einführung von neuen technischen Anwendungen ganz wichtig. Es soll keine Digitalisierung von oben geben, bei der männliche Techniker z.B. Anwendersoftware für weibliche Pflegekräfte entwickeln, die ihnen dann als „arbeitsunterstützend“ vorgesetzt wird. Oft binden Unternehmen in digitale Veränderungsprozesse nur Führungskräfte, IT-Abteilungen und Externe ein. Doch diese Lösungen gehen dann oft an der Arbeitsrealität der Betroffenen vorbei.

BetriebsrätInnen haben bei der Einführung von neuen Technologien jedenfalls ein Recht auf Mitbestimmungen nach dem Arbeitsverfassungsgesetz.

Ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement ein passendes Werkzeug, um diesbezüglich eine hohe Kompetenz bei allen Beschäftigten eines Unternehmens zu erlangen?
Ja, unbedingt, denn das Betriebliche Gesundheitsmanagement verfolgt einen ganzheitlichen und systematischen Ansatz. Sicherheit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen werden dabei Managementaufgabe und somit Teil der Unternehmenspolitik und -kultur. Das ist auch bei der Digitalisierung ein wichtiger Ansatz, um gesundheitliche Belastungen bereits von vorneherein so weit wie geht zu reduzieren.

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